Deventer und Kuchen, das ist wie Lübeck und Marzipan. Die Stadt ist untrennbar mit ihrer Spezialität verbunden. Es ist eine Verbindung mit langer Geschichte. Ihren Ursprung hat die Spezialität im Mittelalter und ihre Verbreitung und Bekannheit hat sie dem blühenden und grenzüberschreitenden Handel der Hanse zu verdanken. Der Deventer Koek ist also eine kulinarische Berühmtheit. Nach Originalrezept, dessen genaue Zusammensetzung bis heute nicht bekannt ist, wird der Honig-Gewürzkuchen bis heute ausschließlich in Deventer hergestellt und von dort in die ganze Welt verschickt. Schon zu Zeiten der Hanse schipperte der Deventer Koeck auf den Handelsschiffen bis nach Norwegen. Es gab Kuchen für König Olav IV. von Norwegen im Tausch gegen nordischen Stockfisch.
Deventer – Hansestadt an der IJssel
Deventer ist eine der ältesten Städte der Niederlande. Der angelsächsische Mönch Lebuinus soll um 806 mit einem Ruderboot über die IJssel gesetzt haben und an genau der Stelle, an der heute die mächtige Lebuinuskirche steht, errichtete der missionierende Mönch eine kleine Holzkirche. Bereits im Jahrhundert vor Ankunft des Geistlichen hatten sich Händler in Deventer niedergelassen. Der Ort entwickelte sich schnell zu einer der wenigen großen Städte im Frühmittelalter. Im 10. Jahrhundert begann die Blütezeit der Stadt. Deventer war bereits mit Stadtrechten und kaiserlichen Privilegien von Kaiser Karl dem Großen ausgestattet worden.
Warenschutz im Zeichen der Zunft
Die Geschichte des Deventer Kuchens reicht viele Jahrhunderte zurück. Laut einer Notiz des Stadtschreibers Nicolaas Verheyden aus dem Jahr 1534 stammt die erste Verordnung über das Backen von Deventer Kuchen aus dem Jahr 1417. Was bedeuten kann, dass der Kuchen bereits zu dieser Zeit eine lange Tradition in Deventer hatte und den Händlern der florierenden Hansestadt nun als besonders schützenswertes Gut erschien. In dieser Verordnung wurden Aussehen und Gewicht eines großen und eines kleinen Kuchens festgelegt. Lang und schmal sollte er sein und zwischen zwei bis drei Pfund wiegen. Die Verordnung hatte einen protektionistischen Charakter, denn außerhalb von Deventer war es nicht erlaubt, Kuchen für den Handel herzustellen. Die Gewürzmischung war das Geheimnis der Zunft und nicht einmal den Bäckern bekannt. Die Kuchenbäcker mussten einen Eid auf die Verordnung ablegen und sogenannte Poldermänner überwachten im Namen der Zunft entlang der eingedeichten Flächen der IJssel die Einhaltung der Verordnung.
Jahrmarkt und Geheimrezept
Das Rezept für den Deventer Koek und die darin verwendete Gewürzmischung sind bis heute geheim. Es ist nicht bekannt, seit wann der Kuchen, der bis heute den Namenszusatz Deventer trägt, in Deventer gebacken wird. Der gut haltbare Honigkuchen stand jedenfalls schon im frühen MIttelalter auf den Handelslisten. Der Kuchen enthält kein Ei und keine Milchprodukte und ist dadurch sehr lange haltbar. Dies machte ihn zu einer beliebten Ware im Hansehandel auch über die Grenzen der Niederlande hinaus. Auf dem Deventer Marktplatz De Brink fand bereits im Frühmittelalter mehrmals im Jahr eine der größten Jahrmärkte Europas statt. Dieser Umstand hat sicherlich zur Bekanntheit und Verbreitung des süßen Kuchens mit Gewürzen wie Zimt, Muskat und Pfeffer beigetragen und führte im 15. Jahrhundert zum Schutz der Spezialität Deventer Koek.
Man nehme sauberes Wasser…
Auch wenn das genaue Rezept nicht bekannt ist, so stehen heutzutage dank europäischer Zutatenverordnung die wesentlichen Inhaltsstoffe des Kuchens auf der Verpackung. Roggenmehl, Honig, Wasser und Gewürze. Betont wird in der alten Rezeptur die Verwendung von „sauberem Wasser“. Ein wertvolles Gut in früheren Zeiten. Ist doch das Mittelalter dafür bekannt, dass man lieber Bier als Wasser trank, da das gebraute Bier weniger Krankheitskeime enthielt als so manches Brunnenwasser. Der Honig hat eine konservierende Wirkung und das Fehlen von Fett und Eiern sorgt dafür, dass die Backwaren gut haltbar sind, wenn sie trocken gelagert werden.
Im Jahr 1593, als die Stadt 13 Bäcker zählte, wurde der Bäcker Schutte als Bäckermeister in die Bäckerzunft aufgenommen. Der Betrieb des einstigen Zunftmeisters Schutte wurde im neunzehnten Jahrhundert von Jacob Bussink übernommen. Der Unternehmer Bussink hielt sich weiter an Traditionen und produzierte nun unter eigenem Namen den Honigkuchen. Bis heute gibt es den Deventer Koek in der traditionellen Form und sogar in dem historischen Maß „Halbe Elle“ im Deventer Koekwinkel am Marktplatz De Brink zu kaufen.
Kuchen für Könige
Der Deventer Koekladen befindet sich seit 1958 in einem Eckhaus am Brink, dem zentralen Marktplatz. Die Inneneinrichtung mit Holztresen und hohen Regalen stammt aus der alten Bussink Bäckerei. Über eine knarzende Treppe gelangt man in den Teeraum im zweiten Stock. Hier hängt ein Bild, das eine Begebenheit aus dem Jahr 1809 wiedergibt. Von 1806 bis 1810 war Lodewijk Napoleon König des – von seinem Bruder Kaiser Napoleon geschaffenen – Königreichs Holland. Der König besuchte die Bäckerei, um mit eigenen Augen zu sehen, wie der berühmte Deventer-Kuchen gebacken wird. In Deventer wird die Geschichte wie folgt erzählt: „Dazu setzte er sich gemütlich auf einen umgedrehten Backtrog, ließ sich alles genau erklären und kostete genüsslich die ihm angebotene Köstlichkeit. Nachdem er seine Bestellung aufgegeben hatte, wollte er seine vor der Tür wartende Kutsche besteigen, aber Fräulein Van der Toorn, die Frau des damaligen Bäckereibesitzers Gerrit van de Toorn, zog den König respektvoll am Arm und stammelte: „Sie haben vergessen zu bezahlen.“ König Ludwig, der Niederländisch nicht allzu gut verstand und es nur sehr schlecht sprach, verstand, dass es sich um eine Geldangelegenheit handelte, und gab seinem Kämmerer den Hinweis, das Versäumnis zu korrigieren. Ein goldschwerer Händedruck zerstreute die Besorgnis der zerlumpten Bäckersfrau, woraufhin der König lächelnd weiter ritt.“ (JB Bussink, Deventer Koekwinkel).
Neue Absatzwege für altes Gebäck
Der weltberühmte Gewürzkuchen wird 2023 bereits seit 430 Jahren gebacken. Aber die Handelswege sind heute andere. Mit der Covid-Pandemie kam der Onlineshop der Firma Bussink in Schwung. Touristen aus aller Welt ordernten den Klassiker aus Deventer. Das alte Tauschgeschäft von Stockfisch gegen Kuchen mag obsolet scheinen, doch gehört es fest zur Identität der Hansestädte an der IJssel. In Deventer ist 2022 eine neue große Wandmalerei entstanden. Das Motiv nimmt Bezug auf Vergangenheit und Gegenwart. Dargestellt ist eine Marktfrau aus dem Mittelalter, die gemeinsam mit ihrem Sohn Waren verkauft. Gut zu sehen ist der Deventer Honigkuchen und der Stockfisch. Beides wichtige Waren im Hansehandel von Deventer. Der Junge trägt darüber hinaus einen Fan-Schal des Fußball-Clubs Deventer Eagle. Fußball war damals noch nicht erfunden, aber der Adler ist seit Kaiser Karl dem Großen Bestandteil im Stadtwappen von Deventer.
Die neun Hansestädte an der IJssel Doesburg, Zutphen, Deventer, Hattem, Zwolle, Hasselt, Kampen, Elburg und Herderwijk feiern 2023 ihren Hanseverbund, der immerhin über vier Jahrhunderte florierte. Um 1500 verlagerte sich das Zentrum der Hanse in das Gebiet der Nordsee. Amsterdam machte den kleinen Städten an der IJssel zunehmend Konkurrenz und nach der künstlichen Verbreiterung des Rheins, grub dieser der IJssel sprichwörtlich das Wasser ab und erschwerte die Schifffahrt.
Holländisches Hansejahr 2023
Heute haben sich die neun Hansestädte erneut zusammengeschlossen. Diesmal um im Verbund Besucher auf die Region und die gemeinsame Geschichte aufmerksam zu machen. 2023 wird es Veranstaltungen und Aktionen in allen Städten des Hanse entlang der IJssel geben. Das Programm hierzu gibt es auf der gemeinsamen Webseite der neun holländischen Hansestädte.
Die Recherchereise wurde vor Ort vom niederländischen Tourismusverband unterstützt.