Deutschland, Österreich und die Schweiz sind in der ganzen Welt für ihre Brotvielfalt bekannt. In Erschmatt, im Schweizer Kanton Wallis, backen die Dorfbewohner noch heute in der historischen Backstube ein Roggenbrot, wie es Jahrhunderte lang üblich war. Mit Händen, Holzwerkzeug und viel Zeit!
Einmal im Jahr, im Dezember, heizen sie den alten Ofen im Gemeindehaus ein. Dann wird das Feuer und der Sauerteig von Familie an Familie übergeben. In Erschmatt wird seit Jahrhunderten Roggenbrot gebacken. Was früher für die Selbstversorger lebenswichtig war, ist heute ein Bewahren alter Traditionen. Mit der Erlebniswelt Roggen Erschmatt wird dieses Backerlebnis auch Touristen zugänglich gemacht.
„Wir verkaufen nicht das Brot, sondern das Erlebnis. Das Wissen darüber, wie man auf traditionelle Weise Roggenbrot hergestellt hat“, erklärt Edmund Steiner von der Erlebniswelt Roggen Erschmatt. Winterroggen ist das Getreide des Nordens. Er wird im Oktober gesät. Wächst dann noch ein wenig, bevor der Schnee kommt und wurzelt tief. Walliser Roggenbrot ist mit der Herkunftsbezeichung AOC geschützt. Dafür muss der Roggen im Wallis gewachsen sein. In fast jeder Bäckerei im Wallis kann man Walliser Roggenbrot kaufen.
Die historische Backstube Erschmatt
Im alten Bürgerhaus befindet sich die Backstube. Sie ist 300 Jahre alt, genauso alt wie der Steinofen. Edmund Steiner greift beherzt in den Mehlsack und redet dabei über Brot. Seine Bedeutung früher und die Bewahrung der Tradition heute. In Erschmatt wird der Roggenteig noch in einem Mehltrog vorbereitet. Es gibt keine Knetmaschine, sondern Hände. Hände, die als Hilfswerkzeug Holzpaddel durch den Teig ziehen. Früher war Brot backen Männersache und mit ein Grund, warum Brot nur selten gebacken wurde. Nur während der Vegetationsruhe hatten die Männer Zeit für Brot.
Hartes Leben, hartes Brot
Die Leute waren früher Selbstversorger. Täglich frisches Brot vom Bäcker, so wie wir es heute kennen, gab es damals nicht. Der Steinofen im Gemeindebackhaus war an den Backtagen rund um die Uhr in Betrieb. Es wurde Tag und Nacht gebacken und von Familie zu Familie wurden Feuer und Sauerteig weitergegeben. Der alte Steinofen bietet dabei Platz für 200 Brote. Das trockene Klima der Region begünstigt die Lagerung und macht das Roggenbrot hart, ohne es zu verderben. Hartes Brot, so Edmund Steiner, war immer noch besser, als gar kein Brot. Das Brot wurde dann gespalten, weil es zum Schneiden schon zu hart war und lies sich in Suppen oder in Milch einweichen. Ein Tipp aus alten Zeiten: Wird ein schon etwas trockener Brotlaib abends mit einem feuchten Küchentuch bedeckt, lässt er sich am nächsten Tag besser in Scheiben schneiden.
Brotlaibe kneten, formen und stempeln
Es ist warm in der Backstube. Ein angenehm säuerlicher Geruch liegt in der Luft. Edmund Steiner hat zur Vorbereitung auf den Workshop rund 15 kg Vorteig angesetzt. Das wird für rund 20 Brote reichen. Der Teig ist warm und feucht. Mehl wird zugemischt. Sechs Kilo Roggenmehl, gewachsen im Wallis, und ein Kilo Sauerteig sowie Wasser und Salz werden verarbeitet. Hinzu kommen noch Zeit und Arbeit. Das Mehl fügt Steiner nach Gefühl und Erfahrung in den Trog. Der Teig ist anfangs sehr klebrig. Mit langen Holzspachteln wird das Mehl unter den Teig gearbeitet.
Wenn Edmund Steiner mit dem Teig arbeitet, sieht das sehr spielerisch aus. Wie einen Ball führt er den Teig über die Arbeitsplatte. Zum Kneten sollen wir nur unseren Handballen benutzen, nicht die Finger. So kann man die Kraft besser nutzen. Alle Schrunde und Spalten im Teig sollen am Ende verschwunden sein.
Edmund Steiner formt eine Teigrolle aus der er die Teiglinge abnimmt. Die Größe des Brotes wird jetzt bestimmt. Roggen ist ein kompaktes Getreide. Ideal ist es, den Teig am Ende in die Form eines Kegels zu bringen. Spalten im Teig sind unerwünscht, daher wird der Kegel nochmal herzhaft auf die Arbeitsbank geworfen, dass es knallt.
Mit hölzernen Prägeformen wird dem Teigling ein Stempel aufgedrückt. So konnten die Dorfbewohner damals nach dem Backvorgang ihre Brote auseinanderhalten. Heute leben Workshopteilnehmer ihren Spieltrieb aus und verzieren das eigene Brot. Damit die Kruste beim Backen kontrolliert aufbricht, werden noch drei Einkerbungen mit dem Messer gesetzt.
Frisch mit Mehl bestäubt werden die Brotlaibe in das Nebengebäude getragen. Auch hier steht ein imposanter Backofen, der von Ofner David Da Pieve schon vor Stunden angeheizt worden ist. Jetzt hat der Ofen 300 Grad und die Brote kommen für eine Backzeit von rund 60 Minuten in den Ofen. Zeit für einen Rundgang durch Erschmatt.
Die Mühsal der Selbstversorger
So ganz will ich noch nicht verstehen, warum in den Dörfern damals so selten Brot gebacken wurde. Edmund Steiner beschreibt den Alltag der Dorfbewohner, den Besucher noch heute an verschiedene Orten in Erschmatt nachvollziehen können. Der Rundgang durch das Dorf ist Teil des Workshops. Im Stadel stehen alle Gerätschaften zum Getreidedreschen bereit. Die Roggenfelder sind vom Dorfrand aus gut sichtbar. Da Leben als Selbstversorger war anstrengend und arbeitsintensiv. Alles wurde von Hand gemacht. Wein, Brot, Fleisch, Mehl, Milch, Gemüse, Kartoffeln. Die Menschen waren ständig beschäftigt. Im Winter, wenn es in der Landwirtschaft wenig zu tun gab, dann war endlich Zeit für das Brot.
Von Auswanderern und Arbeiterbauern
Wenn im Dorf damals Brot gebacken wurde, dann war das ein Gemeinschaftsereignis. Eine Familie nach der anderen hat ihr Brot dann im Gemeindebackhaus gebacken. Dies geschah zwei bis maximal dreimal im Jahr. War die Arbeit auf dem Feld im November beendet und alle Wiesen gemäht, dann konnten die Männer in die Backstube. Bevor die Vegetationsperiode im April wieder begann, wurde ein weiteres Mal gebacken. Danach ging es wieder raus auf die Felder. Das Dorf Erschmatt zählte vor der Industrialisierung zwischen 200 bis 300 Einwohner. Für mehr Menschen reichte der Boden nicht. Die anderen mussten auswandern. Mit Ansiedlung der Industrie im Rhonetal Anfang des 20. Jahrhunderts wurden aus den Bauern oftmals Arbeiterbauern, die tagsüber im Tal arbeiteten und nach der Arbeit noch ihr Land versorgten. Eine Straße bis ins Dorf wurde erst 1956 gebaut. Vorher ging alles zu Fuß oder mit dem Maultier. Arbeiterbauern gab es noch bis Anfang der 1970er Jahre.
Im Wallis gibt es heute noch rund 40 alte Gemeindebacköfen, die einmal im Jahr benutzt werden. Die Leute halten die Tradition aufrecht. Das Backen in der Gemeinschaft ist längst nicht mehr zur Selbstversorgung gedacht. Das Brot wird sofort gegessen oder eingefroren. Am trockenen Klima hat sich nichts geändert, so dass man auch heute rund einen Monat lang schnittiges Brot hat, wenn man das Laib gut verpackt in den Brotkasten legt.
Wandkalender mit Fotos von Georg Berg im Buchhandel (auch online) in verschiedenen Größen erhältlich: Roggenbrot aus dem Wallis / auch als Familienplaner oder auf französisch Pain de Seigle du Valais (*)
Reisetipp
Erschmatt in der Gemeinde Leuk im Wallis nennt sich auch das Roggendorf. Alte Roggensorten und seltene Pflanzen können Besucher im Sortengarten kennenlernen. Man kann Roggen dreschen und mahlen oder in der Backstube des Dorfes nach alter Tradition und mit alten Gerätschaften Roggenbrot backen.
Buchung der Veranstaltung: Roggenbrot backen auf traditionelle Walliser Art – das urchige Erlebnis
Die Recherchereise wurde vor Ort teilweise von Schweiz Tourismus unterstützt