Dezerter Markt in Tbilisi

Der größte Lebensmittelmarkt in Georgiens Hauptstadt Tbilisi ist eine Institution. Über die Jahre hat er sich ausgebreitet und umfasst nun ein ganzes Stadtviertel. Sein Name, Dezerter Markt, erinnert an einen Konflikt vor über 100 Jahren, der wie so oft in Georgiens Geschichte mit Russland zu tun hat. Der Name (übersetzt Markt der Desertierten) stammt von Soldaten, die 1921 aus dem Russisch-Georgischen Krieg flohen und ihre Waffen und Ausrüstung auf dem Marktplatz verkauften. Seit Jahrhunderten mischt sich Russland in Georgiens Angelegenheiten ein. 

Streetart am Dezerter Markt. Der größte Markt in Tiflis hat seinen Namen in den 1920er Jahren erhalten, als desertierte Soladaten aus dem Russland-Georgien-Krieg hier ihre Ausrüstung und Waffen verkauften / © Foto: Georg Berg
Streetart am Dezerter Markt. Der größte Markt in Tiflis hat seinen Namen in den 1920er Jahren erhalten, als desertierte Soladaten aus dem Russland-Georgien-Krieg hier ihre Ausrüstung und Waffen verkauften / © Foto: Georg Berg

2024 steht Georgien erneut vor einer ungewissen Zukunft. Das kleine Land im Südkaukasus liegt auf dem gleichen Breitengrad wie Rom. In den Straßen zeugen unzählige Graffitis vom Wunsch, Teil der Europäischen Union zu werden. Seit 2010, zwei Jahre nach Russlands militärischem Angriff auf Georgien, überspannt die Friedensbrücke den Fluss Mtkwari und verbindet die Altstadt mit einem Park und dem Präsidentenpalast. Überall in der Stadt wehen Europafahnen, seit 2021 flankiert von blau-gelben Ukraine-Fahnen. Graffitis auf Hauswänden verfluchen Putin. Laut Umfragen wünschen sich 70 Prozent der Menschen den EU-Beitritt. Die Parlamentswahl im Oktober 2024 galt als Richtungswahl, doch das Ergebnis begünstigt die russlandfreundliche Partei Georgischer Traum. Wie passt das alles zusammen? Die Menschen in Georgien sind in Aufruhr. 

Graffiti an einer Hauswand in Tiflis: Russians go to Hell / © Foto: Georg Berg
Graffiti an einer Hauswand in Tiflis: Russians go to Hell / © Foto: Georg Berg

Ungewisse Zukunft, auch für den Dezerter Markt

Anfang 2024 präsentierte die Stadtverwaltung Pläne, Teile des Dezerter Bazars in ein Einkaufszentrum umzuwandeln. Das Hauptgebäude soll weichen, ein halber Häuserblock mit Ständen im Freien geräumt werden. Schätzungen zufolge wären über 100 Geschäftsinhaber direkt betroffen, noch mehr müssten während der Bauarbeiten umziehen. Eine Frist für die Teilräumung verstrich im August. Seitdem kursieren verschiedene Termine: vielleicht nach den Wahlen im Oktober, vielleicht erst 2025 oder später. Sicher scheint nur, dass der Umbau kommt. Einen Besuch auf diesem lebhaften Markt sollte man nicht aufschieben. Wer weiß schon, wann die Bagger anrücken? 

Händler mit getrockneten Beeren und Berberitzen sowie Gewürzen auf dem Dezerter Markt in Tiblisi. Dezerter Bazaar ist der größte Markt für Lebensmittel in Tbilisi. Seit Anfang 2024 kursieren Pläne, nach denen das Hauptgebäude einem Einkaufszentrum weichen soll und hunderte Händler ihre Standflächen rund um das alte Gebäude verlieren / © Foto: Georg Berg
Händler mit getrockneten Beeren und Berberitzen sowie Gewürzen auf dem Dezerter Markt in Tblisi / © Foto: Georg Berg

Gewürzpyramiden und Essiggurken

Der Dezerter Markt ist vor allem ein Obst- und Gemüsemarkt für Großhändler und private Kunden. Im Sommer stammen frische Produkte aus georgischem Anbau. Hier gibt es Gewürze, Nüsse, Essiggurken, Käse und Fleisch. Früher hatte der Basar eine eigene Weinabteilung, heute bieten nur noch wenige Händler lokale Weine an. Probieren und mit allen Sinnen einkaufen ist erwünscht. Auch ohne Englischkenntnisse kommt man mit Zeichensprache und Geschmackssinn gut zurecht. 

Ein Nussverkäufer bietet Wein zum Verkosten an. Früher gab es auf dem Dezerter Basar eine ganze Weinabteilung. Heute gibt es nur noch wenige Weinhändler / © Foto: Georg Berg
Ein Nussverkäufer bietet Wein zum Verkosten an. Früher gab es auf dem Dezerter Basar eine ganze Weinabteilung. Heute gibt es nur noch wenige Weinhändler / © Foto: Georg Berg

Tschurtschchela – Nuss am Faden

Ein Blickfang auf dem Basar ist das georgische Konfekt Tschurtschchela. Nüsse, meist Haselnüsse oder Walnüsse, werden an einem Faden aufgereiht und mit Pelamuschi, einem eingekochten Traubensaft mit Stärkemehl, überzogen. Diese wie bunte Tropfkerzen an den Ständen hängende Süßigkeit hat in Georgien eine lange Tradition. Tschurtschchelas sind ein nahrhafter Proviant auf den oft langen und beschwerlichen Wegen durch die raue Landschaft des Kaukasus. Heute haben sie Kultstatus und werden scherzhaft als Georgische Snickers bezeichnet. 

Tschurtschchela (ჩურჩხელა) ist ein georgisches Konfekt. Nüsse überzogen mit Pelamuschi, einer Kuvertüre aus eingekochtem Traubensaft mit Stärkemehl ohne Zucker / © Foto: Georg Berg
Tschurtschchela (ჩურჩხელა) ist ein georgisches Konfekt. Nüsse überzogen mit Pelamuschi, einer Kuvertüre aus eingekochtem Traubensaft mit Stärkemehl ohne Zucker / © Foto: Georg Berg

Vintage unter Wellblech

Geschichte und Geschmack treffen auf dem größten Freiluftmarkt von Tiflis aufeinander. Neben frischen Produkten, Gewürzen und traditionellen georgischen Spezialitäten gibt es auch Secondhand-Ware, sortiert nach Warengruppen. Turnschuhe stapeln sich bis zum Wellblechdach. Wer hier den Retroschuh seiner Träume sucht, braucht Ausdauer und Glück. 

Dezerter Bazaar ist der größte Markt für Lebensmittel in Tbilisi. Auf dem riesigen Marktgelände gibt es auch Vintage Kleidung und Marken-Schuhe in einem Wellblech-Lagerhaus. Seit Anfang 2024 kursieren Pläne, nach denen das Hauptgebäude einem Einkaufszentrum weichen soll und hunderte Händler ihre Standflächen rund um das alte Gebäude verlieren / © Foto: Georg Berg
Auf dem riesigen Marktgelände gibt es auch Vintage Kleidung und Marken-Schuhe in einem Wellblech-Lagerhaus / © Foto: Georg Berg

Ungeschminkt und aus dem Leben

Der Dezerter Markt ist ideal, um die georgische Kultur und Küche kennenzulernen. Hier pulsiert das Leben, es ist chaotisch und rau. Die Händler sind Fremden gegenüber herzlich und aufgeschlossen. Stolz auf ihre Produkte, lassen sie uns probieren, riechen und testen. Von schmuddeligen Ecken sollte man sich nicht abhalten lassen, einheimische Spezialitäten zu kosten und Souvenirs zu kaufen. 

Ein Scherenschleifer und Obsthändler auf dem Dezerter Bazaar in Tiblisi. Der Markt hat seinen Namen in den 1920er Jahren erhalten, als desertierte Soladaten aus dem Russland-Georgien-Krieg hier ihre Ausrüstung und Waffen verkauften / © Foto: Georg Berg
Ein Scherenschleifer und Obsthändler auf dem Dezerter Bazaar in Tiblisi / © Foto: Georg Berg
Großhhändler liefern Melonen in einem Lkw auf den Dezerter Markt. Es handelt sich um einen Obst- und Gemüsemarkt, der sowohl Großhandel als auch Direktverkauf anbietet. Frisches Obst und Gemüse überwiegend aus georgischem Anbau wird hier verkauft sowie Gewürze, Essiggurken, Molkereiprodukte und Fleisch / © Foto: Georg Berg
Großhändler liefern Melonen in einem Lkw auf den Dezerter Markt / © Foto: Georg Berg

Auf dem Dezerter Markt werden auch hausgemachte Weine und Tschascha, ein georgischer Tresterbrand, angeboten, die oft in wiederverwendeten Limonadenflaschen verkauft werden.

Rund um den Dezerter Markt in Tiblisi wird auch mit gebrauchten Verpackungen gehandelt, hier Glasflaschen. Der größte Markt in Tiflis hat seinen Namen in den 1920er Jahren erhalten, als desertierte Soladaten aus dem Russland-Georgien-Krieg hier ihre Ausrüstung und Waffen verkauften / © Foto: Georg Berg
Rund um den Dezerter Markt in Tiblisi wird auch mit gebrauchten Verpackungen wie Glasflaschen gehandelt / © Foto: Georg Berg

Beste Besuchszeit für den Dezerter Basar

Der Dezerter Basar liegt nördlich der Altstadt von Tiflis auf der östlichen Seite des Flusses Mtkwari. Es gibt viele Zugänge, der Haupteingang befindet sich in der Tsinamdzgvrishvili-Straße. Der Markt ist täglich von 7 bis 17 Uhr geöffnet. In den frühen Morgenstunden herrscht der größte Andrang. Gegen Mittag ebbt der Strom der Einkäufer ab. Dann werden in den Restaurants der Stadt die frisch gekauften Waren, wie knackige Gurken und tiefrote Tomaten, mit einer Paste aus Sonnenblumenöl und Walnüssen zu dem typischen georgischen Salat vermengt, der auf fast jeder Speisekarte steht. 

In der Zwischenzeit geht das weltpolitische Pokerspiel weiter. Ein Graffiti aus der ersten Amtszeit von Donald Trump als US-Präsident könnte 2024 kaum aktueller sein. Leider ist es bis heute nicht gelungen, die beiden Herren einzumauern. Mehr politische Streetart aus Tbilisi.

Straßenkunst in Tbilisi, Georgien. Donald Trump und Vladimir Putin spielen Schach und trinken dabei georgischen Wein / © Foto: Georg Berg
Straßenkunst in Tbilisi, Georgien. Donald Trump und Vladimir Putin spielen Schach und trinken dabei georgischen Wein / © Foto: Georg Berg

Eine mehrtägige Wanderung durch Tuschetien hat unseren Blick auf das Leben der Menschen in dieser schwer erreichbaren Grenzregion Georgiens gelenkt. Für zwei Wochen haben wir uns Giorgi anvertraut, der uns von der ersten Minute an mit der Begeisterung für sein Heimtland angesteckt hat. Er ist ausgebildeter Reiseleiter und Mitinhaber der georgischen Reiseagentur Enjoy Georgia. Anders als der Name vermuten lässt, buchen hier viele Kunden aus dem deutschsprachigen Raum. Das Personal ist flexibel und die Verständigung unkompliziert. Da wir uns nicht selbst um Gepäcktransport, Verpflegung und Ablauf kümmern mussten, konnten wir uns voll und ganz auf die interessanten Informationen des Wanderführers einlassen. Bonuspunkt dabei: unser georgischer Reiseführer hat Geschichte studiert. Eine weitere Attraktion in Georgiens Hauptstadt ist neben dem Dezerter Markt die Tbilisi-Skybridge als architektonische Attraktion.

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