Es dauerte länger als drei Vaterunser, bis ich begriff, dass die Heilige Bernadette die zentrale Figur der Marienerscheinungen von Lourdes ist. Lourdes, die berühmte Pilgerstätte im Süden Frankreichs, kennt fast jeder – gläubig oder nicht. Nach Paris verzeichnet keine Stadt in Frankreich mehr Touristenübernachtungen. Nevers, eine kleine Stadt im Burgund mit Herzogpalast, schöner Altstadt und mehreren Museen, nennt sich stolz Stadt der Kunst und Geschichte. In der Pilger-Community gilt sie als Geheimtipp: ein Ziel für Fortgeschrittene, fernab der Massen, auf der Suche nach Spiritualität. Nirgendwo sonst kommt man Bernadette Soubirous so nah wie hier. Susanne Lotter vom Orden der Schwestern von Nevers führt Besucher zu den wichtigsten Orten.

Hundert Jahre Seligkeit
2025 jährt sich die Seligsprechung von Bernadette Soubirous zum hundertsten Mal. Nevers feiert dies mit Messen, Führungen, einem Theaterstück und einem Nachbau der Grotte Massabielle aus Lourdes, der viel Platz für Pilger bietet. Bernadette Soubirous, geboren am 7. Januar 1844 in Lourdes, war das älteste von neun Kindern einer Müllersfamilie. Ihre Kindheit war von Armut, Krankheit und sozialem Abstieg geprägt. Nach dem Verlust der Familienmühle lebte sie mit ihrer Familie im ehemaligen Stadtgefängnis von Lourdes. Trotz dieser schwierigen Umstände entwickelte sie eine tiefe Frömmigkeit.

Zwischen dem 11. Februar und dem 16. Juli 1858 sah Bernadette 18 Mal eine Dame in weißem Gewand in der Grotte von Massabielle. Diese Frau, später als Jungfrau Maria erkannt, stellte sich in der offiziellen Erzählung der katholischen Kirche mit den Worten vor: „Ich bin die Unbefleckte Empfängnis“. Schwester Susanne beschreibt die erste Begegnung zwischen Maria und Bernadette als nahbar und freundlich, auch für ein Mädchen aus der Unterschicht verständlich. Die Dame bat das junge Müllersmädchen: „Wollen Sie mir die Gnade erweisen und an den kommenden Tagen hierherkommen?“ Bei einem späteren Treffen entdeckte Bernadette auf Anweisung der Erscheinung eine Quelle, deren Wasser bald für viele Heilungen bekannt wurde. Die Berichte über die Erscheinungen zogen zahlreiche Pilger an, machten Lourdes zu einem bedeutenden Wallfahrtsort und führten zu Anfeindungen gegen Bernadette. Im Hospiz von Lourdes lernte Bernadette 1866 die Schwestern von Nevers kennen und entschied sich, ihnen nach Nevers zu folgen.

Nonne in Turnschuhen
Fast 160 Jahre nach Bernadette Soubirous‘ Ankunft in Nevers bringt Schwester Susanne die Geschichte der Heiligen auf zugängliche Weise rüber. Susanne Lotter, wie sie bürgerlich heißt, stammt aus Deutschland. In Jeans und Turnschuhen statt in traditioneller Ordenskleidung führt sie Pilger und Besucher durch das Kloster Saint-Gildard in Nevers, wo Bernadette ihre letzten Jahre verbrachte. In Nevers leben nur vier der 150 Schwestern der Nächstenliebe. Sie verzichten auf die Ordenstracht, da sie Distanz schafft, erklärt Susanne Lotter.

Klosterleben damals und heute
Wortgewandt erzählt Schwester Susanne vom Leben der Heiligen und macht Bernadettes Botschaft von Demut, Glaube und Hingabe für heutige Pilger greifbar. Sie vermittelt perfekt zwischen Vergangenheit und Gegenwart, indem sie mit großer Geste Bernadettes Zitate in ihre Schilderungen des Klosteralltags einflechtet. Fast scheint die Farbe ihrer Funktionsjacke nicht zufällig gewählt, erinnert sie doch an das Türkisblau vieler Marienstatuen.

Der Rundgang durch das Kloster Saint-Gildard folgt einer klaren Dramaturgie. Er beginnt im Klostergarten und führt in einen Seitentrakt des Gebäudes. Dort erfährt man von der Ankunft der 22-jährigen Bernadette. Sie war ins Kloster gekommen, um Kranke zu pflegen und inneren Frieden zu finden. Acht Jahre nach den Marienerscheinungen in Lourdes war sie müde, die Ereignisse immer wieder zu schildern. Nur einmal noch sollte sie im großen Saal des Klosters vor den Schwestern darüber sprechen. Bischöfe und sogar Kardinäle reisten zu diesem Anlass an. Schwester Susanne berichtet, ein Bischof habe seine Mütze absichtlich fallen lassen, um beim Aufheben Bernadettes Kleid zu berühren. Die kleine Bernadette war zweifellos ein Star ihrer Zeit.

Weitere Stationen der Führung sind der Klostergarten und die frühere Krankenstation. Bernadette, die gekommen war, um Kranke zu pflegen, war selbst meist krank. Die kleine Frau, nur 1,44 Meter groß, litt früh an Knochenkrebs. Sie starb mit 35 Jahren in der Osterwoche 1879. Man bestattete sie in einer kleinen Kapelle. Eine Entdeckung bei der Exhumierung ihres Leichnams trieb 1925 die Heiligsprechung voran: Der Körper war nahezu unversehrt. Gläubige und die katholische Kirche sahen darin ein Wunder und ein Zeichen ihrer Nähe zu Gott. Anwesende Mediziner führten den guten Zustand jedoch auf den luftdichten Bleisarg zurück, der die Verwesung verzögert hatte.

Das Wunder der Unversehrtheit wertete vor einhundert Jahren auch Nevers als Pilgerort auf. Mit ihrer Seligsprechung 1925 begann die Ausstellung des Leichnams von Bernadette Soubirous in einem gläsernen Sarg. Schwester Susanne beendet ihre Führung an diesem Punkt. Um den Leichnam für Pilger ansprechender zu gestalten, überzog man Gesicht und Hände mit Wachs. Fotografieren ist verboten. Im kleinen Museum sind persönliche Gegenstände Bernadettes zu sehen, darunter die Kleidung, die sie bei ihrer Ankunft in Nevers getragen haben soll. Zum Jubiläum 2025 ließ man die Grotte von Lourdes nachbauen und ein Theaterstück schreiben. Schwester Susanne erwartet im Jubiläumsjahr viele Pilger. Normalerweise kommen jährlich 200.000, während Lourdes Millionen anzieht. Das Kloster der barmherzigen Schwestern von Nevers ist auf mehr Pilger vorbereitet. Es dürfte eine Generalprobe für das Jahr 2033 sein, denn nur acht Jahre nach ihrer Seligsprechung sprach Papst Pius XI. Bernadette Soubirous heilig. Pilger können im Kloster übernachten, essen und an Messen, Lesungen sowie Führungen teilnehmen.

Die Pressereise wurde von Burgund Tourismus unterstützt.