Die Schäferkönigin von Wildberg – das klingt wie der Titel eines Märchens oder einer Operette. Märchenhaft verklären will ich hier nichts, doch es ist bemerkenswert, dass eine jahrhundertealte Tradition, ein ehemaliges Zunfttreffen der Schäfer – und vor 300 Jahren gab es tatsächlich nur Schäfer, keine Schäferinnen – von Anfang an den Schäferlauf für Männer und Frauen im Programm hatte. Wir sprechen vom Jahr 1723. Eine Bühne für Frauen im frühen 18. Jahrhundert war eine echte Seltenheit. Was heute nach Fortschritt und Gleichberechtigung klingt, war damals wohl eher eine Leistungsschau der Schäferfamilien, denn das Schäferlauffest diente auch als Heiratsmarkt. Die Teilnahmebedingungen für den Schäferlauf sind geblieben: Mindestalter 14 Jahre, hauptberuflicher Schäfer oder Schäferin, oder Kind eines Schafhalters mit Wohnsitz in Baden-Württemberg und mindestens 200 gemeldeten Schafen. Doch strategisch heiraten muss hier niemand mehr. Frauen aus Schäferfamilien wählen heute immer häufiger Berufe wie Tierärztin, Schafschererin oder Landwirtin. Schäferinnen treten bei Wettkämpfen wie dem Leistungshüten mit ihren Hütehunden und einer fremden Schafherde gegen ihre männlichen Kollegen an.

Von der Schäfertochter zur Berufsschäferin
Die Einladung zum Schäferlauf am 9. September 1841 forderte ausdrücklich, dass „nur anständig gekleidete Mädchen an dem Wettlaufe teilnehmen dürfen“. Wie lang die Röcke und wie sittsam die Blusen damals waren, bleibt ungewiss. Sicher ist jedoch: Sie rannten barfuß über Stoppelfelder oder Wiesen. Beim Schäferinnenlauf, der offiziell nur in Wildberg so heißt, während Bad Urach und Markgröningen ihn bis heute Schäfertöchterlauf nennen, traten 2024 insgesamt 13 Frauen im Alter von 14 bis 29 Jahren an. Vor dem Start stellte man sie mit Kurzbiografien vor. Ihre beruflichen Wege reichten von Tierwirtin und Schafschererin bis hin zu Tiermedizin, auch mehrere Berufsschäferinnen waren dabei.
Der Schäferberuf bleibt bis heute eine Männerdomäne. Zwar steigt der Frauenanteil langsam, gefördert durch Nachwuchsprogramme und das wachsende Interesse an nachhaltiger Landwirtschaft. Dennoch stellen Frauen weiterhin nur einen kleinen Teil der hauptberuflichen Schäfer.

Schäferkönigin Jana
2024 gewinnt die 14-jährige Jana Deufel aus Heinstetten das Rennen der Schäferinnen. Sie erreicht als Erste das schmale Zielgitter, das so gebaut ist, dass nur eine Person hindurchpasst – eindeutig erkennbar, wer die Nase vorne hat. Bereits ein Jahr zuvor triumphierte Jana bei den Jungzüchtermeisterschaften, nun holt sie den Titel der Schäferkönigin von Wildberg. Jana stammt aus einer Familie von Schafzüchtern: Ihr Vater tritt regelmäßig bei Schafschur-Meisterschaften an, und ihre ältere Schwester Nele vertritt Deutschland inzwischen sogar bei internationalen Wettbewerben.


Der Schäferlauf in Wildberg würdigt den Schäferberuf in all seinen Facetten und das schon seit 300 Jahren. Mehr über die geballte Tradition auf dem Schäferlauf in Wildberg. Und zu guter Letzt noch ein gewichtiges Detail in Sachen Gleichberechtigung beim Wildberger Schäferlauf: Beim traditionellen Hahnentanz heben auch Frauen ihre männlichen Tanzpartner hoch, um das Wasserglas – den symbolischen Hahn – vom Brett zu stoßen.

Die Recherchereise wurde von Schwarzwald Tourismus unterstützt