Wie wäre es, einen Reisebericht über Deutschlands zweitgrößte Insel nicht mit den imposanten Seebrücken, den kilometerlangen Flaniermeilen oder den stuckverzierten Gründerzeitvillen der Kaiserbäder zu beginnen? Stattdessen könnte man mit dem starten, was schon vor 150 Jahren den kleinen Luxus eines Tages am Meer ausmachte: Sonne, Strand und Meer – für viele zugänglich dank Badekarren, Strandkorb und sogar Fertighäusern.

Mit dem Badekarren ins Wasser
Auf Usedom nutzte man Badekarren als Teil der frühen Badekultur. Bereits 1824 standen sie in Neukrug bei Heringsdorf. Zunächst dienten sie den Badegästen als Umkleidekabinen, bevor Pferde sie ins tiefere Wasser zogen. Besonders Frauen konnten so dezent ins Wasser gehen. Die Badekarren waren Vorläufer der späteren festen Badeanstalten, die um 1902 die Karren ablösten. Heute stehen an der Konzertmuschel in Bansin noch historische Badekarren, die Künstler als Umkleidekabinen nutzen. Die Badekarren spielen eine wichtige Rolle in der Entwicklung Usedoms zum beliebten Seebad und spiegeln die damaligen gesellschaftlichen Konventionen wider.

Die Badewanne von Berlin
Zu Kaisers Zeiten zog es die feine Gesellschaft aus den Großstädten ans Meer. Wer es sich leisten konnte, verbrachte den Sommer zur Kur in einem Ostseebad. Die gehobenen Berliner reisten regelmäßig mit ihrem gesamten Hausstand in ihre großzügigen Sommerresidenzen. Schließlich erreichte man die Ostsee schnell und direkt mit der Bahn. So erhielt der Kurort Ahlbeck den Spitznamen „Badewanne von Berlin“. Den Rheumaschüben einer adeligen Dame ist es zu verdanken, dass die Ostseestrände bis heute mit einem für jedermann erschwinglichen Badekomfort bestückt sind.

Frau von Maltzahn und der Wäschekorb am Strand
Für die einen ist es nur ein klobiges Küstenmöbel, für die anderen der kleine Luxus am Strand: Füße hoch, Augen zu und tief einatmen. Die Geschichte des Strandkorbs beginnt 1882, als Elfriede von Maltzahn, eine rheumakranke Adlige, den kaiserlichen Hofkorbmacher Wilhelm Bartelmann in seiner Rostocker Werkstatt aufsuchte. Trotz ihrer Krankheit wollte sie die Sommerfrische im Ostseebad Warnemünde genießen und bat Bartelmann, ein passendes Strandmöbel zu entwerfen. Es sollte bequem sein, Schatten spenden und vor dem rauen Ostseewind schützen.

Korbmacher Bartelmann schuf daraufhin den ersten Strandkorb: einen Einsitzer aus Weiden- und Rohrgeflecht. Spötter verglichen ihn mit einem aufrecht stehenden Wäschekorb, in den ein Sitzbrett eingelegt war. Doch die Nachfrage wuchs schnell. Noch im selben Jahr fertigte Bartelmann weitere Einsitzer, und 1883 entwickelte er den Zweisitzer. Dieser fand großen Anklang, da er mit Markise, Fußstützen und Seitentischen ausgestattet war. Während Bartelmanns Frau Elisabeth in Warnemünde die erste Strandkorbvermietung gründete, stieg die Nachfrage weiter. Elisabeth Bartelsmann erkannte, dass sich das saisonale und ortsgebundene Möbel besser vermieten als verkaufen ließ. Damit trieb sie die Expansion des Familienbetriebs voran. Ein Patent meldeten die Bartelsmanns nie an, und bald tauchten Nachahmer auf. Heute prägen Strandkörbe die Küsten von Ost- und Nordsee. In anderen Ländern hat sich das Küstenmöbel nie durchgesetzt.

Wolgaster Holzhäuser
Die Wolgaster Holzhäuser sind eine Besonderheit der Bäderarchitektur auf Usedom. Bereits um 1900 entstanden hier die ersten Systemhäuser aus Holz in Deutschland. Die „Wolgaster Aktien-Gesellschaft für Holzbearbeitung“ konstruierte diese eleganten Bauten vor allem in Heringsdorf und Bansin. Kunden konnten aus verschiedenen Modellen wählen und so ihr individuelles Haus gestalten.

Serienfertighaus mit Alpencharme
Auf der Bansiner Promenade stehen mehrere Holzhäuser, die Besucher besichtigen können. Besonders sticht die schmale Villa „Ut Kiek“ ins Auge, die an eine norwegische Stabkirche erinnert. Fertighäuser galten damals als so innovativ, dass die beteiligten Firmen regelmäßig an Weltausstellungen teilnahmen – den globalen Schauen für Fortschritt und Erfindungsgeist. Ein Wolgast-Haus existiert noch heute in einem Vorort von Chicago. Die Firma Christoph & Unmack entwarf es, ließ es in Wolgast bauen und verschiffte es nach Chicago. Dort diente es als Prototyp für die Worlds Columbian Exposition, wurde später im Vorort Wilmette wieder aufgebaut und ist bis heute als Wolgast House bekannt. Zurück nach Bansin: Hier reihen sich die Villa Vineta, die Villa Heimdall und das Café Asgard aneinander. Dieses Ensemble zeigt eindrucksvoll, wie die Bädervillen Elemente alpenländischer Blockhütten aufgreifen.

Mit diesen frühen Fertighäusern konnten wohlhabende Großstädter – darunter Adel, hohe Beamte und Unternehmer – ihre Traumvilla verwirklichen. Zwar versetzten die Wolgaster Holzhäuser keine Berge, doch brachten sie einen Hauch alpinen Charmes an die Ostsee.

Aber jetzt: Einzigartige Bäderarchitektur
Die prächtigen, reich verzierten Gebäude auf Usedom bilden das weltweit größte Ensemble erhaltener Bäderarchitektur. Diese Stilrichtung prägte die Ostsee von 1793 bis 1918. Besonders in der Gründerzeit entstanden viele Villen in Heringsdorf, Ahlbeck und in Bansin. Drei Hauptgründe trieben die Entwicklung der Seebäder voran: die Faszination der Natur, die gesundheitlichen Vorteile von Kuraufenthalten am Meer und das gesellschaftliche Bedürfnis, zu sehen und gesehen zu werden. Während man in den Kaiserbädern keusch mit dem Badenkarren ins Wasser fuhr, machte ab Mitte des 19. Jahrhunderts Mölle am Kullaberg in der Provinz Skåne von sich reden. Hier badeten Frauen und Männer erstmals gemeinsam am Strand – ein damals skandalöses Ereignis, das man als „schwedische Sünde“ bezeichnete. Der Besuch von Kaiser Wilhelm II. im Jahr 1907 erhöhte die Popularität von Mölle weiter.


Über Wasser gehen: Die Seebrücken von Usedom
Ein Steg ins Meer kann vieles sein. Auf Usedom dienten die Seebrücken als Schiffsanleger und Flaniermeile, als Bühne und Filmkulisse. Zudem locken bis heute Restaurants und Geschäfte Kurgäste aufs Wasser. Die Seebrücke von Ahlbeck erhielt 1898 einen 170 Meter langen Seitenarm, damit Küstenpassagierschiffe anlegen konnten. In Heringsdorf steht mit 508 Metern die zweitlängste Seebrücke Deutschlands.
Zur Kaiserzeit zogen die Seebäder auf Usedom Künstler wie Theodor Fontane, Maxim Gorki und Leo Tolstoi an. Auch nach dem Ende dieser Ära blieb Usedom ein beliebtes Reiseziel. Thomas Mann vollendete 1924 in Heringsdorf seinen 1913 begonnenen Roman „Der Zauberberg“, der vom Leben in einem Sanatorium in Davos handelt. Von Kurort zu Kurort, sozusagen.
Auf der Seebrücke Koserow kann man heute sogar heiraten. Diese moderne Brücke von 2021 ist das neueste Schmuckstück am Usedomer Ostseestrand. Ob verliebt, verlobt, verheiratet oder nichts davon – man sollte diese wellenförmige Brücke, die 280 Meter in die Ostsee ragt, besuchen. Am Brückenkopf steht ein fünf Meter hoher Glockenturm, der an die versunkene Stadt Vineta erinnert. Der Legende nach lag das „Atlantis des Nordens“ direkt vor Koserow.
Usedom in der Nebensaison
Sonne, Strand und Meer locken zu jeder Jahreszeit nach Usedom. Die Sommerfrische ist längst nicht mehr die einzige Option. Im Sommer, besonders während der Schulferien, wird es auf Usedom sehr voll. Anders als in der Kaiserzeit reisen die Städter heute mit dem Auto an, nicht mehr mit der Bahn. Staus im Kurort – so möchte niemand seine Urlaubstage verbringen. Frühling, Herbst und sogar der Winter bieten einen besonderen Reiz für Strandspaziergänge und Ausflüge ins Usedomer Hinterland.
Ausflugstipps am Wasser und im Hinterland
Man sollte die futuristische Seebrücke Koserow nicht verpassen. Besonders bei Sonnenuntergang zieht sie viele Besucher an. Schöne Wanderungen führen zur Südspitze Gnitz, zum Langen Berg und entlang der Steilküste bei Bansin. Am Naturhafen Krummin genießt man solide Mahlzeiten mit Blick auf das Wasser und die Halbinsel Gnitz. Auf dem Weingut Welzin kann man den ersten originalen Usedomer Wein probieren, und die Inselmühle Usedom im Ort Usedom bietet die besten Usedomer Spezialitäten. Jedes Jahr im September feiert man die Woche der Bäderarchitektur. Die Europapromenade von Ahlbeck nach Heringsdorf, Teil des Kaiserbäder-Erlebnispfads, liefert per App Informationen zu den Villen am Wegesrand.
Die Recherche wurde von Usedom Tourismus unterstützt