Von wegen finster – die Speisen der priviligierten Stände im Mittelalter waren schmackhaft und strotzten oft vor wertvollen Zutaten wie Safran oder Pfeffer. Das älteste deutschsprachige Kochbuch wurde vom Würzburger Historiker und Juristen Michael de Leone verfasst. Er war Chronist der Stadtgeschichte Würzburgs, hielt Liedertexte der Minnesänger fest und eben auch Kochrezepte seiner Zeit. Vielleicht hat ihn sein Studium in Bologna für das Thema Essen sensibilisiert. Denn Italien war die erste Hochküche Europas und schon zu Lebzeiten des Würzburgers Michael de Leone Impulsgeber europäischer Kulinarik. Auf jeden Fall ist es seine über 670 Jahre alte Schrift, die als das älteste deutschsprachige Kochbuch gilt. In seinem Hausbuch von 1350 ist auch das Buch von guter Speise mit rund 50 Rezepten enthalten.

Das älteste deutschsprachige Kochbuch
Heutzutage muss man weder Geistlicher sein noch Spross eines Adelsgeschlechts, um eine Auswahl mittelalterlicher Gerichte probieren zu dürfen. Es reicht ein weltlicher Besuch in der Rauchbierbrauerei Schlenkerla in Bamberg. Im Haus auf der Dominikanerstraße 6 gibt es neben den historischen Räumlichkeiten seit kurzem die Möglichkeit, nach Mittelalter Sitte zu speisen. Damit, das sei hier gleich klargestellt, ist nicht gemeint, mit Händen zu essen und Hühnerknochen über die Schulter zu werfen. In der Küche des Schlenkerla wird das mittelalterliche Mahl mit kulinarischem Gespür und historischem Sachverstand zubereitet.

Tischsitten und Gebräuche – Fränkisches Fingerfood
Um einen Einblick in die Speise- und Gasthauskultur Frankens im 14. Jahrhundert zu bekommen, gibt es wahrscheinlich keinen authentischeren Ort als das Gasthaus Schlenkerla in Bamberg. Wolfgang Theil und Simon Klein sind die beiden Köpfe hinter dem neuen Konzept. Theil ist seit vielen Jahren Chefkoch des Hauses und Klein bringt neben seiner Leidenschaft für das Kochen einen Magister in Denkmalspflege und ein Geschichtsstudium mit. Bei einem geselligen Mahl im Mittelalter, so erklärt Simon Klein, wurden die Speisen in kleinen Schalen oder als Pasteten verpackt aufgetischt. Jeder nahm sich, worauf er Appetit hatte. Es gab Brotfladen, auf die die Speisen gelegt wurden. Das Besteck bestand aus Löffel und Messer.
Freiheit der Interpretation: „Mache einen mürben Teig“
Das Buch von guter Speise, aus dem Theil und Klein ein Menü zusammengestellt haben, ist zwar ein deutschsprachiges Werk. Trotzdem ist eine Übersetzung oder besser gesagt Interpretation notwendig. Was bedeuten die Handlungsanweisungen, die im Buch ohne Mengen- und Zeitangaben vermerkt sind? Welches Mehl kommt den damalige Sorten am nächsten? Welche Hitze einer Feuerstelle aus dem 14. Jahrhundert? Manche Gerichte erscheinen auch bei großer kulinarischer Neugierde nicht wirklich reizvoll, wenn zum Beispiel von in Mandelmilchpudding gesottenem Hähnchenfleisch die Rede ist.

In den Küchen vor Klerus und Adel kamen Gewürze wie Anis, Zimt und Ingwer zum Einsatz. Der Gewürzhandel verlief über die Seidenstraße. Der Preis für Safran ist über die Jahrhunderte relativ stabil geblieben, erläutert Simon Klein. Bis heute ist Safran das teuerste Gewürz der Welt. Im 14. Jahrhundert bekam ein Meisterschreiner, so schildert es Klein, für seine Arbeit von rund 10 Stunden 22 Heller. Für fünf Gramm Safran musste man schon damals 25 Heller bezahlen. Heute wird Safran oft in Mengen von einem Gramm verkauft und kostet dann je nach Qualität rund 10 Euro.

Der Preis für Pfeffer bewegte sich etwas unter dem vom Safran, war aber stabil genug, um auch in Gold aufgewogen zu werden. Und die Redewendung reicher Pfeffersack hat sich bis heute gehalten. Kaum zu glauben, aber mit Pfeffer wurde in der Küche regelrecht geprotzt. Wer seinen Koch besonders viel verwenden lies, konnte seinen Gästen im wahrsten Sinne des Wortes einschärfen, wie reich er doch war.
Von Mandelsugo bis Safransauce
Köche im Mittelalter griffen auf eine große Auswahl an Zutaten und Gewürzen zurück. Gewürze wie Ingwer, Anis, Pfeffer, Safran und Piment oder Nelken fanden in verschiedenen historischen Rezepten Anwendung und zeugen von einem Feingefühl für Aromen. Auffällig sind die vielen vegetarischen Gerichte, die auch während der Fastenzeit, also vierzig Tage vor Ostern, für eine abwechslungsreiche Ernährung sorgten. Mandelmilch wurde als Milchersatz in der Fastenzeit verwendet. Die Rezepte sind ohne genaue Mengenangaben und Zubereitungszeiten niedergeschrieben. Somit handelt es sich bei den Gerichten aus der Küche des Schlenkerla um kulinarische Rekonstruktionen. Auch Wolfgang Theil und Simon Klein planen für kommende Fastenzeiten historische Fastengerichte anzubieten. Das passende reichhaltigere Fastenbier wird im Schlenkerla ja schon seit jeher gebraut und steht somit als historisch belegter Essensbegleiter fest.

Eine Spise von Bonen – Bohnensuppe mit Safran und Rauchbier
Bis es die Interpretation einer Bohnensuppe aus dem Mittelalter auf das Menü im Schlenkerla schafft, werden einige Varianten ausprobiert, schildert Wolfgang Theil. Es ist eine Arbeit, die zwischen Rezeptforschung und Rezeptentwicklung pendelt. Für die Basis der Suppe wird eine Gemüsebrühe aus Lauch, Zwiebeln und Karotten angesetzt und anschließend durch ein Sieb abgeseiht. Die Bohnen werden geputzt und geschnibbelt, dann kurz blanchiert. Anschließend werden die Bohnen in die Gemüsesuppe gegeben und alles kurz aufgekocht.

Nun sind es nur noch wenige Handgriffe bis hin zum typischen Geschmack der Mittelalterküche in wohlhabenden Häusern. Denn es folgen die Zutaten der mittelalterlichen Gewürzfreaks. Erst Bohnenkraut, dann fein gemahlener Safran, der sofort seine unverwechselbare rote Farbe und sein Aroma freigibt.


Ein würzig Fladen mit Tunke
Tunken, dieses alte deutsche Wort hat als Verb in unserer Sprache überlebt. Als Nomen ist es vom Aussterben bedroht und wurde weitestgehend vom englischen Dip verdrängt. Im Mittelalter wurde noch reichlich in Tunken getunkt. Wolfgang Theil und Simon Klein bieten ihren Gästen im zweiten Gang gleich dreierlei Tunken an. Es gibt die Pfefferkuchentunke, die Trauben-Speck-Tunke und eine hauseigene Tunke, in die fränkischer Majoran sowie die Bamberger Zwiebel und das berühmte Bamberger Süßholz hineinkommen.

Der Süßholzanbau ist eine Bamberger Tradition. Süßholz ist eine eher struppige Pflanze. Die drei- bis vier Jahre alten Seitenwurzeln haben Geschmack und werden geerntet. Die Pfahlwurzel dagegen bleibt immer stehen. 1604 war das Süßholz sogar im Wappen der Stadt Bamberg enthalten. Heute sorgen engagierte Familienbetriebe der Bamberger Gärtnerstadt dafür, dass die alten Bamberger Haussorten wie Zwiebel, Knoblauch, Süßholz und Ingwer weiter angebaut werden.

Für die Schlenkerla-Tunke kommt eine Handvoll geraspeltes Süßholz in die Pfanne und wird mit etwas Wasser aufgekocht. Der Sud wird durch ein Sieb gegeben und bei Seite gestellt. In einer weiteren Pfanne werden fein geraspelte Zwiebeln gegeben und mit einem Teil des Süßholzsuds und fränkischem Majoran eingeköchelt.
In der Geschichte der Kulinarik geht es immer auch um das Abheben der höheren Stände vom einfachen Volk. Gewürze waren dabei ein Ausdruck von Reichtum und somit Macht. Heute dienen historische Kochbücher vielen Köchen auf der ganzen Welt als Kreativfundus und Bereicherung der regionalen Ausrichtung eines Restaurants. Dem Küchenteam der Rauchbierbrauerei Schlenkerla ist zu wünschen, dass bald wieder fröhliche Gelage nach mitteralterlicher Sitte im Hause möglich sein werden.
Das Aechte Mittelalter Menü ist in der Rauchbierbrauerei Schlenkerla buchbar ab 15 Personen. Unbedingt empfehlenswert ist das Zubuchen eines Fachvortrags zur Kulinarik im Mittelalter. Das spannende Wissen um frühere Tischsitten und Eßgewohnheiten wird dabei sozusagen portionsweise in das Vier-Gang-Menü eingestreut.
Wandkalender mit Fotos von Georg Berg im Buchhandel (auch online) in verschiedenen Größen erhältlich: Welterbe Gärtnerstadt Bamberg / auch als Familienplaner (*)
Die Recherchereise wurde vor Ort teilweise von Bamberg Tourismus unterstützt