Es zischt, blubbert und dampft. Am Laugarvatn See, eine Autostunde von Islands Hauptstadt Reykjavik entfernt, ist einer dieser Orte, an dem man lernt, wie Isländer ihre oft archaisch wirkende Natur nutzen. In diesem Fall nicht zum Baden oder zum Beheizen zugefrorener Bürgersteige, sondern zum Backen von Brot. Rúgbrauð ist ein dunkles, lange gegartes Roggenbrot ähnlich dem deutschen Pumpernickel, nur süßer.

Rúgbrauð bekommt man in Island in jedem Supermarkt. Dann ist es jedoch konventionell in einem Ofen gegart. Von Hverabrauð spricht man, wenn der Brotteig in der Erde und mit der Energie einer heißen Quelle gebacken wird. Durch die Hitze während des langen Backvorgangs karamellisiert der Zucker. Das macht Hverabrauð fast unwiderstehlich, wenn es nach 24 Stunden wieder ausgegraben wird. Allerdings sollte man seinen Appetit etwas zügeln. So lecker das Brot auch schmeckt, es liegt schwer im Magen und bringt den Darm in Turbulenzen. Das hat ihm einen anderen Namen eingebracht. Man nennt es auch Donnerbrot.

Geothermie – Energie zum Nulltarif
Während in der ganzen Welt die Energiepreise in die Höhe schießen, nutzen die Isländer seit der Besiedlung im 7. und 8. Jahrhundert n.Chr. die Energie der heißen Quellen. Siedlungen entstanden schon früh in ihrer Nähe. Bis heute ist die Geothermie eine der wichtigsten Energiequellen des Landes. Das Grundwasser in Island liegt vielerorts so nahe an Magmakammern, dass es extrem heiß ist und zur Energiegewinnung genutzt wird. Aufzeichnungen aus dem 12. Jahrhundert belegen, dass die heißen Quellen schon damals zum Kochen genutzt wurden. Dabei ging es auch um Ressourcenschonung. So mussten die Siedler weder das knappe Holz noch den wertvollen Torf verbrennen. Das Backen des landestypischen Roggenbrotes Hverabrauð an einer heißen Quelle kann man bei einer Islandreise in der Nähe von Reykjavik und im Nordosten am See Myvatn erleben.

Laugarvatn Fontana Bakery am Golden Circle
Am Laugarvatner See steigt unübersehbar Dampf empor. Ein großes schwarz-gelbes Schild warnt vor den hohen Temperaturen. Unzählige heißen Quellen im Wasser oder direkt am Seeufer blubbern und zischen. Hier wo die nordamerikanische und die euroasiche Erdplatte aufeinandertreffen, gibt es besonders viele davon. Sigurdur Rafn Hilmarsson ist gebürtiger Laugarvatner. Hverabrauð haben schon seine Großmutter und seine Mutter an den blubbernden Stellen am See gebacken. Seine Familie kann diesen Brauch bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen. Siggi Hilmarsson wurde im 200-Seelen-Dorf Laugarvatn geboren. Er hat miterlebt, wie die Zahl der Touristen in Island von Jahr zu Jahr gestiegen ist. Zwischen 2010 und 2018 hat sich die Zahl der Touristen verfünffacht. In Laugarvatn wusste man die prominente Lage am Golden Circle zu nutzen.

Auf der 230 Kilometer langen Panoramastrecke liegen die Naturwunder Islands wie auf einer Perlenkette. Wer aus Reykjavik kommend zum Geysir, dem Namensgeber aller Geysire und zum donnernden Wasserfall Gulfoss möchte, der kommt auch an Laugarvatn vorbei. Siggi Hilmarsson ist der Ideengeber und heutige Manager von Laugarvatn Fontana. Die ursprüngliche Attraktion von Laugarvatn war das Geothermalbad. In den 1920er Jahren stand an derselben Stelle des Sees ein Badehaus. Heute ist es eine schicke Wellness-Oase.

Dass neben dem Baden auch das Backen bei Touristen sehr beliebt ist, merkte der gelernte Koch Hilmarsson, als er vor einigen Jahren im Hotel von Laugarvatn vor Jahren einen Aushang machte und anbot, ihn beim Vergraben des Brotes, an die heißen Quellen zu begleiten. Am nächsten Morgen standen 80 Leute an der Rezeption. Eine Woche später klopfte der erste Reiseveranstalter an und die Erfolgsgeschichte der Laugarvatn-Bäckerei nahm ihren Lauf. Auch in der Nebensaison bietet die Laugarvatn Bäckerei zweimal täglich eine Backvorführung mit anschließender Verkostung an. In der Hochsaison im Sommer sind es sogar drei Termine.

In Gummistiefeln zum Backofen
Das Brot-Event in Laugarvatn ist so beliebt, dass es einen Lageplan gibt, der ein bisschen wie eine Schatzkarte aussieht. Die Backstellen heißen Maria, Viktor oder Erla. Das Team der Fontana Bakery muss vermerken, wann es wo einen Brottopf vergraben hat, so dass die nächste Schicht weiss, an welcher heißen Stelle ein ausgebackenes Brot gehoben werden kann. Beatrice, in Gummistiefeln und Regenjacke, schnappt sich eine Schaufel. In der anderen Hand trägt sie einen in Folie gewickelten Topf. Die Backform mit Deckel ist halb gefüllt mit Brotteig aus den Zutaten Roggenmehl, Hefe, Milch, Wasser, Salz und Zucker. Sie führt die Gruppe zu einem kleinen Erdkegel namens Sean. Der Stein zuoberst zeigt an, dass dieser Platz mit einem Brot belegt ist. Das Ufer mit den heißen Backstellen steht auch heute noch allen Bewohnern von Laugarvatn zur Verfügung, erzählt sie. Schon ihre Großmutter hat hier Brot gebacken.


Mit gezielten Spatenstichen legt sie das Backloch frei. Der Brottopf ist heiß und voller Erde. Daher bekommt er erstmal eine Dusche im See. Das entfernt den Dreck und kühlt das Metall ab. Die Folie schützt sowohl im Backloch als auch beim Reinigen im See vor dem Eindringen von Wasser. Noch draußen an der heißen Quelle öffnet Beatrice den Topf und zeigt allen die dunkelbraune, leicht gewölbte Oberseite des Brotes. Nach 24 Stunden in der heißen Erde ist das Roggenbrot in seiner eigenen Feuchtigkeit gebacken.


Bevor es ans Probieren geht, muss erst das neue Brot in einem der heißen Löcher vergraben werden. Beatrice stellt die frische Backform in das Loch und schaufelt etwas von dem warmen Wasser über den Topf. Sofort steigt heißeres Wasser von unten nach. Manchmal, wenn es sehr viel regenet und das Wasser im See ansteigt, werden die heißen Quellen geflutet. Dann werden die Brote nicht gar, weil die Temperatur im Backloch sinkt. Zudem wandern die Löcher, erklärt Beatrice. Die heißeste Stelle ist nicht immer am exakt selben Ort. Ein Anzeiger für ein perfektes Backloch sind silberne Flecken im Sand und Dampf, der aus kleinen Löchern emporsteigt.
Zurück im Foyer des Geothermal-Bads wird das Brot aus der Form gestürzt, mit einem langen Messer geviertelt und in dünne Scheiben geschnitten. Beatrice erklärt, dass die Isländer ihr Rúgbrauð gerne mit viel Butter essen. Etwas edler ist die Kombination mit geräucherter Forelle. Am Laugarvatn kommen die Forellen aus dem See. Das Roggenbrot ist noch lauwarm und schmeckt, wie eingangs erwähnt, köstlich. Besonders in der Kombination mit dem Räucherfisch.
Das Rezept für Hverabrauð stammt von der Großmutter des Geschäftsführers Siggi Hilmarson. Es ist kein gut gehütetes Familiengeheimnis, jeder kann es mitnehmen und sein Glück versuchen. Aber ohne eine heiße Quelle, die dem Brot die besondere Karamellnote verleiht, wird das Backergebnis wohl kaum an das Original vom Laugarvatn heranreichen. Wer es trotzdem versuchen möchte, findet hier das Rezept. Für das Roggenbrot aus dem Schwarzen Sand verwendet die Fontana Bakery: 5 Tassen Roggenmehl, 2 Tassen Mehl, 2 Tassen Zucker, 4 Teelöffel Backpulver, 1 Teelöffel Salz, 1 Liter Milch und 250 ml Wasser. “Verði þér að góðu
Backen und Baden
Bei diesem Stopp auf dem Golden Circle kann man das Baden in heißen Quellen mit der kulinarischen Attraktion von Rúgbrauð mit Forelle verbinden. Schließlich ist der Laugarvatn See nicht nur zum Abkühlen heißer Brotformen da! Baden kann man das ganze Jahr über in der Laugarvatn Fontana Geothermal Baths and Bakery. Backen dagegen nur von Anfang Juni bis Ende September. Auch interessant ist ein anderer Blick unter die Erdkruste. In Reykjavik wird das Wasser der heißen Quellen zum Beheizen der Bürgersteige genutzt. Eine weitere Delikatesse des Landes ist Hakarl, das etwas streng schmeckende Fleisch des Grönlandhais. Wer keine Tiere essen, aber anschauen möchte, sollte wissen, wie man in Island über Pferde denkt und warum es nur dort die schlauen Anführerschafe gibt.
Wunderliche Island Geschichten
Magisch, mystisch, wunderlich. Auf unserer Reise durch Island haben wir überwältigende Natur erlebt, die Vorzüge der Geothermie genossen und so manch absonderliches Gericht oder vom erst 1989 legalisierten Bier probiert. In Island gibt es zwar Führungsschafe, aber unter gar keinen Umständen Ponys. Dafür haben die Nachfahren der Wikinger heute beheizte Bürgersteige, immer noch brodelnde Vulkane und viel Kreativität, die in den langen dunklen Monaten das beste Rezept gegen eine beginnende Winterdepression ist. In weiteren Episoden geht es um haarige Bierflaschen, versteinerte Trolle und Wunschsteine. Fermentierter, grausam stinkender Grönlandhai steht im Kontrast zum Roggenbrot, das in heißer Erde gebacken wird. Die regelmäßig vor Húsavík auftauchenden Wale sind ein beliebtes Fotomotiv beim Whale Watching.