Im gesamten Alpenraum findet man noch viele traditionelle Produkte, die mit viel Leidenschaft und Fachwissen angebaut oder hergestellt werden. Auf unseren Reisen in die Schweiz stellten wir immer wieder fest: hier herrscht nicht nur eine sprachliche, kulturelle und landschaftliche Vielfalt, hier hat sich auch ein kulinarischer Pluralismus etabliert. Im Tessin mit seinen vielen engen Seitentälern und kleinen Bergdörfern, gibt es bis heute kulinarische Schätze zu entdecken. Verbunden sind diese Entdeckungen immer mit der Bekanntschaft leidenschaftlicher Bewahrer von altem Wissen und Traditionen. Ohne diese Menschen, die sich teils beruflich komplett einem einzigen Thema verschrieben haben, wären bereits viel kulinarisches Erbe verloren gegangen.
Kulinarische Botschafter aus dem Tessin
Der Zincarlin, ein kegelförmiger Rohmilchkäse ist eine kulinarische Besonderheit, die es nur im Valle di Muggio gibt. Der Frischkäse, der noch im 19. Jahrhundert von vielen Familien im Tal nach eigener Rezeptur produziert wurde, wird erst seit 2004 wieder zum Verkauf angeboten. 2001 kostet der Präsident von Slow Food Tessin auf dem jährlichen Kastanienfest im Muggiotal vom kleinen kegelförmigen Käse mit dem intensiven Geschmack. Darauf befindet er den Käse und seine Geschichte würdig, Teil der Slow Food Familie zu werden. Marialuce Valtulini kennt den Käse noch aus der eigenen Familientradtion und ist eine von wenigen Frauen, die sich im Tal wieder um die Herstellung und Vermarktung des Zincarlin kümmern.
In der Altsdtadt von Locarno verwandelt Arno Antognini seit über 30 Jahren gehaltvolle Zutaten wie Butter, Eier, kandierte Früchte und Nüsse in ein locker-leichtes und zugleich saftiges Gebäck. Der Konditor ist weit über die Landesgrenzen für seinen hervorragenden Panettone bekannt. Es ist die Kraft des Sauerteigs, die Lievito Madre, die dem Panettone seine wattige Leichtigkeit verleiht. Kaum zu glauben, aber der Grundteig in der Pasticceria Marnin besteht zu 70 Prozent aus Butter. Rund ums Jahr dreht sich im Haus an der Piazza San Antonio alles um den Weihnachtsklassiker. Denn anders als in Italien, wird Panettone im Tessin das ganze Jahr gegessen.
Er ist der Mann mit dem Strohhut. Viele Jahre hat Ilario Galbani an der Wiederauferstehung des Farina Bona getüftelt. Die letzte Müllerin von Vergeletto im Onsernonetal starb 1958. Niemand verfolgte die Tradition für die das Tal weithin bekannt war nach ihrem Tod weiter. In einem Zeitraum von 20 Jahren kam Ilario dem fast vergessenen Geheimnis von Farina Bona aus Vergeletto auf die Spur. Wie entstand die besondere Aromatik, der fast schon betörende Duft, der sich auf das Backwerk überträgt?
Gabriella Monfredini ist Gastgeberin von Swiss Tavolata, bei der Schweizer Küche vom eigenen Hof, aus dem eigenen Garten oder wie bei Gabriella Fische aus dem Heimatsee serviert werden. Im Lago Lugano schwimmen Hechte, Döbel, Forellen und auch Schleien. Gabriella Monfredini hat ihr ganzes Leben an und auf dem Luganer See verbracht. Schon ihre Mutter fischte für ihr Leben gern und nahm sie oft mit raus auf den See.
Fotos: Essen und kulinarische Schätze aus dem Tessin
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Der perfekte Panettone hat die perfekte Balance zwischen luftigem Teig und dem Aroma kandierter Früchte / © Foto: Georg Berg
Wie schneebedeckte Kuppeln kommen die Panettone Maron aus dem Ofen. Der Schneezucker bleibt lange crunchig und bildet zum luftigen und mundfüllenden Inneren einen tollen Kontrast / © Foto: Georg Berg
Damit die prächtige Kuppel nicht in sich zusammensinkt, werden Panettone sofort nach dem Backen über Kopf zum Auskühlen gehängt / © Foto: Georg Berg
Die kleinen voran! Mini-Panettone verlassen als erstes den Backofen und werden zum Abkühlen auf ein Gestell gespießt / © Foto: Georg Berg
Portionieren, wiegen und formen … / © Foto: Georg Berg
Elastisch, glänzend und gelb. Mit bloßen Händen teilt Arno Antongnini den Vorteig für die unterschiedlichen Panettone-Sorten Tradizionale, Nostrano und Pandananas / © Foto: Georg Berg
Der Mann mit dem Strohhut. Viele Jahre hat Ilario Galbani an der Wiederauferstehung von Farina Bona getüfftelt / © Foto: Georg Berg
Aus den unterschiedlichen Mahlgraden entstehen unterschiedliche Produkte. Das feine und seidige Farina Bona Mehl wird zum Backen und Aromatisieren von Speisen genutzt / © Foto: Georg Berg
In einer Kaffeeröstmaschine werden die Maiskörner bei 200 Grad geröstet. Wenn rund 1/3 der Körner gepoppt sind, ist der perfekte Röstgrad für Farina Bona erreicht / © Foto: Georg Berg
Effektive Steillage. Das Wasser rauscht in Vergeletto gleich an fünf Mühlen vorbei. Heute ist nur noch die Mühle von Ilario Galbani in Betrieb und gleichzeitig ein offenes Denkmal, das jederzeit besichtigt werden kann / © Foto: Georg Berg
Während draußen das Mühlrad von Wasserkraft angetrieben wird, sorgt im Inneren der Mühle immer noch eine uralte Mechanik für die perfekte Feinheit der Farina Bona / © Foto: Georg Berg
Ilario Galbani füllt den gerösteten Mais in den Trichter der Mühle. Dazwischen blitzen die bei der Röstung gepoppten weißen Maiskörner auf / © Foto: Georg Berg
Eine Auswahl der Produkte mit Farina Bona. Vom Polentamehl, über Biscotti bis zu Bier. Alles ist auch im Dorfladen von Vergeletto erhältlich / © Foto: Georg Berg
Vom Wasser aus betrachtet: Die Kirche Santa Maria del Sasso von Morcote, darunter die historische Altstadt. Viele kleine Restaurants säumen die Uferpromenade / © Foto: Georg Berg
Gabriella erzählt Geschichten vom See. Mal braust sie über das Wasser. Dann plötzlich wird das Tempo gedrosselt und eine Geschichte erzählt / © Foto: Georg Berg
Gabriella serviert viele teils in Vergessenheit geratene Fischgerichte. Die meisten Fische stammen aus dem Luganer See / © Foto: Georg Berg
Zur Begrüßung gibt es kleine Fischfrikadellen und ein typisches Sommergetränk. Aus kleinen Keramikkrügen wird einfacher Weisswein gemischt mit Limonade serviert / © Foto: Georg Berg
Gabriella in der Küche. Geradezu galaktisch schweben große Töpfe und Pfannen am Kellerfirmament / © Foto: Georg Berg
Die Cantine von Gabriela Monfredini in Melide. In den Kellerräumen des ehemaligen Naturkellers sind heute eine Küche und ein Speiseraum mit langer Tafel untergebracht / © Foto: Georg Berg
In Morcote liegt auch der Parco Scherer. Ein Skulpturenpark und botanischer Garten. Hier fast in Ufernähe steht ein zugewachsener Vogelturm. Heute eine Skulptur der besonderen Art, die an den Fang der Singvögel im Tessin erinnert / © Foto: Georg Berg
In Cerentino können Besucher, in dem aufwändig renovierten historischen Patrizierhaus Cà Vegia mit jahrhundertealter Originaleinrichtung aber ohne Elektrizität wohnen. Lokale Lebensmittel unterstreichen die Autentizität / © Foto: Georg Berg
Zincarlin in einem Felsenkeller. Produktion des traditionellen Zincarlin Käses aus dem Muggio Tal im Tessin, Mendrisio. Drei verschiedenen Altersstufen der Tessiner Kästespezialätit werden hier gelagert. Die Käse Zylinder werden fast jeden Tag mit Weißwein abgewaschen / © Foto: Georg Berg
Marialuce Valtulini in ihrem Felsenkeller, der sogenannten Cantine in Salorino. In einem normalen Jahr wären alle Fächer mit den kleinen, zylinderförmigen Käsen gefüllt, aber seit der Covid Pandemie ist die Produktion zurückgefahren. Denn der Zincarlin wird gerne von Touristen gekauft und diese bleiben aus / © Foto: Georg Berg
Ausgeklügelte Belüftungstechnik: Löcher wurden in den Felsen gebohrt und sogar im Sommer strömt so die kühle Luft aus dem Berg in den Felsenkeller / © Foto: Georg Berg
Eingangstür einer traditionellen Cantine in Salorino, Circolo di Mendrisio,Tessin. Heute werden nur noch wenige von ihnen als Kühlraum benutzt / © Foto: Georg Berg
Risotto mit Blaubeeren und Zincarlin serviert in einem Kupfertopf. In Circolo di Balerna, Tessin, Schweiz / © Foto: Georg Berg
Weinlese im Tessin, Circolo di Balerna, Schweiz / © Foto: Georg Berg
Die beste Lage auf dem Weingut Tenuta San Giogio mit Blick auf den Lago Lugano, Circolo d'Agno, Tessin / © Foto: Georg Berg
Weinproduktion auf der Tenuta San Giorgio. Ende September ist die Weinlese beendet und die Arbeit in der Kelterei in vollem Gang / © Foto: Georg Berg
Die Alpenregionen – Wandern und Kulinarik
Aus dem Alpenraum, hier Schweiz bietet unsere Redaktion weitere Themen aus den Kantonen Wallis, Tessin, Zürich und Basel-Stadt. Jedes Thema kann ausführlich ausgebaut werden.
Digital Detox im Tessin
Anstatt einfach einen Schalter umzulegen, sollte man im Ca’Vegia im kleinen Ort Cerentino im Tessin lieber immer eine Streichholzschachtel bei sich tragen. Es ist ratsam bei Tageslicht die Kerzenständer frisch zu bestücken und noch einen Krug mit frischem Wasser von draußen zu holen. Wo kühle ich meine Getränke und wie lange brauche ich bis das Feuer brennt und die Polenta im Kupferkessel kocht? Das sind die Fragen, die man sich stellt, wenn kein Strom im Haus ist. Eine Entschleunigung der ganz besonderen Art.
Die Recherchereise wurde vom Schweizerischen Tourismusverband unterstützt.