Schon lange möchte ich einmal bei einer Olivenernte dabei sein. Griechenland, Italien, Südfrankreich, egal. Relativ spontan wird es sein, denn den genauen Zeitpunkt der Ernte bestimmen die Olivenbauern immer kurzfristig. Es wäre wahrscheinlich irgendwann Ende Oktober oder November. Da können die Temperaturen auf einer griechischen Insel oder in der Provence noch sehr angenehm sein. Doch statt einer Reise in den Süden, kam Corona. Und dann, ganz unerwartet, eine Einladung zur Olivenernte in unmittelbarer Nachbarschaft, nach Pulheim bei Köln.
Italienisches Ambiente bei Köln
Umberto Tozzi schmettert Ti Amo aus dem Verstärker und die Erntehelfer zupfen gut gelaunt schwarze, violette, rote und auch grüne Olivenfrüchte aus den Bäumen auf einem Feld in Pulheim bei Köln. Hier stehen im 12. Jahr 115 Olivenbäume der Sorte Lecchino. Dieser Olivenbaum wächst normalerweise in den Hochlagen der Toskana und in Umbrien. Aber auch auf dem fetten und fruchtbaren Boden der Gilbacher Lösslehmplatte gedeiht der Baum, der für ein langes Leben, für Weisheit, Kraft und Fruchtbarkeit steht, Jahr um Jahr besser.
Es ist Ende November, die Sonne scheint, die Bäume tragen außergewöhnlich viele Früchte und so soll zum ersten Mal aus den Oliven vom Gartenhof Becker in Pulheim Öl gewonnen werden. Es dürfte eine Weltpremiere sein. Erstmalig wird Olivenöl auf dem 51. Breitengrad hergestellt, so weit nördlich wie nie zuvor.
Olivenenthusiasten am Werk
Hinter dem Projekt stehen der Olivenbauer Bastian Jordan, dessen Firma Jordan Olivenöl auf der griechischen Insel Lesbos 50.000 Bäume beerntet. Sowie Michael Becker, der gemeinsam mit seinem Bruder den Gartenhof Becker in Pulheim betreibt. Becker hat aus reiner Leidenschaft für die Olive 2005 auf einer Freifläche den Olivenhain angelegt. Der Olivenhain ist gleichzeitig ein Lehrpfad für die Kunden seines Gartenhofs. Entlang der fünf Reihen Olivenbäume stehen Informationstafeln zu Wachstum und Pflege. Im Juni findet an langen Tischen zwischen den Bäumen immer ein Olivenfest statt und die Olivensaft Sommelière Carmen Sánchez bietet dann Verkostungen und Sensorik-Workshops rund um Olivenöle an.
Feldversuch mit langem Atem
Die Idee vom Olivenhain am Niederrhein wurde über die Jahre ein echter Feldversuch mit starken Verlusten durch Winterfrost. So gibt es stetig Neupflanzungen und Zupflanzung von Befruchtersorten für eine bessere Ernte. Die Plantage steht im offenen Gelände. Durch anderen Kulturen ist sie etwas windgeschützt. Der Abstand von Baum zu Baum beträgt 3,50 Meter, der Reihenabstand vier Meter. Nach jedem harten Winter testeten Michael Becker und sein Bruder andere Sorten. Darunter Leccino, Cipressino und Olivastra Seggianese. Michael Becker bleibt immer zuversichtlich, denn nirgendwo sonst in Deutschland, sagt er, sind die Winter milder als in der Kölner Bucht. Zudem wird die höhere Frostgefahr durch den sehr fetten Boden, den er seinen Olivenbäumen in Pulheim bieten kann, ausgeglichen.
Olivensaft aus rheinischen Oliven
Über 200 Kilo rheinische Oliven wurden mit der Hilfe befreundeter Nachbarn von den 115 Olivenbäumen geerntet. Genug um erstmalig an einer kleinen mobile Handpresse, den Saft aus den Oliven zu holen. In modernen Ölmühlen wird der Olivensaft per Zentrifugalkraft aus den Früchten gewonnen. Hier im Feldversuch auf dem Gartenhof Becker wird die kleine Ernte nicht mit Hightech, sondern mit einfachen Geräten und den herkömmlichen Arbeitsschritten: waschen, zerkleinern und pressen gewonnen.
Am Ende des Erntetages werden es 3,5 Liter Olivenöl sein, die die kleine Handpresse aus der Maische herausholt. Michael Becker und Bastian Jordan sind zufrieden. Schließlich ist es eine kleine Sensation und das Ergebnis ihrer Leidenschaft für Oliven. Einen wirtschaftlichen Nutzen verfolgen Becker und Jordan nicht mit ihrem Projekt. Vielmehr geht es darum zu zeigen, dass sich durch den Klimawandel die Vegetationszonen verschieben. Denn die ertragreiche Ernte auf dem 51. Breitengrad ist nur möglich, weil der Olivenhain bei Köln seit rund 10 Jahren ohne Frost durch den Winter kommt. Was dies aber für viele Schädlinge und ihre Verbreitung bedeutet, wissen wir auch.
Reden wir über Olivensaft – mit Carmen Sánchez Garcia
Die Stoffe, die wir am Olivenöl besonders schätzen, die den Geschmack und seine gesundheitsfördernden Wirkung ausmachen, sind Polyphenole und andere Antioxidantien. Der größte Feind des Olivenöls ist Sauerstoff. Er setzt unerwünschte Oxidations- und Fermentationsprozesse in Gang. Daher sind moderne Ölmühlen regelrechte Hightech-Labore, in denen es vor allem darum geht, an den Olivenbrei, zu dem die gepflückten Früchte sofort nach der Ernte verarbeitet werden, möglichst wenig Sauerstoff kommen zu lassen. Alle Pflanzenteile des Olivenbaums enthalten den Bitterstoff Oleuropein, ein starkes Antioxidans, von dem vermutet wird, das es der Grund für die hohe Widerstandskraft und das biblische Alter der Bäume von bis zu 1.000 Jahren sein kann.
Die Olivenernte so nah am eigenen Wohnort stellte sich gleich als doppelter Glücksfall heraus. Unter den Erntehelfern an diesem Tag ist auch Carmen Sánchez Garcia. Die Spanierin ist Sommelière für Olivenöl. Für Carmen ist ein Olivenöl der Spitzenqualitiät ein Olivensaft. Oliven geben tiefaromatische Säfte ab, liefern ein gesundes Fett und ein einzigartiges sensorisches Genusserlebnis, sagt sie. Diesen Ölsäften widmet sie ihre Arbeit. Mit ihrer Agentur für Olivensaft berät sie Produzenten, sitzt in internationalen Jurys von Olivenöl-Wettbewerben und gibt Sensorik-Workshops, um die frischen Aromen, würzigen Bitternoten und die wärmende Schärfe von besten Olivenölen für jede und jeden erlebbar zu machen.