Tenuta San Giorgio am Lago Lugano

Auf dem Weingut arbeitet ein kleines Team von Wein-Enthusiasten. Modernste Erkenntnisse aus der Welt der Vinologie werden hier auf die Eigenheiten jeder Lage abgestimmt. Kerstin Bernadi ist Sommelière und Weinakademikerin. Viel besser noch würde der Titel Weinerzählerin zu ihr passen, so anschaulich und unterhaltsam erzählt sie von Weinbau und Vinifikation. Eine ausgiebige Degustation vorzugsweise am späten Nachmittag belohnt dazu noch mit einem traumhaften Blick auf den Luganer See und die umliegenden Berge.

In dritter Generation bewirtschaftet Mike Rudolph das Weingut Tenuta San Giorgio mit Blick auf den Luganer See / © FrontRowSociety.net, Foto: Georg Berg / © Foto: Georg Berg
In dritter Generation bewirtschaftet Mike Rudolph das Weingut Tenuta San Giorgio mit Blick auf den Luganer See / © Foto: Georg Berg

Der Besuch beginnt im Keller. Kerstin Bernardi gehört seit einigen Jahren mit zum Team von Mike Rudolph, dessen Großmutter das Land über der Bucht von Agno 1940 gekauft hat. Damals standen hier nur ein paar Bäume, aber kein einziger Rebstock. Vater Urs Rudolph pflanzte erste Rebstöcke. Blieb aber Traubenlieferant ohne eigene Kelterei. Gut 80 Jahre später wird Mike Rudolph von zwei Weinfachfrauen im selbstkelternden Betrieb der Tenuta San Giorgio unterstützt. Rea Fellmann ist die Expertin für Rebbau und Keller. Kerstin Bernardi arbeitet mit, wo sie gebraucht wird, egal ob Reben oder Keller. Allerdings sind Veranstaltungen und Degustationen die Kernaufgaben der Sommelière.

Zeit für Experimente: Hier ein Schaumwein aus ausgepressten Merlot-Trauben in Flaschengärung / © FrontRowSociety.net, Foto: Georg Berg / © Foto: Georg Berg
Zeit für Experimente: Hier ein Schaumwein aus ausgepressten Merlot-Trauben in Flaschengärung / © Foto: Georg Berg

Willkommen im Merlot-Land und mehr

Tessin ist gleich Merlot ist gleich Grotto, so sei es in den Köpfen verankert, sagt Kerstin Bernardi, aber das stimme längst nicht mehr. Es tut sich sehr viel. Je mehr Rebsorten, desto mehr Verschnittmöglichkeiten habe man, um Rebsorten und auch Reifegrade zu kombinieren. Derzeit produziert die Tenuta San Giorgio 20 Prozent Weissweine und 80 Prozent Rotweine. Daneben bleibt auch immer Zeit für Experimente. Schaumwein aus ausgepressten Merlot-Trauben in Flaschengärung, nicht weiter degorgiert, könnte zu einem neuen Produkt werden.

Orange Wine aus dem Betonei. Kerstin Bernardi, Weinakademikerin der Tenuta San Giorgio erklärt das Prinzip / © Foto: Georg Berg
Orange Wine aus dem Betonei. Kerstin Bernardi, Weinakademikerin der Tenuta San Giorgio erklärt das Prinzip / © Foto: Georg Berg

Ein weiteres Experiment, aus dem bereits ein Produkt entsprungen ist, ist der Orange Wine. Wir stehen vor den Beton-Eiern und Kerstin Bernardi erklärt das Prinzip. Im Beton-Ei wirbelt die Hefe permanent auf. Es gibt aufgrund des Materials keinen Sauerstoff-Einfluss. Für den Orange Wine werden weiße Trauben so behandelt wie ein Rotwein. Die Trauben werden auf der Maische vergoren, die je nach Sauerstoffzufuhr helle bis dunkelorange Aromatik ist durch den Kontakt mit Schalen und Kernen verändert. Es kommen Tanine in den Wein und dadurch wird der Orange Wine auch zu einem guten Speisebegleiter. Ziel ist die Suche nach einer anderen Farbe und einer anderen Struktur im Gaumen. Diese Art der Weinbereitung betreibt man schon lange in Georgien, dem Land mit der wohl ältesten Weintradition.

In der Tenuta San Giogio wird bevorzugt mit Französischer Eiche gearbeitet / © Foto: Georg Berg
In der Tenuta San Giogio wird bevorzugt mit Französischer Eiche gearbeitet / © Foto: Georg Berg

Fassmanagement und die persönliche Note des Küfers

Wenn alle Komponenten gleich sind und nur das Fass ein anderes, kommt ein unterschiedlicher Wein dabei heraus, sagt Kerstin Bernardi. Wo gewachsen? Wie gewachsen? Wann gefällt? Wie getoastet? All diese Faktoren zusammengenommen machen das Faßmanagement zu einem komplexen Thema. Schön ist die Mischung. Wenn die Weine sich ein Jahr im Fass ausgeruht haben, beginnt die Assemblage aus den verschiedenen Fässern. In der Tenuta San Giorgio arbeitet man gerne mit französischer Eiche für die Barriquefässer. Ein Tessiner Merlot im Kastanienfass, so Kerstin Bernardi, könnte auch spannend sein. Aber das starke Tannin hat sie bei diesem Experiment ausgebremst. Der Geschmack und die Finesse kommen vor dem Heimatgedanken. Im Schnitt kommen rund 90 Prozent gebrauchte Fässer zum Einsatz. Denn das Holz sollte immer nur einen Rahmen geben und nie den Geschmack betonen.

Sorgfältige, naturnahe Arbeit im Rebberg. Kerstin Bernardi erklärt den sanften Rebschnitt, auf den man in der Tenuta San Giogio derzeit umstellt / © Foto: Georg Berg
Sorgfältige, naturnahe Arbeit im Rebberg. Kerstin Bernardi erklärt den sanften Rebschnitt, auf den man in der Tenuta San Giogio derzeit umstellt / © Foto: Georg Berg

Sanfter Rebschnitt und sensationeller Ausblick

Man arbeite von Januar bis September und auf einmal sind sie weg, sagt Kerstin Bernardi und wir gehen durch den Weinberg, der Ende September keine Trauben mehr trägt. Auf der Tenuta San Giorgio wird derzeit auf den sanften Rebschnitt umgestellt. Wir versuchen, so Bernardi, nur noch am Rand zu schneiden. Der Klassiker ist das Heranziehen einer Fruchtrute. Der Stock wird so getrimmt, dass er nur zu einer Seite ausschlägt. Abgestorbene Stücke sind aber empfänglich für Schädlinge. Bei einem sanften Rebschnitt soll der Saftfluss zu beiden Seiten funktionieren und die Rebe nicht mehr in ein so strenges Korsett gesperrt werden. Je mehr man der Rebe die Möglichkeit gibt natürlich zu wachsen, desto gesünder ist sie auch. Eine Bestätigung ihrer Arbeit bekam das Team Anfang 2021 durch die Zertifizierung von Fair’n Green mit dem Siegel für nachhaltigen Weinbau.

Weinproduktion auf der Tenuta San Giorgio. Ende September ist die Weinlese beendet und die Arbeit in der Kelterei in vollem Gang / © Foto: Georg Berg
Weinproduktion auf der Tenuta San Giorgio. Ende September ist die Weinlese beendet und die Arbeit in der Kelterei in vollem Gang / © Foto: Georg Berg

Eben noch sah man nichts als Weinreben, doch schon nach wenigen Metern über einen schmalen Pfad den Weinberg hinunter, öffnet sich der Blick auf den Luganer See. Das Weingut ist von seiner Lage her wie geschaffen für Veranstaltungen. Tessiner Ambiente und Aromen können hier zueinander finden. Kerstin Bernardi findet diesen Flecken Erde und das ganz besondere Licht am späten Nachmittag zum Heulen schön.

Blaue Stunde am Lago Lugano. Herrliches Licht und noch schönerer Blick beim Picknick im Weinberg / © Foto: Georg Berg
Blaue Stunde am Lago Lugano. Herrliches Licht und noch schönerer Blick beim Picknick im Weinberg / © Foto: Georg Berg

Grüne Events zur blauen Stunde

Von der Tenuta San Giorgio bei Cassina d’Agno im Tessin hat man einen Blick auf die Bucht von Agno und über den Seearm des Lago Lugano bis hin zu den Bergen Italiens. So viel Atmosphäre sollte mit anderen geteilt werden. Daraus entstand das Format Picknick in Vineyard gemeinsam mit einer jungen Tessiner Firma namens BeFreeGoGreen. Für die Veranstaltungen werden kleine Picknickinseln mit Blick auf den See locker zwischen den Weinreben verteilt. Heuballen werden zu Sitzgelegenheiten, Paletten zu Tischen, Baumscheiben zu Tellern.

Eine Platte voller Tessiner Köstlichkeiten gepaart mit einer Weinverkostung / © Foto: Georg Berg
Eine Platte voller Tessiner Köstlichkeiten gepaart mit einer Weinverkostung / © Foto: Georg Berg

Auf dem Holz liegt dekorativ eine Affetato Misto, bestückt mit Tessiner Köstlichkeiten wie zum Beispiel die Käsespezialität Zincarlin aus dem Valle di Muggio. Käse mit Walnüssen, Lardo, der grüne Speck vom Schwein, Tessiner Salami und Rohschinken sowie Feigen, Nüsse und Mandeln. Auf die Vorspeisenplatte folgt eine Suppe und später ein Kuchen. Dazwischen kann man sich an der Bar zu den Weinen der Tenuta beraten lassen und verschiedenste Sorten bestellen.

Kerstin Bernardi präsentiert die Weinfamilie des Weinguts / © Foto: Georg Berg
Kerstin Bernardi präsentiert die Weinfamilie des Weinguts / © Foto: Georg Berg

Tessin ist Merlot-Land und somit ist, bei aller Experimentierfreude des Teams, die Merlot-Traube auch der Dreh- und Angelpunkt der Weinfamilie. Der Sottoroccia ist die Visitenkarte und macht Kunden neugierig. Er ist ein perfekter Essensbegleiter, passt zu Tessiner Gerichten wie Steinpilzrisotto, Polenta oder Kastaniengerichten. Sottoroccia ist eine Assemblage aus Merlot, Cabernet Franc und Cabernet Sauvignon. Mit einem Anteil von 15 Prozent sorgt der Cabernet Franc für eine würzige Komponente.

Familie der Weine aus der Tenuta San Giorgio / © Foto: Georg Berg
Familie der Weine aus der Tenuta San Giorgio / © Foto: Georg Berg

Der Crescendo ist ein reiner Merlot und erreicht verlässlich hohe Bewertungen in internationalen Wettbewerben. 2020 war es eine Silbermedaille vom Mondial du Merlot. Das Team der Tenuta schickt den eigenen Wein in internationale Wettbewerbe, auch wenn der größte Anteil der Produktion in der Schweiz verkauft wird. „Crecendo bekommt regelmäßig hohe Bewertungen mit über 90 Parker-Punkten und so wissen wir, dass wir auch international mithalten können. Auch wenn nicht viel ins Ausland geht“, so Kerstin Bernardi.

So bleibt am Ende die Empfehlung, Tessiner Weine ausgiebig im Tessin zu genießen und sich vor Ort einen Eindruck zu machen. Die Tenuta San Giorgio jedenfalls bringt Atmosphäre und Aromen der Region gelungen zusammen. Jeweils donnerstags lädt das Team der Tenuta zu einem Aperitivo mit Degustation und Verkauf in den Innenhof ein. Picknick in Vineyard soll es ab Frühjahr 2021 wieder geben. Darüber hinaus sind Degustationen, Degukurse und kleine Events bis 25 Personen in der Cascina mitten in den Reben und mit Blick auf den See möglich.

Hier geht es zu zwei Reportagen über

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Die Recherchereise wurde zum Teil von Schweiz Tourismus unterstützt

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Permalink der Originalversion: https://tellerrandstories.de/tenuta-san-giorgio-am-lago-lugano
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