Eine Revolution auf dem Biermarkt? Noch ist nicht ganz klar, was aus der brandneuen Produktentwicklung der Neuzeller Klosterbrauerei aus Brandenburg wird. Wird das trockenste Bier der Welt den bisherigen Biermarkt pulverisieren? Die Idee von Geschäftsführer Stefan Fritsche trifft den Nerv der Zeit und dürfte den etablierten Großbrauereien gehörig auf die Nerven gehen. Noch ist das Bierpulver geschmacklich weit von der Marktreife entfernt. Bestechend ist aber der ressourcenschonende Ansatz: Statt Glasflaschen und Flüssigkeit wird nur Bierpulver transportiert, das sich erst am Zielort in Bier verwandelt.
Bier ohne Brauprozess
Seit der Wende und der Übernahme durch die Familie Fritsche hat sich das Sortiment der Klosterbrauerei Neuzelle stark erweitert. Neben dem Neuzeller Pilsner und dem Bestseller Schwarzer Abt, einem Schwarzbier mit langer Tradition, gibt es eine große Auswahl an Craft-Bieren wie das Kirschbier mit dem Kirschmuttersaft der Sauerkirsche oder ein Anti-Aging-Bier mit dem Zusatz von Solewasser, Algen und Flavonoiden.
Die Herstellung besonderer Biere hatte die Klosterbrauerei Neuzelle als Klägerin bereits 2005 in einem 13 Jahre dauerenden Rechtsstreit, dem sogenannten Bierkrieg, gegen das Land Brandenburg erstritten. Doch wie sich die Zeiten ändern. Das einst beklagte Bundesland Brandenburg ist mittlerweile zum Förderer der Bierpulver-Idee geworden. Mit Wasser angerührt bildet das Pulver den perfekten Biergeschmack nach. Die Grundzutaten Malz, Hopfen, Hefe, aber auch Sauerstoff und Alkohol sollen einmal im Pulver enthalten sein. Zusammen mit Wasser entsteht dann ein trinkbares Bier. In der Vision von Stefan Fritsche, der die Leitung der Neuzeller Klosterbrauerei von seinem Vater übernommen hat, soll das Pulver eine variable Grundsubstanz sein, bei der Geschmack, Hopfigkeit und Alkoholgehalt angepasst werden können. Der klassische Brauprozess entfällt.
Trockenbier gegen den Klimawandel
Den Slogan für die neue Art der Bierherstellung trägt Stefan Fritsche in goldenen Lettern auf einem schwarzen Hoodie. Dryest Beer – brewing – for Nature. Die Anfang 2023 abgeschlossene Machbarkeitsstudie wurde von der EU und dem Land Brandenburg gefördert. Durch die Einsparung von Transportleistungen liegt ein erheblicher Beitrag gegen den Klimawandel auf der Hand. 500 ml Flüssigkeit stehen 45 g Pulver gegenüber. Das Pulver macht nur rund zehn Prozent eines Flascheninhalts aus. Lieferkosten und Liefermenge werden deutlich reduziert. „Glas und Wasser bleiben vor Ort“, so Stefan Fritsche, „die Zeit ist reif, die klassische Bierproduktion und ihre Logistik auf den Prüfstand zu stellen“. In Zusammenarbeit mit Forschungsinstituten in Österreich und Finnland wurden nun erste Chargen hergestellt, die die Machbarkeit eines Bierpulvers belegen. Stefan Fritsche ist optimistisch. Neben Kritik und Bedenken gibt es auch erste Stimmen aus dem Brauereiverband, die die Idee immerhin als interessant bezeichnen.
Eine Giga-Factory á la Tesla?
Für die nächsten Schritte sucht Stefan Fritsche nun nach Investoren. Sein Plan ist der Bau einer Giga-Factory im Stil von Amazon oder Tesla. Ziel sei es, so Fritsche, das Bierpulver in die ganze Welt zu exportieren und den großen Biermarken Konkurrenz zu machen. Das Medieninteresse am Bierpulver aus Neuzelle ist jedenfalls schon jetzt riesig. Anfragen aus aller Welt erreichen ihn, als hätte er die Formel gefunden, mit der man Blei in Gold verwandeln kann. Dabei habe er im Oktober 2022 eine geradezu distopische Situation erlebt, sagt Fritsche. Es war der Höhepunkt der Ungewissheit in Fragen der Energieversorgung. Aus Sorge, dass die Klosterbrauerei Neuzelle mangels bezahlbarer Energie bald ihre Produktion einstellen müsse, sei er mit seiner Produktinnovation früher als geplant an die Öffentlichkeit gegangen.
Forschung und Marktreife
Das kostbare Bierpulver, in dessen Herstellung 400.000 Euro Forschungsgelder geflossen sind, geht zur Neige. Entsprechend sparsam dosiert Stefan Fritsche die Verkostungsmengen pro Glas. Dieser Charge fehlen noch die Komponenten Alkohol und Sauerstoff. Letzterem hilft Fritsche mit einem Milchaufschäumer auf die Sprünge. Zunächst schwimmt das Pulver auf dem Wasser. Neben einem ausgewogenen Geschmack müsse noch an einer besseren Löslichkeit gearbeitet werden, gibt Stefan Fritsche zu. Doch er und sein Braumeister Peik Schauermann sind optimistisch. In naher Zukunft werden alle notwendigen Bierbestandteile in einem Pulver vereint sein und den internationalen Biermarkt aufmischen.
Stefan Fritsche hat sichtlich Spaß an der Entwicklung dieser disruptiven Technologie für den Biermarkt und freut sich darauf, die etablierten Großkonzerne herauszufordern. Auch Tesla, sagt er, sei anfangs belächelt worden. Bis zur Marktreife werde es noch mindestens ein Jahr dauern, schätzt er. Der nächste Schritt auf dem Weg zum Big Player in einem neu gedachten Biermarkt ist der Einstieg von Investoren. Ob das Bierpulver ohne Brauprozess die bisherigen Herstellungsverfahren ablösen wird, entscheidet der Geschmack. Der Preis wird diesen Kampf nicht entscheiden, denn der Kaufpreis von Pulverbier und Flaschenbier wird vergleichbar sein. Definitiv wird das Pulverbier auf dem Weg zum Konsumenten den weitaus schlankeren CO2-Fußabdruck haben. Der Prototyp aus der Klosterbrauerei Neuzelle, den Stefan Fritsche spontan im Büro angesetzt hat, trägt immerhin schon eine stabile Schaumkrone und der Grundgeschmack des Bieres ist zu erahnen.
Die Recherchereise wurde vom Brandenburg Tourismus unterstützt