Wir schreiben das Jahr 2023. Doch für Għajnsielem auf Gozo stimmt das nicht ganz. In diesem Ort auf der kleinen Schwesterinsel Maltas findet zum vierzehnten Mal das Krippendorf Bethlehem statt. Dabei wird nicht einfach ein Stall zu Bethlehem aufgebaut und mit Maria, Josef und dem Jesuskind bestückt. In Għajnsielem ist das ganze Dorf auf den Beinen, um ab Mitte Dezember bis Anfang Januar das bibilische Bethlehem zum Leben zu erwecken. Mit Bäcker, Tischler, Schmied und Fischer, mit Schafen, Eseln und Ziegen und vor allem mit Menschen. Es sind Familien aus Gozo, die Familien aus Bethlehem im Jahre eins unserer Zeitrechnung spielen. Bethlehem f’Għajnsielem ist kein Weihnachtskitsch, sondern eine gelungene Verbindung von maltesischer Folklore und den Traditionen der maltesischen Krippe. Im Laufe der Jahre hat die Veranstaltung international Aufmerksamkeit erregt und sich zu einem beliebten Weihnachtsreiseziel entwickelt.
Am Anfang war das Kind
Die Idee zum biblischen Re-Enactment hatte Franco Ciangura. Er ist bekennender Weihnachtsfan und hat bereits in seiner Kindheit unzählige Krippenbau-Wettbewerbe gewonnen. Im Jahr 2000 war dem heutigen stellvertretenden Bürgermeister von Għajnsielem selber gerade ein Sohn geboren und als Mitglied der Verwaltung war er eingebunden in die Planungen zur Stadtentwickllung. Als Vorläufer zum Krippendorf entwarf er eine Hütte in der Mitte des Dorfplatzes. Sein kleiner Sohn Matteo spielte damals die Hauptrolle in der heiligen Familie. Zusammen mit Hirten und ein paar Tieren wurde die Krippe zu einem Erfolg. 2008 war es dann soweit, auf einer ungenutzten Brache, auf der sich zum Ärger der Gemeinde immer wieder Müll ansammelte, wurde das Krippendorf nach den Plänen von Franco Ciangura errichtet. Die gemeinnützigen Organisationen von Għajnsielem beschlossen, das ehrgeizige Projekt in Angriff zu nehmen. Der Gemeinderat gab den finanziellen Rückhalt für Bethlehem f’Għajnsielem. Innerhalb weniger Wochen gelang es, das Gelände zu säubern und zu sanieren und es in ein Krippendorf zu verwandeln. Die Felder von Ta‘ Passi wurden auf einer Fläche von 20.000 Quadratmetern zum Dorf Bethlehem zur Zeit der Geburt Jesu Christi vor über 2000 Jahren. Das Experiment war vom ersten Jahr an ein Erfolg. Anfangs kamen die Besucher überwiegend aus Malta und Gozo, heute aus der ganzen Welt. Für 2023 rechnet man in Għajnsielem damit, dass die Besucherzahl wieder über 100.000 liegen wird, wie in den Jahren vor der Pandemie.
Gäste können in Bethlehem übenachten
Mit diesem Erfolg im Rücken gehen Projektleiter Franco Ciangura die Ideen nicht aus. Jedes Jahr werden dem Dorf weitere Attraktionen hinzugefügt. So gibt es mittlerweile die Lukanda Bethlehem Inn. Die Zimmer sind einfach, aber die Atmosphäre maximal weihnachtlich. Zudem liegt die Unterkunft in bester Lage, denn die Krippe mit Maria, Josef und dem Jesuskind ist nur wenige Schritte entfernt. Die Übernachtung im Bethlehem-Dorf wird gerne von Touristen aus dem Ausland gebucht. Ciangura erzählt von einer Familie aus den USA, die zunächst zu viert eine Nacht im Bethelhem-Dorf verbrachte und im darauffolgenden Jahr weitere Familienmitglieder mitbrachte.
Familiensache
Der Eintritt für Bethlehem f’Għajnsielem ist kostenlos. Alle Besucher erhalten am Eingang eine Ortsplan zur besseren Orientierung. Der erster Halt ist die Bäckerei, bewusst inszeniert von Projektleiter Franco Ciangura, denn „Bethlehem“ bedeutet „Haus des Brotes“. Danach folgen weitere Handwerker wie Tischler und Schmied. Jedes Haus wird von ganzen Familien bewohnt. So wird daran erinnert, dass Weihnachten ein Fest der Familie ist.
Während sich die Besucherzahlen gut entwickeln, wird es für das Organisationsteam Jahr um Jahr schwieriger, genügend Darsteller für die Live-Krippe zu finden. Die Bereitschaft der Bevölkerung sich in das Krippenspiel einzubringen, ist seit den Pandemiejahren gesunken. An den Weihnachtstagen herrscht Hochbetrieb und auch an Neujahr wird das Dorf von 15.00 Uhr bis 19.00 Uhr von den rund 100 Darstellern bespielt. Da ist es gut, wenn man als Live-Darsteller seine Familienmitglieder als Schauspielkollegen um sich hat.
In den Häusern sieht man die Liebe zum Detail, mit viel Holz und dem für Malta und Gozo typischen hellen Kalksandstein. Steingut und Holzbesteck, schmiedeeiserne Werkzeuge und brennende Öllampen stehen in den Hütten. Nur an den Marktständen und beim Bäcker findet man Waren in Plastikverpackungen, um den heutigen Hygienevorschriften gerecht zu werden. Über eine Hängebrücke kommt man zu einer Anlegestelle, an der ein maltesisches Boot liegt. Es gibt lokales Kunsthandwerk zu kaufen und antike landwirtschaftliche Geräte zu sehen. In der Taverne werden gozitanische Speisen und Wein angeboten. Auf den Wegen spielt hier und da eine Musikgruppe traditionelle maltesische Musik. Bethlehem f’Għajnsielem unterscheidet sich von den oft konsumorientierten Weihnachtsattraktionen. Den Weihnachtsmann und glitzernde Geschenkattrappen findet man hier nicht. Ganz im Sinne der maltesichen Krippentradition steht die Geburt des Jesuskindes im MIttelpunkt.
Ihr Kinderlein kommet!
Die Besetzung der Krippe im Dorf Bethlehem ist seit einigen Jahren eine besondere Herausfordung für das Organisationsteam. Gesucht werden echte Neugeborene mit ihren Müttern und idealerweise auch den dazugehörigen Vätern. Das Jesuskind mit Maria und Josef an seiner Seite schiebt in der Krippe eine Schicht von rund eineinhalb Stunden. Danach wird gewechselt. Für einen Veranstaltungstag plant man in Bethlehem f’Għajnsielem mit vier heiligen Familien. Um die wichtigste Rolle im ganzen Dorf immer adäquat besetzen zu können, spricht das Organisationsteam alle Familien an, die im laufenden Jahr ein Kind bekommen haben, unabhängig vom Geschlecht. Für den Fall, dass der leibliche Vater keine Lust hat, an rund zehn Tagen den Josef zu geben, wird Mutter und Kind ein Ersatzvater zur Seite gestellt.
Tradition der maltesischen Krippe
Auf Malta gibt es seit 1986 die Gesellschaft der Krippenfreunde. Die Mitglieder von Ghaqda Hbieb tal-Presepju engagieren sich für eine Wiederbelebung der Krippentradition. Malta ist bis heute ein stark christlich geprägtes Land mit einer religiös orientierten Gesellschaft. Die Krippe, auf maltesisch il-Presepju sollte wieder stärker in den Mittelpunkt der maltesischen Weihnachtsfeierlichkeiten rücken. Der Krippenbau in Malta hatte seinen Höhepunkt im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Dann nahm die Begeisterung für die aufwändigen Dekorationen ab und der viel leichter zu schmückende Weihnachtsbaum fand Einzug in die Wohnzimmer. Die Gesellschaft der Krippenfreunde konnte die Liebe der Malteser zur Krippe erfolgreich wiederbeleben. Statuetten, die sogenannten Pasturi gib es ab Oktober in den Geschäften zu kaufen. In der Vorweihnachtszeit dekorieren viele Privathäuser ein Fenster ihres Hauses mit einer Krippen-Szene, Workshops zum Krippenbau werden angeboten, Museen zeigen alte Pasturi bekannter Künstler und die vielen Kirchen auf Malta und Gozo laden zu Krippenspielen ein.
Oh Tannenbaum
Die Krippe ist also wieder zurück auf Malta und Gozo. Doch der Tannenbaum ist geblieben. Ein besonders schönes Exemplar entstand genau in dem Jahr, als die Live-Krippe auf Gozo aufgrund der Covid-Pandemie nicht stattfinden konnte. 2021 beschäftigte Weihnachtsenthusiast Franco Ciangura sein Dorf stattdessen mit einem gigantischen Baum-Projekt. Er bat die Bewohner von Għajnsielem mitten im Lockdown darum, Glasflaschen zu sammeln und vor der Kirche am Dorfplatz abzustellen. Fünf Frauen machten sich an die Arbeit und entfernten die Etiketten. Am Ende waren es 5.000 Flaschen, die auf einem soliden Stahlgerüst und beleuchtet von unzähligen kleinen Lämpchen einen wunderschönen Weihnachtsbaum ergaben. So schön, dass er noch im selben Jahr zum schönsten Weihnachtsbaum Europas gekürt wurde. Seitdem wird er jedes Jahr auf dem Dorfplatz von Għajnsielem aufgebaut. Mit dem Għajnsielem Christmas Tree hat Chefplaner Franco Ciangura seinem Dorf eine weitere Weihnachtsattraktion beschert. Er selber ist dankbar für sein Team aus Ehrenamtlern, das jedes Jahr tausende von Besuchern im Krippendorf versorgt und er freut sich jedes Jahr auf die vielen vor Weihnachtsfreude strahlende Gesichter.
Glitzernde Weihnachten auf Malta und Gozo
Auf Malta und Gozo glitzert es in der Vorweihnachtszeit auf fast allen Straßen und Plätzen. In jedem Dorf werden Engel, Sterne und oft die drei heiligen Könige in Position gebracht. Prächtige Lichterketten werden über die Gassen gespannt und Brunnen und Plätze mit Figuren bestückt. Den Weihnachtsmann findet man selten. Schneemänner stehen etwas höher im Kurs. Auch wenn sich der Wunsch nach Weißer Weihnacht in Malta wohl nie erfüllen wird. Hier geht es zur Bildergalerie Lametta in Valletta.
Mehr Informationen über Malta und Gozo als Reiseziel in der Weihnachtszeit.
Die Recherchereise wurde von VisitMalta und VisitGozo unterstützt