Heidelbeerglück im Schwarzwald

Die Waldheidelbeere ist eine regionale Köstlichkeit. In der kurzen Saison gibt es sie in Torten, als Gsälz im Glas oder auf Pfannkuchen mit viel Puderzucker. Dennoch ist ein Blick über den Pfannkuchenteller angebracht, denn der kleine Ort Enzklösterle, zwischen Freudenstadt und Bad Wildbad, wäre nie für seine wilden Heidelbeeren bekannt geworden, wenn sich nicht Jahrhunderte zuvor Holzfäller über die dichten Wälder des Schwarzwalds hergemacht hätten.

Mischwald aus Fichte, Weißtanne und Buche, ergänzt durch Kiefern.  Diese Baumarten bilden die zentrale natürliche Waldstruktur im Nordschwarzwald / © Foto: Georg Berg
Mischwald aus Fichte, Weißtanne und Buche, ergänzt durch Kiefern. Diese Baumarten bilden die zentrale natürliche Waldstruktur im Nordschwarzwald / © Foto: Georg Berg

Holländertanne und Heidelbeerkult

Der Schwarzwald bietet mehr als Kirschtorte und Fachwerkidylle. Er lebt auch von Traditionen. Ein Blick in die Geschichte zeigt, wie eng alte Bräuche oft miteinander verwoben sind. So reicht das Sammeln von Waldheidelbeeren rund 300 Jahre zurück. Erst als Holzfäller im Nordschwarzwald große Tannenbestände rodeten, fanden Schwarzwaldkiefern und Heidelbeersträucher auf den kargen Böden ideale Bedingungen und breiteten sich aus. 

Flößer Martin Spang von der Flößerzunft Oberes Nagoldtal auf der Monhardter Wasserstube. Sie diente als Stauanlage, um die Flößer bei der Holztrift zu unterstützen. Bäche wurden angestaut, damit genug Wasser vorhanden war, um große Mengen Holz als Flöße aus dem Schwarzwald in entfernte Gebiete abtransportieren zu können. Diese Mechanik war ein zentraler Bestandteil der Flößerei, die fast 500 Jahre lang ein bedeutendes Gewerbe im Schwarzwald war / © Foto: Georg Berg
Die Monhardter Wasserstube diente als Stauanlage, um Flößer bei der Holzdrift zu unterstützen. Bäche wurden angestaut, um große Mengen Holz als Flöße in entfernte Gebiete abtransportieren zu können / © Foto: Georg Berg

Im Mittelalter nutzte man Holz aus dem Schwarzwald, vor allem die langen, hohen Tannen, für den Bau zahlreicher Städte in Europa. Amsterdam etwa steht bekanntlich auf Tausenden Schwarzwälder Holzstämmen. Doch auch Städte wie Straßburg, Rotterdam und die Altstadt von Altensteig an der Nagold entstanden aus diesem Holz. 

Das Rathaus von Altensteig ist ein Fachwerkgebäude aus der Mitte des 15. Jahrhunderts im Stil des alemannischen Fachwerks / © Foto: Georg Berg
Das Rathaus von Altensteig ist ein Fachwerkgebäude aus der Mitte des 15. Jahrhunderts im Stil des alemannischen Fachwerks / © Foto: Georg Berg

Besonders Städte an Flüssen wie Rhein, Enz oder Nagold profitierten vom Holzhandel, da man die Stämme als Flöße stromabwärts transportierte. Das Schwarzwaldholz galt wegen seiner Qualität und Länge fast 500 Jahre lang als begehrter Baustoff, vor allem für Balken, Dachstühle und Fachwerk. Die Kahlschläge und der Abtransport der Tannenstämme ins Flachland veränderten die Vegetation. Auf den gerodeten Flächen breiteten sich lichtes Gestrüpp und Pionierpflanzen wie Heidelbeeren, Besenheide und Ginster aus.

Waldheidelbeeren an einem Strauch. Die Pflück- und Erntezeit für Waldheidelbeeren im Schwarzwald liegt meist zwischen Anfang Juli und Ende August. Abhängig von Wetter und Höhenlage können die vollreifen Beeren bis Anfang September gesammelt werden / © Foto: Georg Berg
Waldheidelbeeren an einem Strauch / © Foto: Georg Berg

Von der Pionierpflanze zum Blauen Gold

Im Schwarzwald war das Heidelbeerpflücken einst überlebenswichtig. Viele arme Familien verdienten mit dem Verkauf der Waldfrüchte ein Zubrot, das sie für Schuhe und Schulsachen nutzten. Kinder bekamen sogar Heidelbeerferien, um beim Sammeln zu helfen. Die Waldheidelbeeren waren nicht nur vitaminreiche Nahrung, sondern auch eine unverzichtbare Einnahmequelle in dieser ländlichen Region. 

Blaubeerpfad bei Enzklösterle unterhält mit Tipps und Rezepten rund um die Waldheidelbeere. Das „Heidelbeerdorf“ im Nordschwarzwald ist berühmt für seine wildwachsenden Heidelbeersträucher in den umliegenden Tannenwäldern und veranstaltet jedes Jahr eine Heidelbeerwoche mit Fest und Wanderungen auf dem 12,7 km langen Heidelbeerweg / © Foto: Georg Berg
Blaubeerpfad bei Enzklösterle / © Foto: Georg Berg

Familiengeheimnisse

Im Schwarzwald hüten viele Familien ihre Sammelplätze wie Schätze. Diese geheimen Orte, oft tief in den Wäldern rund um Enzklösterle, geben sie von Generation zu Generation weiter. Das Heidelbeersammeln ist mehr als Arbeit – es ist ein gemeinsames Naturerlebnis. „Die Stunden im Wald, das frühe Sammeln und die Zubereitung der empfindlichen Früchte zu aufwändigen Torten oder einfach nur Gsälz, wie wir hier Fruchtkonfitüre nennen, haben mich schon früh zum Heidelbeerfan gemacht“, erzählt Jody Bredenhagen, die Heidelbeerkönigin von Enzklösterle. 

Heidelbeerkönigin Jody Bredenhagen wurde 2024 zur Botschafterin für das Heidelbeerdorf Enzklösterle sowie die regionale Identität rund um das „Blaue Gold“ des Nordschwarzwalds – die wild wachsenden Waldheidelbeeren / © Foto: Georg Berg
Heidelbeerkönigin Jody Bredenhagen wurde 2024 zur Botschafterin für das Heidelbeerdorf Enzklösterle sowie die regionale Identität rund um das Blaue Gold des Nordschwarzwalds – die wild wachsenden Waldheidelbeeren / © Foto: Georg Berg

Heidelbeersammeln ist weiterhin ein wichtiger Teil der Schwarzwälder Familientradition. Feste wie die Heidelbeerwoche Mitte Juli in Enzklösterle feiern diese Tradition. Rezepte für Heidelbeerpfannkuchen, Torten, Marmeladen und Schnäpse gehören ebenso dazu. Im Heidelbeerhaus in Enzklösterle kann man das ganze Jahr über Spezialitäten rund um die Beere kaufen. Sogar Workshops zum Backen von Heidelbeertorten werden angeboten.

Gläser mit Schwarzwälder Heidelbeer-Gsäzl. Gsälz ist im Schwarzwald das regionale Wort für Marmelade oder Konfitüre und stammt aus dem schwäbisch-alemannischen Sprachraum / © Foto: Georg Berg
Gläser mit Schwarzwälder Heidelbeer-Gsäzl. Gsälz ist im Schwarzwald das regionale Wort für Marmelade oder Konfitüre und stammt aus dem schwäbisch-alemannischen Sprachraum / © Foto: Georg Berg

Die kurze Saison der Heidelbeere

Die beste Reisezeit im Zeichen der blauen Beere ist von Juli bis Ende August – ideal für Wanderungen und kulinarische Entdeckungen. Restaurants und Gasthäuser servieren dann Spezialitäten wie Heidelbeerpfannkuchen, Gsälz und Torten mit frischen Waldheidelbeeren. Wer selbst pflücken möchte, hat im Juli und August die beste Gelegenheit. Je nach Wetter und Höhenlage lassen sich die reifen Beeren bis Anfang September sammeln. Ab Mitte Juli beginnt die Haupternte, und Familien sowie Wandergruppen durchstreifen die Tannenwälder rund um das Dorf. 

Heidelbeerhaus in Enzklösterle im Schwarzwald führt Produkte rund um die Waldheidelbeere / © Foto: Georg Berg
Heidelbeerhaus in Enzklösterle im Schwarzwald führt Produkte rund um die Waldheidelbeere / © Foto: Georg Berg

Jedes Jahr Ende Juli findet die Heidelbeerwoche in Enzklösterle statt mit Krönung der Heidelbeerprinzessin und einem riesigen Heidelbeerkuchenbuffet als Höhepunkt. Im Heidelbeer-Haus können Besucher regionale Produkte wie Gsälz, Senf, Chutney, Essig, Säfte, Gebäck oder Bratwürste mit Heidelbeersenf das ganze Jahr über kaufen. Während der Saison ist der Biergarten im Adventure Golfpark im Zentrum von Enzklösterle ein beliebter Treffpunkt für Heidelbeerliebhaber. Besonders die Heidelbeerpfannkuchen von Nicolette Kern ziehen Stammgäste sogar aus Stuttgart an.

Nicoeltta Kern lässt unter den Augen der Heidelbeerkönigin den Blaubeepfannkuchen fliegen. Der Biergarten im Adventure Golf in Enzklösterle ist im Sommer eine gute Adresse für diese Schwarzwald-Spezialität / © Foto: Georg Berg
Nicolette Kern lässt unter den Augen der Heidelbeerkönigin den Blaubeepfannkuchen fliegen. Der Biergarten im Adventure Golf in Enzklösterle ist im Sommer eine gute Adresse für diese Schwarzwald-Spezialität / © Foto: Georg Berg

Wanderung ins Blaue

Waldheidelbeeren sammelt man traditionell an geheimen Familienplätzen, doch entlang der Schwarzwaldhochstraße können auch Besucher fündig werden. An den Waldrändern gibt es zahlreiche Stellen, oft in unmittelbarer Nähe zu Wanderwegen. Enzklösterle gilt als Zentrum der Wildheidelbeeren und bietet im Juli und August geführte Touren an. Der Luftkurort befindet sich im oberen Enztal und ist von dichten Tannenwäldern umgeben. Der Premiumwanderweg Heidelbeerweg führt auf 13 Kilometern rund um den Ort. Thementafeln entlang des Weges erklären die Bedeutung der Heidelbeere für die Region. Der abwechslungsreiche Pfad schlängelt sich durch moosbewachsene Felsen und Wälder. Doch die Beliebtheit hat Folgen: Entlang des Weges sind die Sträucher oft leergepflückt.

Heidelbeerplattform am 12,7 km langen Premiumwanderweg „Heidelbeerweg“, der durch moosbewachsene Felslandschaften und Heidelbeerfelder führt. Thementafeln am Weg informieren außerdem über die Heidelbeere und ihre Bedeutung in der Region / © Foto: Georg Berg
Heidelbeerplattform auf dem Premiumwanderweg rund um Enzklösterle / © Foto: Georg Berg

Tipp: Schäferlauf in Wildberg

Zur Heidelbeerzeit im Juli und in geraden Jahren feiert Wildberg den Schäferlauf – ein Fest mit 300-jähriger Tradition, das den Schäferberuf in all seinen Facetten ehrt. Dass der Schäferlauf wie das Heidelbeersammeln auf drei Jahrhunderte zurückblickt, ist kein Zufall: Beide entstanden durch Veränderungen der Vegetation. Die Wanderschäferei nutzte die nach der Rodung kargen, offenen Flächen des Schwarzwaldes. Wer lebendige Tradition hautnah erleben möchte, sollte sich den Termin vormerken: Der Schäferlauf in Wildberg findet wieder vom 17. bis 20. Juli 2026 statt. Ein Besuch lohnt sich!

Die Recherchereise wurde von Schwarzwald Tourismus unterstützt

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Permalink der Originalversion: https://tellerrandstories.de/schwarzwald-heidelbeeren