Die Gegensätze könnten größer kaum sein. Im Department Var in der Provence exisitieren sowohl hochmoderne Verarbeitungsbetriebe, mehr Labor als Mühle als auch traditionelle Betriebe, die seit Generationen die Olivenernte der Kleinbauern verarbeiten. An den Methoden und am Geschmack scheiden sich die Geister. Die Traditionalisten rümpfen ein wenig die Nase über ihre Hightech-Kollegen. Die Vertreter der Moderne wiederum belächeln die alten und behäbigen Verfahren der Traditionsbetriebe. Für alle Fans von Olivenöl ist es ein Glück, dass beide Welten existieren.
Moderne Zeiten auf der Domaine de Taurenne
Die Olivenhaine der Domaine de Taurenne liegen zwischen Tourtour und Aups in der Provence. Sie wurden 1999 neu strukturiert. Mehr als 11.000 Bäume sind in dieser Zeit auf den alten Terrassen angepflanzt worden. Es wurden lokale Sorten mit der besten Anpassung an die Bodenbeschaffenheit gewählt. Die Bäume der Domaine de Taurenne sind im Verhältnis zu dem biblischen Alter, das Olivenbäume erreichen können noch echte Teenager. Die Neuanlage vor rund 20 Jahren hatte den Vorteil, die Pflanzung auf moderne Ernteverfahren abzustimmen.
Schonende Ernte
Die Erntezeit beginnt in der Region Var im November. Kleine Bäume werden von Hand geerntet. Für die größeren Bäume setzt man auf der Domaine de Taurenne motorbetriebenen Schüttler ein. Der Greifarm legt sicht vorsichtig um den Stamm. Der Baum wird in Schwingung gebracht, so dass die Oliven auf eine am Boden ausgelegte Plane fallen. Für die weitere Beschleunigung des Ernteprozesses wird die Plane mit den Oliven sofort in den Anhänger gezogen. Ziel ist es, die Oliven so schnell und so unbeschadet wie möglich weiterzuverarbeiten. Auf Chateau de Taurenne, betont Betriebsleiter Yann Fernandez, vergehen von der Ernte bis zur Zerkleinerung der Oliven nicht einmal acht Stunden. Die Vorgabe für ein Olivenöl höchster Qualität, dem Extra Virgine liegt bei maximal 24 Stunden Verarbeitungszeit. Die Olivenernte ist immer ein Wettlauf gegen die Zeit, denn Abbau- und Fermentationsprozesse der Olivenfrucht führen zu sensorischen Fehlern bis hin zu muffigen Noten im Olivenöl.
Schnelle Verarbeitung
Nach der Ernte werden die Oliven von Zweigen und Blättern getrennt. Sie kommen auf ein Fließband und werden gewaschen. Danach werden sie samt Kern in einer modernen Schlagmühle vermahlen. Die Zerkleinerung der Oliven findet mit möglichst wenig Sauerstoffeintrag statt. Es entsteht ein Olivenbrei, der gemischt und geknetet wird. Diese Phase nennt sich Malaxation und ist besonders wichtig für ein komplexes Aroma. Im nächsten Schritt werden die festen von den flüssigen Bestandteilen getrennt. Mit Hilfe einer großen Zentrifuge wird dann das Pflanzenwasser vom Öl getrennt. Weder die Olivenpaste noch das Öl werden während der Verarbeitung auf mehr als 27 Grad erhitzt. Nur dann darf ein Olivenöl als kaltgepresst deklariert werden. Damit das Olivenöl haltbarer wird, werden Trübstoffe herausgefiltert. Jede der fünf gewonnene Olivenölsorten werden bei Domaine de Taurenne einzeln in Edelstahltanks gelagert und temperiert. Erst nach einer Untersuchung auf Geschmack, Geruch, Aussehen und Farbe werden, ähnlich der Arbeit eines Kellermeisters, die Olivenöle entweder zu einer Assemblage gemischt oder als sortenreine Variante verkauft.
Geschmack der Kindheit
Die Provence blickt auf eine Jahrtausend alte Geschichte des Olivenbaums und der Ölgewinnung zurück. Denkt man an die traditionelle Verarbeitung von Oliven, tauchen schnell romantische Vorstellungen von Steinmühlen für die Vorzerkleinerung der Oliven und hydraulische Pressen für die Gewinnung des Öls auf. In der Provence findet man diese traditionellen Ölmühlen bis heute. Sie sind seit vielen Generationen in Familienbesitz und haben eine über viele Jahrhunderte dokumentierte Geschichte. Sie bewahren das Handwerk der Olivenölproduktion nach alten Verfahren und erzeugen den alten, authentischen Geschmack, der bis heute gerade von den Einheimischen sehr geschätzt wird. Der vertraute Geruch und Geschmack des Olivenöls nach historischem Vorbild erinnern an eingelegte schwarze Oliven oder Tarpenade.
Der Tradition verpflichtet
Mitten in Draguignan, der ehemaligen Provinzhauptstadt, kann man die lange Geschichte des Olivenöls anschaulich erleben. In der Moulin de Saint-Cassien von Fabrice Godet werden von Mitte Oktober bis Anfang März Oliven gepresst. Die Oliven kommen von den Kleinbauern aus der Region. Ab 300 Kilo bekommen sie das Öl aus den eigenen Oliven. Kleinere Mengen werden nach Gewicht in Öl umgerechnet. Zu Beginn der Saison presst Fabrice Godet aus 10 Kilo Oliven 1 Liter Öl. Im Februar, wenn die Oliven sehr reif sind, dann ergeben schon 5 Kilo Oliven 1 Liter Öl. Ein Feuer knistert im offenen Kamin. Direkt daneben steht der imposante alte Mühlstein, der noch bis 2016 im Einsatz war.
In der Moulin de Saint-Cassien ist jeder Arbeitsschritt einsehbar. Der so achtsam vermiedene Sauerstoffeintrag moderner Mühlen spielt hier keine Rolle. Nach dem Zerkleinern der Oliven wird die Paste, die Grignon, zwischen Matten aus grobem Sisal gefüllt und anschließend für eine Stunde in hydraulischen Pressen fixiert. Eine weitere Stunde steht das frisch gepresste Öl in einem offenen Faß. Mit einer flachen Kelle schöpft Fabrice Godet das Öl von der Oberfläche. Vor hier gelangt es in einen Lagertank. Das Olivenöl der Moulin de Saint-Cassien geht zu 98 Prozent in den Privatverkauf. Stammkunden kommen mit eigenen Flaschen und lassen sich diese direkt aus dem Tank befüllen.
Le Goût à l’ancienne
Wie fest verankert der alte Geschmack von Olivenöl für die Einheimischen ist, lässt sich auch an den Produkten der modernen Betriebe ablesen. Chateau de Taurenne stellt das Goût à l’ancienne her. Die Oliven werden nach der Ernte rund fünf Tage gelagert und dann bei einer Temperatur zwischen 30 bis 38 Grad zerkleinert. So wird auf kontrollierte Weise ein Ferrmentationsprozess in Gang gesetzt, der dank einer schnellen Weiterverarbeitung Bitternoten und unliebsame Würznoten vermeidet. Das Ergebnis ist ein kräftiges, traditionelles Olivenöl, das 2022 wieder mit einer Goldmedaille ausgezeichnet wurde.
Die Besichtigung der Olivenhaine und Verkostungen sind das ganze Jahr über möglich auf Chateau de Taurenne in Aups.
Die traditionelle Le Moulin de Saint-Cassien in Draguignan, liegt in der Rue de l’Observance. Die Produktion geht von November bis März. Der Verkauf ist ganzjährig möglich. Eine Internetpräsenz gibt es nicht.
Im Musée des ATP (Arts & Traditions Populaires) in Draguignan dreht sich alles rund um altes Handwerk. Auch die Geschichte des Olivenanbaus wird erklärt.
Print-Veröffentlichung
Die Recherchereise ist vor Ort teilweise vom französischen Tourismus-Verband unterstützt worden