Lakritz kennt jedes Kind. Süßholz ist dagegen so vergessen wie das Wählscheibentelefon oder wie Steckrüben und Schwarzwurzeln. Einst jedoch war Süßholz neben Honig das einzige natürliche Süßungsmittel in der Küche. Die Stadt Bamberg führte um 1600 das Süßholz sogar in ihrem Wappen. Bis heute wird die Tradition des Süßholzanbaus in der Gärtnerstadt von Bamberg weitergeführt. Bamberger Familien bewirtschaften dafür historische Anbauflächen mitten im Stadtgebiet.
Süßholz – Passagier der Slow Food Arche
Schutz erhalten alte Gewürze und Gemüsesorten aber nicht nur in Bamberg, sondern auch durch das internationale Projekt Arche des Geschmacks. Die Slow Food Stiftung für Biodiversität schützt weltweit rund 4.700 regional wertvolle Lebensmittel, Nutztierarten und Kulturpflanzen vor dem Vergessen und Verschwinden, die unter den gegenwärtigen ökonomischen Bedingungen am Markt nicht bestehen oder die, wie das Bamberger Süßholz aus der Mode gekommen sind.
Süßholz ist eine eher struppige Pflanze mit bis zu zwei Meter Wuchshöhe. Verwertet wird nur die gelbliche Wurzel. Die drei- bis vier Jahre alten Seitenwurzeln haben Geschmack und werden geerntet. Die Pfahlwurzel dagegen bleibt immer stehen. Noch heute ist es eine beliebte Aufgabe in der Meisterausbildung zum Gärtner meterlange Seitenwurzel unverletzt auszugraben. Altes Wissen soll nicht verloren gehen.

Süßholz raspeln – mehr als ein Spruch
Süßholz ist ein Vielfaches süßer als Rohrzucker. Damit sich die Süße entfaltet, muss die holzige Wurzel geraspelt und in Wasser aufgekocht werden. Der Saft der Süßholzwurzel ist das Ausgangsprodukt für Lakritz. Jemanden Komplimente machen wird auch mit dem Spruch Süßholz raspeln umschrieben. Während der Spruch durchaus noch vielen locker von den Lippen kommt, ist die Süßholzwurzel aus unseren Küchen längst verschwunden.
Man nehme Süßholz für die Tunke
Tunken, dieses alte deutsche Wort hat als Verb in unserer Sprache überlebt. Als Nomen ist es vom Aussterben bedroht und wurde weitestgehend vom englischen Dip verdrängt. Im Mittelalter wurde noch reichlich in Tunken getunkt. Wolfgang Theil und Simon Klein vom Gasthaus Schlenkerla in Bamberg bieten ihren Gästen im Rahmen eines mittelalterlichen Menüs gleich dreierlei Tunken an. Es gibt die Pfefferkuchentunke, die Trauben-Speck-Tunke und eine hauseigene Tunke, in die fränkischer Majoran sowie die Bamberger Zwiebel und das berühmte Bamberger Süßholz hineinkommen.

Lakritz als Wundermittel
Glycyrrhizin ist ein natürlicher Bestandteil des Süßholzsaftes, der zur Herstellung von Lakritz verwendet wird und aus den getrockneten Süßholzwurzeln gewonnen wird. Bei der Suche nach einem Schutz vor dem Corona-Virus, kam sogar zeitweise das Süßholz ins Visier der Forscher. Ein Forschungsteam der Universität Duisburg-Essen soll im Labor die antivirale Wirkung von Glycyrrhizin nachgewiesen haben. Wie wir heute wissen, gibt es leider keinen Lakritz-Drops, der gegen Corona schützen kann. Lakritz in Maßen verleiht aber guten Atem und kann auch bei leichter Überkeit sehr hilfreich sein. Gewarnt wird vor zuviel Lakritz. Eine Tagesdosis von mehr als 200 mg Glycyrrhizin, je nach Lakritzsorte 100 g Lakritze, so das BfR, Bundesinstitut für Risikobewertung, kann zu Bluthochdruck, Wassereinlagerungen und Muskelschwäche führen.
Schäumchen ziehen
Es gab eine Zeit vor der gemeinen Lakritzschnecke, da hatten Kinder ihre Freude daran, ein Stückchen echtes Lakritz in eine kleine Flasche mit Leitungswasser zu stecken, den Daumen auf die Öffnung zu halten und wie blöde zu schütteln bis es schäumte. Dieser Schaum war die Leckerei, die man aus der Flasche saugte und dann wurde wieder geschüttelt. Ein Träumchen für alle Eltern, deren Kinder heute ganz andere Süßigkeitenphantasien haben.
Weitere Aspekte: Kochen mit Lakritz, Rezepte aus dem Mittelalter, Interview mit einem Koch und Historiker, Biodiversität, die Passagiere der Arche. Slow Food Stiftung für Biodiviersität, wie Bamberger Gärtnerfamilien alte Saaten retten, die Tradition der Bamberger Gärtnerstadt.
Material
Wandkalender mit Fotos von Georg Berg im Buchhandel (auch online) in verschiedenen Größen erhältlich: Welterbe Gärtnerstadt Bamberg / auch als Familienplaner (*)
Wolfgang Theis, Chefkoch (links) und Simon Klein, Historiker, machen das kulinarische Mittelalter wieder lebendig. Die historischen Räumlichkeiten in der Gaststätte Schlenkerla verpassen dem Konzept der beiden Rezeptforscher das perfekte Ambiente / © Foto: Georg Berg
Süßholzwurzel wird gerieben und in wenig Wasser aufgekocht. So zieht man die Süße aus der Würzel / © Foto: Georg Berg
Wirrwarr an Süßholzwurzeln. Auch oberirdisch ist das Süßholz eine struppige Erscheinung. Im Mittelalter war das Süßholz für Bamberg sehr bedeutend und sogar Bestandteil des Stadtwappens / © Foto: Georg Berg
Historische Anbauflächen inmitten der Stadt. Im Hintergrund St. Otto, die 1911 - 1914 von Orlando Kurz erbaute Pfarrkirche des Gärtnerviertels / © Foto: Georg Berg
Um 1900 gab es noch über 500 Gärtnerbetriebe in der Stadt. Heute sind es nur noch 18 Gärtnereien, die sich unter der Marke "Gutes aus Bamberg" zusammengeschlossen haben / © Foto: Georg Berg
Auf dem Stadtacker umgeben von Wirsing, Kurkuma und Ingwer erzählt Sebastian Niedermaier von einigen der über 60 Gemüsesorten, die sein Betrieb anbietet / © Foto: Georg Berg
So entlockt man dem Süßholz die Süße. Geraspelt und in Wasser aufgekocht / © Foto: Georg Berg
Der Schlenkerla ist allgegenwärtig. So nannten die Bamberger den Bierbrauer Andreas Graser, zweiter in der Generation der heutigen Eigentümerfamilie. Er schlenkerte beim Gehen auffällig mit den Armen und bekam so seinen Spitznamen / © Foto: Georg Berg
Das Haus in der Dominikanerstraße 6 in Bamberg ist ein prominentes Beispiel für das an ein Grundstück verbriefte Braurecht aus dem Mittelalter / © Foto: Georg Berg
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