Kaiseki-Essen mit Atsuko Kato

Atsuko Kato begrüßt uns vor ihrem 200 Jahre alten Bauernhof. Schon beim Eintreten spüren wir die stille, fast meditative Atmosphäre. Das geräumige Esszimmer mit seinen sichtbaren Holzbalken und dem typischen japanischen Alkoven erzählt von Tradition und Geschichte. Heute sind wir ihre einzigen Gäste. Nicht, weil ihr Restaurant, versteckt zwischen den Feldern der Halbinsel Izu, wenig besucht wäre  – im Gegenteil: Im Rakan bewirtet die in Japan bekannte Köchin täglich nur eine Gruppe von maximal sechs Personen. Ihr Können, ihr Haus und ihre volle Aufmerksamkeit widmet sie ausschließlich diesen wenigen Gästen.

Atsuko Kato vor ihrem Holzofen. Der Reis für das Kaiseki-Menü wird über dem Holzfeuer gekocht Reis aus regionalem Anbau, serviert in handgefertigten Keramikschalen / © Foto: Georg Berg
Atsuko Kato befeuert ihrem Holzofen zum Kochen von Reis / © Foto: Georg Berg

Keramikkunst und Holzfeuer

Atsuko Kato heizt den Holzofen an, der von außen zugänglich ist. Ganz traditionell kocht sie darauf den Reis für das bevorstehende Kaiseki-Menü. Auf dem Weg zum Ofen hinter dem Haus gehen wir durch einen Raum, übervoll mit wunderschönen Tellern, Platten und kleinen Schalen. Sie stammen, erzählt sie, von ihrem verstorbenen Ehemann Chihiro Kato, einem bekannten Keramikkünstler. Auf seinen Werken serviert sie viele Speisen ihres Kaiseki-Menüs.

Geschirr des Keramikkünstlers Chihiro Kato. Im Restaurant Rakan verbindet Atsuko Kato in ihrer kulinarischen Philosophie die jahreszeitliche Schönheit der Umgebung mit handwerklich zubereiteten Speisen – oft serviert auf den Keramiken ihres Mannes. Motto: Ein Gefäß ist erst „vollendet“, wenn sich darin eine Speise befindet / © Foto: Georg Berg
Geschirr des Keramikkünstlers Chihiro Kato. Im Restaurant Rakan verbindet Atsuko Kato in ihrer kulinarischen Philosophie die jahreszeitliche Schönheit der Umgebung mit handwerklich zubereiteten Speisen / © Foto: Georg Berg

Omotenashi – Die Kunst der Gastfreundschaft

Die japanische Gastfreundschaft, Omotenashi, ist fest in der japanischen Kultur verankert und zeigt sich in unzähligen Gesten. Sie begegnet uns bei der Teezeremonie, im Restaurant, bei der Begrüßung in Hotels oder öffentlichen Räumen. Atsuko Kato beherrscht Omotenashi in Vollendung. Rasch breitet sich bei uns eine wohltuende Ruhe aus. Wir öffnen uns dem bevorstehenden Menü, das aus liebevoll und detailreich zubereiteten Speisen besteht. Die Aufmerksamkeit, die unsere Gastgeberin uns schenkt, verwandeln wir in eine im Westen kaum gelebte Achtsamkeit gegenüber unserem Essen.

Gäste bei einem Kaiseki-Menü im Restaurant Rakan von Atsuko Kato. Sie empfängt ausschließlich eine Gruppe Gäste pro Tag in ihrem über 200 Jahre alten traditionellen Bauernhaus / © Foto: Georg Berg
Im Rakan ist jedes Gericht des Kaiseki-Menüs eingebettet in die Atmosphäre des historischen Bauernhauses, häufig werden die Speisen auf den Keramiken von Chihiro Kato serviert, wodurch Kulinarik und Kunst miteinander verschmelzen / © Foto: Georg Berg

Kulinarik im Einklang mit der Natur

Das Kaiseki-Menü gilt als höchste Form der japanischen Kochkunst. Es verlangt äußerste Sorgfalt bei Präsentation, Farbe, Textur, Form und Anordnung der Speisen. Jede Komposition spiegelt die Jahreszeit wider, hebt regionale Zutaten hervor und schafft Harmonie zwischen den Gängen. Dabei zählt nicht nur die Optik: Die Speisen sollen auch geschmacklich und in ihrer Konsistenz überraschen. Schon die Anordnung der Gerichte vereint Kochkunst, Ästhetik und Symbolik – stets mit dem Ziel, den Gast ganzheitlich zu erfreuen. 

Atsuko Kato in ihrem Speisezimmer erklärt die Prinzipien von Kaiseki. Es wird ein vollwertiges Menü serviert, wobei Zutaten wie Reis und Gemüse direkt von lokalen Produzenten stammen, die Zubereitung erfolgt liebevoll und kreativ, immer inspiriert von den saisonalen Veränderungen und die Präsentation der Speisen vereint visuelle Ästhetik und authentischen Geschmack / © Foto: Georg Berg
Atsuko Kato in ihrem Speisezimmer erklärt die Prinzipien von Kaiseki / © Foto: Georg Berg

Ein Kaiseki-Menü besteht aus mehreren kleinen Gängen, die verschiedene Kochtechniken und saisonale Zutaten zeigen. Es bildet ein vollwertiges Menü, das kunstvoll auf die jeweilige Jahreszeit abgestimmt ist. Bei Atsuko Kato stammen Reis und Gemüse aus dem nahen Amagi, ergänzt durch regionale Produkte wie Wasabi und Shiitake-Pilze.

Gericht aus der Kaiseki-Küche von Atsuko Kato. Im Kaiseki folgt die Anordnung der Speisen der Ästhetik und Harmonie: Farben, Formen und Texturen der Speisen werden so arrangiert, dass ein ausgewogenes Gesamtbild entsteht. Die Präsentation soll die Schönheit der Zutaten und die Jahreszeit widerspiegeln / © Foto: Georg Berg
Gericht aus der Kaiseki-Küche von Atsuko Kato. Im Kaiseki folgt die Anordnung der Speisen der Ästhetik und Harmonie: Farben, Formen und Texturen der Speisen werden so arrangiert, dass ein ausgewogenes Gesamtbild entsteht / © Foto: Georg Berg
Restaurant Rakan von Atsuko Kato: Frisch geriebener Wasabi ist unverzichtbarer Bestandteil der Kaiseki-Küche und repräsentiert die Ideale von Frische, Saison, Harmonie und ästhetischer Vollendung. Die Zubereitung und der Einsatz von frisch geriebenem Wasabi sind Teil der hohen Handwerkskunst und Gastfreundschaft, die Kaiseki kennzeichnen / © Foto: Georg Berg
Frisch geriebener Wasabi ist unverzichtbarer Bestandteil der Kaiseki-Küche und repräsentiert die Ideale von Frische, Saison, Harmonie und ästhetischer Vollendung / © Foto: Georg Berg

Wie vom Winde verweht

Auf einer großen, gemaserten Holzplatte liegen kunstvoll zubereitete Vorspeisen. Jede für sich ein kleines Kunstwerk, doch zusammen wirken sie, als hätte der Herbstwind sie mit grünen Ahornblättern von einem Baum geweht. Im Kaiseki nennt man diese kunstvolle Vorspeisenplatte Hassun, das Prinzip der verstreuten, aber harmonischen Verteilung heißt Chirashi-Mori.

Tischplatte dekoriert mit herbstlichen Speisen im Restaurant Rakan. Ein Besuch bei Atsuko Kato wird von Gästen als unvergessliches Erlebnis mit hohem künstlerischem Anspruch und tiefem Bezug zur japanischen Tradition bewertet / © Foto: Georg Berg
Tischplatte dekoriert mit herbstlichen Speisen im Restaurant Rakan nach dem Prinzip Chirashi-Mori / © Foto: Georg Berg

Moritsuke – alles hat seinen Platz

Atsuko Kato öffnet ihre Küche und führt uns in einen zentralen Aspekt des Kaiseki ein, der neben Textur, Geschmack und Saisonalität zählt: Moritsuke – die Kunst, Speisen ästhetisch und sorgfältig auf Tellern oder in Schalen zu arrangieren. Ziel ist es, ein harmonisches und ansprechendes Gesamtbild zu schaffen. Form, Farbe, Jahreszeit und das Zusammenspiel der Zutaten bestimmen dabei das Ergebnis. Oft zieren Blumen und Blätter die Gerichte. Innerhalb des Moritsuke gibt es verschiedene Techniken. Atsuko Kato demonstriert Yose-Mori: Hierbei liegen die Komponenten eng beieinander in der Mitte, ergänzen sich gegenseitig und bewahren dennoch ihre Eigenständigkeit.

Atsuko Kato erklärt in ihrer Küche die Regeln der Moritsuke-Anrichtung in der Kaiseki-Küche. Sie  sind eine komplexe Mischung aus Ästhetik und praktischer Funktionalität, die darauf abzielt, den Speisen eine harmonische, naturnahe und einladende Präsentation zu verleihen / © Foto: Georg Berg
Atsuko Kato erklärt in ihrer Küche die Regeln der Moritsuke-Anrichtung in der Kaiseki-Küche / © Foto: Georg Berg

Im Kaiseki-Menü eröffnen kleine Vorspeisen die Abfolge, gefolgt von Mukōzuke (Sashimi) und Takiawase (geschmortes Gemüse mit Rindfleisch, Fisch oder Tofu). Futamono, die klare Suppe in einer Schale mit Deckel, gehört unverzichtbar dazu. Yakimono steht für Gegrilltes, Mushimono für Gedämpftes, Sunomono für Essiggerichte. Den Hauptgang, Shokuji, bilden Reis, Misosuppe und eingelegtes Gemüse. Zum Abschluss serviert man Mizumono, ein leichtes Dessert, begleitet von einer Tasse Tee.

Die Präsentation der Speisen im Restaurant Rakan von Atsuko Kato vereint visuelle Ästhetik und authentischen Geschmack / © Foto: Georg Berg
Die Präsentation der Speisen im Restaurant Rakan von Atsuko Kato vereint visuelle Ästhetik und authentischen Geschmack / © Foto: Georg Berg

Erkenntnisse am Chabudai

Atsuko Kato schenkte uns ihre volle Aufmerksamkeit, und wir verwandelten ihre großzügige Gastfreundschaft in eine im Westen seltene Achtsamkeit gegenüber unserem Essen. Im Kaiseki, so lernte ich nach diesen Stunden an ihrem Esstisch, einem traditionellen Chabudai, reicht ein gutes Mahl weit über den Spruch „Das Auge isst mit“ hinaus. Hier verschmelzen Kochkunst, Ästhetik und Symbolik selbst auf dem kleinsten Teller und bestätigen immer wieder das Credo von Atsuko Katos Mann, dem Keramikkünstler, der seine Kunst bescheiden beschreibt: „Ein Gefäß ist erst vollendet, wenn es eine Speise trägt.“

Der Aufenthalt in der Prefektur Shizuoka wurde zum Teil vom Tourismusverband Shizuoka unterstützt

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Permalink der Originalversion: https://tellerrandstories.de/japan-kaiseki