„Mon Dieu“ – seien wir mal ehrlich – viele Dinge klingen im Französischen einfach besser, eleganter, geradezu mysteriös und leicht verrucht. Absinthe, auf deutsch Absinth ist so ein Wort. Dieser Name trägt den Geschmack des Verbotenen. Irgendwie hat jeder schon davon gehört. Details sind oft unbekannt. Dabei lohnt sich ein Blick auf die bewegte Geschichte dieses Getränks, das übersetzt ins Deutsche einfach nur Wermut bedeutet und Assoziationen an einen Kräuterbitter aus Opas Kellerbar heraufbeschwört. Aber bei Absinth ist das anders.
Die grüne Fee und die bittere Wahrheit
Absinth, ihn umwehen große Namen der Belle Epoche, neben vielen anderen waren ihm auch Picasso, van Gogh oder Hemingway zugeneigt. Später wurde das verführerisch grüne Getränk mit der langsam tropfenden kalten Quelle und dem verzierten Zuckerlöffel zur epochentypischen Requisite in Kinofilmen wie Bram Strokers Dracula. Dazu ein 96 Jahre währendes Verbot in Frankreich, dem Land, in dem Absinth seine größten Absatzerfolge feierte. Jede Menge Verschwörungstheorien, die mittlerweile wissenschaftlich widerlegt wurden, bis hin zu einer medial ausgeschlachteten Familientragödie aus dem Jahr 1905, die einem heutigen Shitstorm gleich, dem Absinth den Todesstoß versetzt und zu seinem Verbot 1910 in der Schweiz und ab 1915 in Frankreich führt.
Route de l’Absinthe von Pontarlier bis ins Val de Travers
All den aufregenden Details rund um den Absinth kann man heute mit Vergnügen in der Freizeit nachspüren. Die einst in der Absinth-Produktion konkurrierenden Regionen haben eine gemeinsame Route erarbeitet, an deren Wegstrecke historische Stätten, aber auch bis heute aktive Destillerien liegen.
Wir besuchen das Maison de l’Absinthe in Motiers, im Val de Travers. In diesem Tal wurde der Absinthe in seiner Mischung aus Wermut, Anis und Fenchel sowie je nach Rezeptur mit weiteren Kräutern wie Ysop oder Melisse erfunden. 1797 entstand hier die erste kommerzielle Brennerei. Heute erinnert ein Museum an die wechselvolle Geschichte des Absinths. Der Durchbruch ist aber den zahlreichen Brennereien im französischen Pontarlier zu verdanken. Dort wurden bis zum Verbot 1915 enorme Mengen produziert.
Absinth – in der Antike galt er als Heilmittel
Kurios ist der Wandel des Absinths vom Heilmittel zum bösen und verruchten Kraut. Seit der Antike gilt der große Wermut als Tausendsassa der Heilkunst. Schon damals wurde Wein mit Wermut versetzt. Seine therapeutische Wirkung deckte ein großes Spektrum ab: Vom probaten Schlafmittel, Mittel gegen Magenbeschwerden, Rheuma, Seekrankheit und Gicht. Ja sogar bei Haarausfall und Würmern in den Ohren soll er Linderung verschaffen.
Der Erfolg von Absinth, die Belle Epoche und die grüne Stunde
Zur Mode wurde Absinth über die französischen Soldaten in den Kolonialgebieten. Die Militärärzte mischten ihren Soldaten Absinth in das oft verunreinigte Trinkwasser, um Krankheitserreger unschädlich zu machen. Die Heimkehrer setzen diese Gewohnheit fort. Absinth wurde in den frühen Abendstunden ab fünf Uhr konsumiert.
Die Künstler der Belle Epoche griffen dieses Trinkritual auf, zelebrierten es und verewigten den Absinth in ihren Gemälden und Erzählungen. Aus heutiger Sicht erscheint es, als wäre die ganze Elite der europäischen Kunstszene von Absinth berauscht durch das Paris des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts gewankt. Henri Toulouse-Lautrec und Vincent van Gogh gehörten zu den bekannten Absinth-Trinkern. Manet, Degas und Baudelaire ließen den Absinth sprichwörtlich auch in ihre Kunst einfließen. Gauguin und Picasso wählten des öfteren das Motiv des Absinth-Trinkers. Absinth war das erste Getränk, das Frauen, die nicht zur Halbwelt gehörten, in der Öffentlichkeit trinken konnten. Der Kräuterbitter war weitaus günstiger als Wein. Das langsame Verdünnen mit Wasser aus der kalten Quelle konnte über Stunden in die Länge gezogen werden. Ein willkommener Grund, um länger in den Bars zu verweilen, statt wieder in die beengte Unterkunft in einer Großstadt wie Paris zurückzukehren. Anfang des 20. Jahrhunderts hatte Paris daher eine unerhört hohe Dichte an Bars und Cafes.
Der Geschmack des Verbotenen – das Ende des Absinths
Das jähe Ende kam zwischen 1907 und 1923 in fast ganz Europa. Zu viele angebliche Absinth-Abhängige, Sittenverfall und eine gute Lobbyarbeit der Winzer, die immer mehr Kundschaft an den Absinth verloren, sowie ein Familiendrama mit tödlichem Ausgang, sorgten für eine Negativ-Stimmung auf breiter Ebene. Die Prohibition war nicht mehr aufzuhalten. Aber dennoch überlebte der Absinth in der Schweiz durch Schwarzbrennerei. In Frankreich verlegten sich die Brennereien auf die Produktion von Pastis. Die berühmteste Marke wurde Pernod.
Absinth – Herstellung in Zeiten der Prohibition
Vor allem im Val de Travers blühte die Schwarzbrennerei. Jeder im Ort wusste, was es bedeutet, wenn der Geruch von Anis durch die Straße zog. Doch es galt das Gesetz der Verschwiegenheit. In den Abendstunden zogen die Absinth-Kuriere von Haus zu Haus und füllten die Vorratsflaschen ihrer Kundschaft wieder auf. Unter ihren langen Mänteln trugen sie der Körperform angepasste Flachmänner mit großem Fassungsvermögen.
Etwa 80 Jahre nach dem Verbot wurde Absinth in der EU – reglementiert – wieder zugelassen. Seit dem gewinnt Absinth wieder stetig an Popularität. Es gibt ihn heute in den unterschiedlichsten Qualitäten, Farben und Alkoholkonzentrationen. Sehr interessant ist, dass einige Hersteller, Absinth nach eigenen, alten Rezepturen wieder herstellen. Man kann davon ausgehen, dass sich diese Produkte nicht grundlegend von den Produkten des 19. Jahrhunderts unterscheiden.
Absinth – Opfer des eigenen Erfolges
Zwischen 1907 und 1923 wurde Absinth in so gut wie allen europäischen Ländern verboten. In Pontarlier, der Hochburg der Produktion verlegte man sich auf die Herstellung von Pastis auf der Basis von Anis. Die Verwendung von Wermut war verboten. Denn das im Wermut enthaltene ätherische Öl Thujon wurde für die schädlichen Auswirkungen wie Schwindel, Halluzinationen und geistigem und körperlichen Verfall verantwortlich gemacht. Heute ist wissenschaftlich belegt, das die vielen Schädigungen eher auf den Konsum von zu viel und zu schlechtem Alkohol zurückzuführen sind. Selbst der Thujon-Gehalt des historischen Absinths soll niemals einen gesundheitsgefährdenden Anteil besessen haben. Vielmehr war es vor allem die erfolgreiche Lobbyarbeit der Winzer, die zum Verbot von Absinth führte, den sie waren die Verlierer im Absinth-Boom. Denn der Kräuterbitter war günstiger als Wein.
Die Balance aus Bitterkeit und Süße
Die kalte Quelle – das sehr kalte Wasser tropft auf den Würfelzucker und durch den reich verzierten Löffel in das Glas mit dem Alkohol auf Raumtemperatur. Der Wermuth verfärbt sich milchig-grün. Dieser Effekt ist Namensgeber für die grüne Stunde. Ab fünf Uhr am Nachmittag war Treffpunkt in den Bars.
Das Spiel der kalten Quelle, die hohen Gläser, der Löffel, die dezente Dosierung machte Absinth auch zu einem Getränk der Damenwelt. Ein wohldosierter Rausch in Zeiten des aufblühenden Jugendstils. Ein Ritual mystisch und spirituell, das bis spät in die Nacht gespielt wurde. Über die Künstlerszene und ersten Kinofilme wurde es weiter in die Gesellschaft transportiert.
Absinth in Cocktails und Speisen – bittere Triumphe
Bittere Gemüsesorten wie Kohl und Chicoree sind auf dem Vormarsch, der Kaffee- und auch der Teeverbrauch steigt weltweit. Und auch Wermut, der Würzbitter Angostura und Absinth spielen eine zunehmend größere Rolle in der Bar-Szene. Die Welt wird bitter! In der Spitzengastronomie ist dieser Trend schon lange angekommen. Herbe Aromen mimen den perfekten Gegenspieler zu süß. Bittere Komponenten stärken das Immunsystem und verlängern das Sättigungsgefühl. Das klingt geradezu Superfood-verdächtig. In der Küche eignet sich Absinth bestens zum Aromatisieren zum Beispiel von gedünsteten Cocktailtomaten oder zum Ablöschen von kurzgebratenem Fleisch.
Da der Absinth wissenschaftlich belegt vom Verdacht einer halluzinogenen Wirkung freigesprochen wurde, steht seiner Renaissance nichts mehr im Wege. Wenn das doch Oscar Wilde damals schon gewusst hätte! Für ihn war Absinth ein geradezu poetisches Getränk. Aber von Oscar Wilde stammt auch das Zitat: „Nach dem ersten Glas sieht man die Dinge so, wie man sie gern sehen möchte … Am Ende sieht man die Dinge so, wie sie sind, und das ist das Entsetzlichste, was geschehen kann.“
Reiseinformation
Die Route des Absinths
Zu Fuß auf der Route de l’Absinthe
Das Absinth Museum in Motiers
Maison de l’Absinthe
Der Tatort: Schwarzbrennerei, Transhelvetica #60.20, Aug. Sep. 2020, S. 92.
Die Recherchereise wurde vor Ort teilweise vom französischen Tourismus-Verband unterstützt