Hákarl. Haifisch-Snack aus Island

Die isländische Küche ist weltweit für zwei sehr gegensätzliche Dinge bekannt. Zum einen ist es die innovative und moderne nordische Küche. Sie steht für frische, lokale Zutaten und Fermentierung. Auf der anderen Seite gibt es einige traditionelle Spezialitäten, die ihren Ursprung in Island haben und bis heute nur dort erhältlich sind. Eine Ausnahme ist Skyr, ein proteinreicher Quark. Er hat den Sprung in die europäischen Supermärkte geschafft. Viele andere isländische Spezialitäten sind dagegen bis heute Kuriositäten geblieben. Einige von ihnen landen regelmäßig auf den Hitlisten der ekligsten Lebensmittel der Welt. Eine dieser Delikatessen, die besonders viel Spott und Verachtung ertragen muss, ist Hákarl, ein streng schmeckender Snack aus dem Fleisch des Grönlandhais.

Fleisch vom Grönlandhai beim Trocknen. Nach wenigen Tagen an der Luft wird die äußere Schicht braun. Die Trocknung dauert vier Monate / © Foto: Georg Berg
Fleisch vom Grönlandhai beim Trocknen. Nach wenigen Tagen an der Luft wird die äußere Schicht braun. Die Trocknung dauert vier Monate / © Foto: Georg Berg

Der Grönlandhai – ein tiefgründiges Wesen

Über den Grönlandhai, auch Eishai genannt, ist nicht viel bekannt. Bisher dachte man, dass diese Art ausschließlich in der arktischen Tiefsee lebt, bis 2022 ein Exemplar in der Karibik gesichtet wurde. Wie viele von ihnen in den Weltmeeren schwimmen, weiß niemand. Der Grönlandhai fühlt sich in Wassertiefen zwischen 1.000 und 2.500 Metern und bei Temperaturen von minus ein bis fünf Grad Celsius am wohlsten. Die Tiere können bis zu 1.200 Kilogramm schwer werden und wachsen unglaublich langsam, dafür aber ihr Leben lang.

Hvítserkur ist ein 15 m hoher Basaltfelsen, der aus der Húnaflói-Bucht herausragt. In Island ist er auch bekannt als der Troll Nordwestislands / © Foto: Georg Berg
Grönlandhaie bekommen Menschen selten zu Gesicht. Zu Stein gewordene Trolle sind leichter zu sichten, so wie Hvítserkur ein 15 m hoher Basaltfelsen © Foto: Georg Berg

Grönlandhaie gehören zu den Schlafhaien. Bei ihnen geht alles sehr langsam. Ein Weibchen wird erst im zarten Alter von 150 Jahren geschlechtsreif. Von allen Wirbeltieren wird der Grönlandhai am ältesten. Erst 2016 fand man heraus, dass er bis zu 400 Jahre alt werden kann. Grönlandhaie sind perfekt an das Leben in der arktischen Tiefsee angepasst. Früher wurde aus ihrer riesigen Leber Lampenöl gewonnen. Heute ist der Grönlandhai nur noch Beifang. Etwa 80 Tiere gehen den isländischen Fischern jährlich ins Netz. Sie werden an die wenigen Verarbeitungsbetriebe für Hákarl geliefert oder landen in Forschungsstationen. Seit man weiß, dass der Grönlandhai der Methusalem der Weltmeere ist, ist das wissenschaftliche Interesse an ihm erwacht.

Einsam liegt das Hai-Museum Bjarnahöfn auf der Halbinsel Snæfellsness rund 170 Km von Reykjavik / © Foto: Georg Berg
Einsam liegt das Hai-Museum Bjarnahöfn auf der Halbinsel Snæfellsness rund 170 Km von Reykjavik / © Foto: Georg Berg

Hákarl – Haifisch für Hartgesottene

Hákarl ist fermentierter oder nach alter Tradition vergorener Hai. Die Methode stammt aus einer Zeit, als Island sehr arm war und die Bevölkerung in den langen Wintern Hunger litt. Traditionell wurde der Hai in ein flaches Loch gelegt und mit Sand und Kies bedeckt. Obenauf legte man sehr schwere Steine. Sie pressten die Körperflüssigkeiten aus dem Tier. Dieser Zustand dauerte je nach Jahreszeit sechs bis zwölf Monate. Die ungenießbaren und giftigen Stoffe sollten auf diese Weise austreten. Damit beginnt der eigentlich unappetitliche Teil, der dazu beiträgt, dass der Verzehr des Hákarls bei Touristen als Mutprobe gilt.

Fleisch vom Grönlandhai beim Trocknen. Zuvor wird das Fleisch 6 - 12 Wochen fermentiert. Früher in Erdlöchern vergraben, heute in spezielle Wannen gelegt. Nach wenigen Tagen an der Luft wird die äußere Schicht braun / © Foto: Georg Berg
Fleisch vom Grönlandhai beim Trocknen. Zuvor wird das Fleisch 6 – 12 Wochen fermentiert. Früher in Erdlöchern vergraben, heute in spezielle Wannen gelegt / © Foto: Georg Berg

Hákarl wird hauptsächlich aus dem Grönlandhai gewonnen. Dieser Tiefseebewohner hat keine Harnwege, um den Urin aus dem Körper zu befördern. Er scheidet den Urin über die Haut aus, was zu einer hohen Harnsäurekonzentration im Fleisch führt. Würde ein Mensch einen frisch gefangenen Grönlandhai verspeisen, könnte er als Reaktion Blut erbrechen. Erst bei der Weiterverarbeitung verliert das Fleisch seine giftige Wirkung. Grönlandhai wird auch als Trockenfutter für Hunde angeboten. All dies sind wertvolle Sammelpunkte für Hákarl, um in der Rangliste der ekligen Nahrungsmittel ganz oben zu stehen.

Guðjón Hildibrandsson ist Manager im Familienbetrieb Bjarnahöfn Shark Museum. An einem Haifischmaul demonstriert er das Fressverhalten der Haie / © Foto: Georg Berg
Guðjón Hildibrandsson ist Manager im Familienbetrieb Bjarnahöfn Shark Museum. An einem Haifischmaul demonstriert er das Fressverhalten der Haie / © Foto: Georg Berg

Hai Museum Bjarnahöfn

Hákarl hat eine über 400 Jahre alte Tradition. Seit 1608 fängt und verarbeitet die Familie von Guðjón Hildibrandsson Eishai. Bjarnarhöfn ist ein abgelegener Hof auf der Halbinsel Snæfellsness. Bis Reykjavik sind es 170 Kilometer, bis zur nächsten Stadt 25. Von Snæfellsness sagt man, dass es alle Naturwunder Islands auf kleinem Raum vereint. Gletscher, Vulkane, Wasserfälle, schwarze Lavastrände mit bizarren Felsformationen, Küstenwanderwege und eben die Möglichkeit, den berühmten Gammelhai zu probieren und etwas über die Tradition des Haifischfangs zu erfahren. Diese Kombination gibt es nur auf Bjarnahöfn. Es empfiehlt sich daher, den Schildern entlang der einsamen Straße zu folgen und an einer Führung auf Bjarnahöfn teilzunehmen. Für isländische Verhältnisse ist das mit umgerechnet 10 Euro pro Person übrigens ein günstiger Ausflug.

Hákarl Verkostung im Haifisch-Museum Bjarnarhöf. Das Fleisch wird in kleine Würfel geschnitten und mit Schnaps und Roggenbrot serviert / © Foto: Georg Berg
Hákarl Verkostung im Haifisch-Museum Bjarnarhöf. Das Fleisch wird in kleine Würfel geschnitten und mit Schnaps und Roggenbrot serviert / © Foto: Georg Berg

Erst Verrotten, dann verkosten

Wegen des starken Ammoniakgeruchs erzählte man sich früher, dass während des Pökelns im Erdloch auf die Haie uriniert wurde, um die Giftstoffe zu neutralisieren. Aber das ist ein Ammenmärchen. Der einzige Urin, der hier im Spiel ist, ist der des Hais. Nach der Fermentierung oder gezielten Verrottung, die heute in Bottichen und nicht mehr in Erdlöchern stattfindet, wird der Hai in Stücke geschnitten und mehrere Monate an der Luft getrocknet. Mit der Zeit bekommt der Hai eine braune Kruste. Immer noch umgibt das Haifischfleisch eine olfaktorische Aura zum Davonlaufen. Steht der Wind ungünstig und nähert man sich einem Trockenhaus für Hákarl von der falschen Seite, schlägt einem ein stechender Uringeruch entgegen. Wie ist es dann möglich, dass sich Menschen freiwillig einen Happen Grönlandhai in den Mund stecken?

Hakarl Tasting für Anfänger. Dem stechenden Geschmack nach überreifem Schimmelkäse folgt ein isländischer Schnaps mit dem Namen Schwarzer Tod / © Foto: Georg Berg
Hakarl Tasting für Anfänger. Dem stechenden Geschmack nach überreifem Schimmelkäse folgt ein isländischer Schnaps mit dem Namen Schwarzer Tod / © Foto: Georg Berg

Mutprobe mit Schnaps

Das weiße, zarte Fleisch wird in kleine Würfel geschnitten. Einheimische wie Guðjón Hildibrandsson kauen die Fleischwürfel mit Genuss. Er schwört auf die verdauungsfördernde und reinigende Wirkung des Haifleischs und isst jeden Tag ein paar Würfel. Für die Isländer gehört Hákarl zu den traditionellen Festen. 95 Prozent der Produktion gehen daher in den isländischen Handel. Außerhalb Islands ist Hákarl als abendlicher Snack auf dem Sofa wie bei Guðjón kaum vorstellbar. Eine Ermutigung für alle, die noch zögern, Hákarl zu probieren: Schlimmer als der Geschmack ist auf jeden Fall der beißende Geruch, der die Trockenhütte umgibt. Der erinnert an einen sehr reifen Schimmelkäse. Bei Guðjón und seiner Familie bekommen Anfänger auf Wunsch auch ein Gläschen Brennivín zur Unterstützung. Der isländische Schnaps wird im Volksmund auch Schwarzer Tod genannt. Seit der Prohibition, die in Island 1915 in Kraft trat, trägt Brennivín ein schwarzes Etikett, das früher zur besseren Abschreckung noch mit einem Totenkopf versehen war.

Trockenhaus für Hákarl, fermentierter Grönlandhai und isländische Spezialität, Hai Museum Bjarnahöfn / © Foto: Georg Berg
Trockenhaus für Hákarl, fermentierter Grönlandhai und isländische Spezialität, Hai Museum Bjarnahöfn / © Foto: Georg Berg

Das Bjarnahöfn Shark Museum liegt auf der Halbinsel Snæfellsness. Das Museum ist ab April geöffnet. Seit einiger Zeit gibt es auf dem Hof auch ein Bistro mit herrlichem Blick auf die Bucht, in dem neben Carpaccio von der Graugans auch Haifischflossensuppe serviert wird. Gleich hinter dem Bistro befindet sich das Trockenhaus. Aber nach mehr als 400 Jahren an diesem Ort weiß man auf Bjarnahöfn, woher der Wind weht, und hat das Trockenhaus clever platziert.

Wunderliche Island Geschichten

Magisch, mystisch, wunderlich. Auf unserer Reise durch Island haben wir überwältigende Natur erlebt, die Vorzüge der Geothermie genossen und so manch absonderliches Gericht oder vom erst 1989 legalisierten Bier probiert. In Island gibt es zwar Führungsschafe, aber unter gar keinen Umständen Ponys. Dafür haben die Nachfahren der Wikinger heute beheizte Bürgersteige, immer noch brodelnde Vulkane und viel Kreativität, die in den langen dunklen Monaten das beste Rezept gegen eine beginnende Winterdepression ist. In weiteren Episoden geht es um haarige Bierflaschen, versteinerte Trolle und Wunschsteine. Fermentierter, grausam stinkender Grönlandhai steht im Kontrast zum Roggenbrot, das in heißer Erde gebacken wird. Die regelmäßig vor Húsavík auftauchenden Wale sind ein beliebtes Fotomotiv beim Whale Watching.

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