Im Sommer 2021 nun ist sie gefallen, die Entscheidung, dass Bad Kissingen zusammen mit weiteren Kurbädern in die Unesco-Welterbeliste aufgenommen wird. Das Zweckbündnis Great Spas of Europe besteht aus elf weltberühmten Kurstädten in sieben europäischen Ländern. Sie alle, ob Karlsbad in Tschechien, Bath in Großbritannien oder Vichy in Frankreich sind Great Spas, weil sie im 18. und 19. Jahrhundert den Stadttypus der Kurstadt begründeten. Die Merkmale, mit denen diese Kurstädte vor Jahren ins Rennen um die Unesco-Auszeichnung gegangen sind, haben ihren Ursprung in einer noch heute allgegenwärtig sichtbaren Vergangenheit. Es sind sieben mineralstoffreiche Heilquellen auf denen Bas Kissingens Ruf als Weltbad basiert. Schon vor über 500 Jahren erkannten Mediziner ihre heilende, lindernde oder vorbeugende Wirkung oder mit dem Akronym SPA gesagt: Sanus per Aquam.
Wandelhalle und Brunnenfrauen von Bad Kissingen
In Bad Kissingen sind die Bauten des Kurgartenensembles extrem gut erhalten. Allen voran Wandelhalle und Regentenbau des Architekten Max Littmann sowie der 1738 angelegte Kurgarten. Spaziert man früh morgens an der Saale entlang Richtung Wandelhalle, um noch vor dem Frühstück eines der vier Heilwasser in kleinen Schlucken zu trinken, ist es ein Leichtes, sich die Damen und Herren der Belle Époque vorzustellen, die hier einst mit Hut und in langen pelzbesetzten Mänteln ihrer Kuranwendung nachgingen. Diese Zeitreise gelingt auch deshalb so gut, weil zur frühen Stunde zwischen 7 und 9 Uhr keine Menschenseele des heutigen Bad Kissingen unterwegs ist. Kurgäste und Reha-Patienten bleiben in ihren Kliniken. Das Ritual der Heilwasser-Kur hat es leider noch nicht wieder in den Tagesablauf der Kurgäste des 21. Jahrhunderts geschafft.
Zeitreise – das Wandeln in den Morgenstunden
Das Wandeln in den Morgenstunden durch Europas größte und sehr prächtige Wandelhalle ist wie das Angebot zu einer kostenlosen Zeitreise. Dass es wenig genutzt wird, ist verwunderlich bis unverständlich, denn die Dienste der Brunnenfrauen sind für jeden Kurgast mit seiner Kurtaxe abgedeckt. Gegen Hinterlegung der Kurkarte erhält der Gast das typische Bad Kissinger Trinkglas. Damit geht er dann zur Brunnenfrau, die ihn zu Fragen der Anwendung berät und dann von einem der vier Kissinger Heilwasser Pandur, Rakoczy, Max oder Luitpold einschänkt.
Der Begriff Wandelhalle kommt genau von dem, was man in ihr tun soll. Mit einem Glas voll Heilwasser in der Hand schlendert der Kurgast zur Musik des Salon-Orchesters durch die Halle. Die Entspannung und Ruhe die den Gast dabei durchströmt, fördert die Aufnahme der wertvollen Mineralien und Spurenelemente. Morgens hat man die wunderschöne Wandelhalle fast für sich alleine. Das Salon-Orchester spielt erst um 10.30 Uhr auf. Dann wiederum gibt es keinen Heilwasser-Ausschank, denn das Heilwasser soll vor den Mahlzeiten getrunken werden. Am Nachmittag hat der bequeme Kurgast aber die Chance gleich drei der Attraktionen der Kurstadt Bad Kissingen nämlich die Heilwasser-Anwendung, das Salon-Orchester und das Wandelhallenwandeln zu vereinen.
Klangvolle Namen – Max, Pandur, Rakoczy und Luitpold
Seit 1911 gibt es Brunnenfrauen. Das es sie bis heute gibt, kann Bad Kissingen als immateriellen Wert in die Waagschale für die Unesco-Bewerbung zu einem Great Spa of Europe legen. Die geschulten Brunnenfrauen beraten welches Heilwasser für welche Beschwerden Linderung bringt.
So hilft das Wasser aus der Quelle des Max-Brunnen warm getrunken bei Erkältungen, unterstützt das Abhusten und spült Nieren und Blase. Das Wasser aus der Rakoszy-Quelle, 1737 bei einer Saale-Verlegung entdeckt, hat seinen Namen dem wilden und aufbrausenden Wesen des damals populären ungarischen Freiheitskämpfers Fürst Rakoszy zu verdanken. Es hat qua seiner Natur eine gute Durchsetzungskraft, um träge Därme wieder in Schwung zu bringen. Pandur ist dem Rakoszy ganz ähnlich und hilft u.a. bei chronischen Entzündungen der Magenschleimhaut oder Gallensteinen. Luitpold hingegen lindert Sodbrennen und leistet Abhilfe bei Eisenmangelzuständen. Eine Trinkkur wird auf drei bis vier Wochen angelegt. Idealerweise zwei mal pro Tag jeweils vor dem Essen.
Wem nun bei seiner Kur oder dem Reha-Aufenthalt die Zeit für die tägliche Zeitreise in die Belle Époche fehlt, der kann sich das Wasser auch zum Mitnehmen abfüllen. Allerdings nur, um damit von einem auf den anderen Tag zu kommen. Das Wasser hält sich aufgrund des hohen Mineralgehalts nicht sehr lange. Den vielen Anhängern, die die Trinkkuren im ausgehende 19. Jahrhundert hatte, wurde das Wasser in Tonflaschen nach Hause geschickt. Aber spätestens am dritten Tag nach der Abfüllung färbt sich das Wasser braun und wird ungenießbar. Auch Reichskanzler Otto von Bismarck lies sich einst das wilde Rakoszy-Wasser nach Berlin schicken.
Ob Trinkkur, Solebad oder Inhalation. Es ist das Wasser, das bei einer Kur in Bad Kissingen im Mittelpunkt steht. Wasser-Sommelier muss man dabei nicht sein, um die Unterschiede der vier Trinkheilwasser von Bad Kissingen zu schmecken. Ein Glas Pandur oder Rakoszy kann auf den ersten Schluck nicht wirklich als Genuss eingestuft werden. Zu stark drängen sich die metallischen Noten in den Vordergrund. Schon vor 500 Jahren erkannte man die therapeutische Wirkung der Heilquellen. Ende des 19. Jahrhundert begann die populärste Zeit des Kurwesens in Europa. Heute haben diese Heilwasser in Deutschland sogar eine amtliche Zulassung als Arzneimittel und werden streng kontrolliert.
Ausgewandelt? Kurbäder im Wandel der Zeit
Ihre Blütezeit hatten die großen Kurbäder Europas im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Der Adel und später das wohlhabende Bürgertum unternahmen mehrwöchige Trinkkuren und Bäder-Anwendungen in Bad Kissingen. Einst traf hier auch die russische Zarenfamilie auf Kaiserin Sisi. Gerne reiste man inkognito. Sisi buchte sich unter dem Namen Gräfin von Hohenembs ein. Noch heute gibt es im Hotel Kaiserhof Viktoria die Sisi-Suite.
Später folgte als prominenter Kurgast Otto von Bismarck. Der Reichskanzler besuchte Bad Kissingen über viele Jahre. Wie man sich erzählt, nahm er das Kuren sehr ernst. Bismarck unterzog sich sowohl einer Trinkkur samt Diät-Plan, nahm Solebäder und fuhr täglich zur Inhalation zum Gradierwerk an der oberen Saline. In den Jahren seiner Kurbesuche war Bismarck ein äußerst populärer Politiker, dessen Befindlichkeiten vom ganzen Volk diskutiert wurden. Über den unerschrockenen Reichskanzler, der sich selbst durch ein Attentat bei seinem ersten Besuch im Jahre 1874 nicht von weiteren Aufenthalten abschrecken ließ, geht es hier ganz im Sinne des damaligen Personenkults zu einer eigenen Bismarck-Reportage.
Entdecke die Zeit in Bad Kissingen
Entdecke die Zeit, so lautet der Slogan mit dem Bad Kissingen sein Angebot für die Gäste übertitelt. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass auch eine jüngere Klientel wieder Lust auf eine Zeitreise in ein historisches Kurbad hat. Sicher ist, sollte 2020 die Aufnahme in die Weltkulturerbeliste gelingen und Bas Kissingen zum Great Spa of Europe werden, wird die Zahl der Tagesgäste aus aller Welt stark ansteigen. Wünschenswert sind darüber hinaus aber solche Gäste, die sich tatsächlich im Sinne einer Kur mehr Zeit nehmen. Immerhin hat es das Wort Achtsamkeit aus dem Insider-Vokabular für Yogis zu einem Trendbegriff geschafft. Seit 2019 wird sogar an britischen Schulen das Fach Achtsamkeit gelehrt. Wenn das nicht ein Lichtblick ist für die Zukunft der Great Spas of Europe!
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Die Recherchereise wurde vor Ort teilweise von Bad Kissingen Tourismus unterstützt