Zypern, geteilte Insel und ihre Geisterstadt

Seit beinahe einem halben Jahrhundert liegt Varoscha, einst mondäner Ferienort am Mittelmeer, in einem Dornröschenschlaf. Pracht und Schönheit sind noch zu erahnen. Wer genau hinschaut sieht Klassiker der Architektur. Elisabeth Taylor war gerne in Varoscha. Sophia Loren und die britische Königsfamilie sollen hier eigene Häuser besessen haben. Der Jetset ist schon lange weg. Die Zeit ist stehen geblieben, während sich die Politik bis heute nicht auf einen neuen Status für den Stadtteil einigen kann. Auf Wikipedia findet man eine Art Inventarliste. Stand 14. August 1974 zählte der Stadtteil der Hafenstadt Famagusta, der sich Varoscha, Varosia oder auf türkisch Maraş nennt, 45 Hotels mit 10.000 Betten, 60 Appartement-Hotels, 99 Recreation-Centers, 21 Banken, 24 Theater und Kinos sowie rund 3.000 kleinere und größere Geschäfte. Ob Modeboutiquen, Lederwaren oder Pelze. alles gab es damals für den Jetset aus dem Nahen Osten, den USA und Europa. Weitere 380 Gebäude befanden sich 1974 noch in der Bauphase. Die ehemalige Touristenhochburg am Mittelmeer war seit der türkischen Invasion 1974 militärisches Sperrgebiet.

Am Besuchereingang zum Varoscha-Viertel kann man Fahrräder mieten / © Foto: Georg Berg
Am Besuchereingang zum Varoscha-Viertel kann man Fahrräder mieten / © Foto: Georg Berg

Frische Asphalt und bröckelnde Fassaden

Seit Ende 2020 ist ein kleiner Teil der Geisterstadt für Zivilisten geöffnet. Der Eintritt ist frei und die Uniformierten hinter dem Schlagbaum freundlich. Sie möchten in den Rucksack schauen. Alkohol dabei oder eine Drohne? Die Straßen sind neu asphaltiert und stehen in Kontrast zu den verfallenen Häusern. Frische weiße Linien markieren Fahrradwege. Direkt am Eingang kann man Fahrräder mieten. Doch es fühlt sich nicht an wie eine Fahrt in die Vergangenheit, denn die bittere Wahrheit lautet seit einigen Wochen, dass ein Krieg mitten in Europa wieder Realität ist.

Cafe und Snackbar auf der Straße der Demokratie in der Geisterstadt Varoscha / Maraş / © Foto: Georg Berg
Cafe und Snackbar auf der Straße der Demokratie in der Geisterstadt Varoscha / Maraş / © Foto: Georg Berg

Krieg in Europa – damals und heute

Es ist März 2022 und der brutale Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine ist erst wenige Tage alt. Wir laufen durch die Straße der Demokratie und schauen durch fensterlose Häuser und auf bröckelnde Fassaden. Städte, deren Namen ich vor kurzem gar nicht kannte, gehen mir durch den Kopf. Charkiw, Cherson, Mariupol. Wie mag es dort jetzt aussehen? Am 14. August 1974 haben Bewohner, Geschäftsleute und Touristen das Urlaubsparadies fluchtartig verlassen. Varoscha wurde damals nicht so heftig bombardiert wie viele Städte in der Ukraine heute. Varoscha wurde weder total zerstört, noch wieder aufgebaut. Geht man heute durch Berlin, findet man kaum noch Spuren der Berliner Mauer. Geht man durch Varoscha, helfen ausgeblichene Werbeschilder, mächtige, aber ungepflegte Palmen und die Überreste prächtiger Architektur, das Bild vom einstigen Traumziel am Mittelmeer zusammenzusetzen.

Wer genau hinschaut sieht Klassiker der Architektur. Das Design der 1960er Jahre war hier nie weg. Die Zeit ist einfach stehen geblieben, während sich die Politik bis heute nicht auf einen neuen Status für den Stadtteil einigen kann / © Foto: Georg Berg
Wer genau hinschaut sieht Klassiker der Architektur. Das Design der 1960er Jahre war hier nie weg. Die Zeit ist einfach stehen geblieben, während sich die Politik bis heute nicht auf einen neuen Status für den Stadtteil einigen kann / © Foto: Georg Berg

Green Line – die geteilte Insel

Norden und Süden Zyperns werden seit 1963 von der sogenannten Green Line getrennt, die mitten durch die Hauptstadt Nikosia verläuft. Im Juli 1974 wurde der Norden der Insel Zypern von der Türkei besetzt, nachdem griechische Putschisten den Anschluss der Insel an Griechenland hatten durchsetzen wollen. Im November 1983 wurde für den Nordteil einseitig die Türkische Republik Nordzypern ausgerufen, die aber drei Tage später von der UNO für ungültig erklärt wurde. Seit 1984 sind UNO-Soldaten an dieser Grenze stationiert und zeigen auch im Sperrgebiet der Geisterstadt Varoscha Präsenz. Im Mai 2004 wurde die ganze Insel Zypern als Republik Zypern in die EU aufgenommen. Faktisch gehört aber nur der Südteil der Insel zum Gebiet der EU. Die Türkei erkennt als einziges Land die Türkische Republik Nordzypern an. Internationale Sanktionen verhindern seit Jahrzehnten Direktflüge zum Ercan Flughafen in Nordzypern. Nur mit einer Zwischenlandung in der Türkei dürfen Airlines den Norden der Insel anfliegen. Varoscha wird bis heute als Pfand für die Aufhebung von Sanktionen eingesetzt.

UN Stützpunkt / © Foto: Georg Berg
UN Stützpunkt / © Foto: Georg Berg

Auch Käse kann politisch sein

Die Türkische Republik Nordzypern hat schon in den 1990er Jahren angeboten, den ursprünglichen Eigentümern ihren Besitz zurückzugeben, wenn Sanktionen aufgehoben werden. Ob die derzeitige Öffnung Varoschas Vorbote einer schleichenden Neubesiedelung ist, lässt sich bei der vielschichtigen Interessenlage aller Beteiligten schwer beurteilen. Die Hoffnung auf Annäherung liegt eher im scheinbar Nebensächlichen, wie einem weißen und recht formstabilen Käse. Für Halloumi (griechisch) oder Hellim (türkisch) gibt es seit 2021 eine gemeinschaftliche Lösung. Die EU-Kommission hat den auf ganz Zypern produzierten Käse, der seit Jahrtausenden Bestandteil der Küche im östlichen MIttelmeer ist, als geschützte Ursprungsbezeichnung eingetragen. Nur Halloumi und Hellim, der in Zypern unter Einhaltung der Produktspezifikation hergestellt wird, darf nun den eingetragenen Namen tragen. Dies bringt wirtschaftliche Vorteile für Zypern und trägt vielleicht auch zur Annäherung beider Inselteile bei.

Halloumi bzw. Hellim wird in Geschäften auf Zypern in kleinen Eimern gestapelt und mit Molke bedeckt verkauft / © Foto: Georg Berg
Halloumi bzw. Hellim wird in Geschäften auf Zypern in kleinen Eimern gestapelt und mit Molke bedeckt verkauft / © Foto: Georg Berg
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