Stockholms heimliche Hingucker

Das Vasa-Museum, das Königliche Schloss oder das Stadshuset zählen stets zu den Top-Sehenswürdikgkeiten Stockholms. Reisetipps und Rankings rund um Gastronomie und Shopping gibt es reichlich, doch man kann nur hoffen, dass die Tippgeber auch selbst vor Ort waren und wissen wovon sie sprechen. Dann gibt es noch die Entdeckungen für den zweiten Blick. Bei einem Stadtrundgang durch Gamla Stan, der Altstadt Stockholms, haben wir viele dieser heimlichen Hingucker entdeckt. Möglich war dies nur mit Hilfe einer großartigen Stadtführerin, die uns die wichtigen Sehenswürdigkeiten zeigte, ohne die kleinen Dinge auszusparen.

Dieser Beitrag widmet sich den oft übersehenen Sehenswürdigkeiten und ist gleichzeitig ein Plädoyer für die Buchung einer Stadtführung. Geführte Touren lohnen sich fast immer, egal ob in einer Metropole oder an einem geschichtsträchtigen Ort. Stadtführungen erweitern das Geschichtswissen und Tipps aus erster Hand verhindern Fehlgriffe bei der Restaurantwahl und mindern die Angst, etwas Wichtiges zu verpassen.

Historische Telefonkabinen von Ericsson. Lars Magnus Ericsson war ein schwedischer Erfinder und gründete 1876 die Firma Ericcson. Die Erfindung des Telefons hielt er für ein Spielzeug für reiche Leute. Doch durch Ericcsons Erfindung gab es eine Zeit, in der Stockholm mehr Telefonkabinen hatte als New York, London und Paris / © Foto: Georg Berg
Historische Telefonkabinen von Ericsson auf dem Kornhamnstorget, Gamla Stan / © Foto: Georg Berg

Der Tratschspiegel

Es gibt keinen besseren Auftakt für die Liste der übersehenen Sehenswürdigkeiten, als diesen Tratschspiegel aus dem 18. Jahrhundert. Der Skvallerspegel, wie er auf schwedisch heißt, hängt an einigen Häusern in der Altstadt von Stockholm. Im 18. Jahrhundert durften Frauen nicht ohne männliche Begleitung auf die Straße gehen. Um sich die Zeit zu vertreiben und informiert zu bleiben, nutzten sie den nach außen gewölbten Spiegel und konnten so die Straße in beide Richtungen beobachten, ohne neugierig zu wirken. Statt sich die Nase an der Fensterscheibe platt zu drücken, konnten sie bei einer ausgedehnten Fika mit einer Freundin sitzen und über die Leute tratschen, die unten vorbeigingen.

Tratschspiegel aus dem 18. Jahrhundert als Frauen nur in Begleitung auf die Straße durften und mit Hilfe des Spiegels mit der Nachbarin reden konnten, ohne das Haus zu verlassen / © Foto: Georg Berg
Tratschspiegel aus dem 18. Jahrhundert als Frauen nur in Begleitung auf die Straße durften / © Foto: Georg Berg

Feiner Pinkel

Dieses Häuschen in Form einer Litfaßsäule ist hübsch anzusehen. Es steht auf Höhe der Nikolaikirche, zwischen Stor Torget und Schlossplatz. Es ist weder ein Wachhäuschen noch eine altertümliche Telefonzelle, sondern ein bis heute nutzbares Urinal.

Historisches Pissoir am Kungliga Slottet, dem königlichen Schloss in Stockholm. Das Urinal kann immer noch benutzt werden / © Foto: Georg Berg
Historisches Pissoir am Kungliga Slottet, dem königlichen Schloss in Stockholm. Das Urinal kann immer noch benutzt werden / © Foto: Georg Berg

Am Puls der Zeit

Lars Magnus Ericsson war ein schwedischer Erfinder und gründete 1876 die Firma Ericcson. Er selbst hielt die Erfindung des Telefons lange für ein Spielzeug reicher Leute. Doch er irrte sich und dank des guten Marketings seiner Firma gab es eine Zeit, in der Stockholm mehr Telefonkabinen hatte als New York, London oder Paris. Noch heute stehen einige dieser Kabinen in Stockholm. Statt Kabeltelefon hängt jedoch heute ein Defibrillator für Erste-Hilfe in der historischen Telefonkabine.

Neues Innenleben für ein altes Ericsson Telefonhäuschen. Statt Kabeltelefon hängt ein Defibrillator zum Erste-Hilfe-Einsatz in der historischen Telefonkabine / © Foto: Georg Berg
Neues Innenleben für ein altes Ericsson Telefonhäuschen / © Foto: Georg Berg

Im Zeichen des Phönix

Brända Tomten ist ein idyllischer Platz in Stockholms Altstadt. Der dreieickige Platz wurde nach dem großen Brand von 1740 als Wendeplatz für Pferdefuhrwerke angelegt. Zudem wurde eine Brandschutzversicherung eingeführt. Häuser mit dem Zeichen des goldenen Phoenix wurden im Falle eines Brandes zuerst gelöscht.

Brända tomten ist ein idyllischer Platz in Gamla stan. Der dreieickige Platz wurde nach dem großen Brand 1740 als Wendeplatz für Pferdefuhrwerke angelegt. Unter dem großen Kastanienbaum stehen Bänke. Hier soll der Schriftsteller August Strindberg oft gesessen haben / © Foto: Georg Berg
Unter diesem Kastanienbaum soll der Schriftsteller August Strindberg oft gesessen haben / © Foto: Georg Berg
Haus mit dem Zeichen des goldenen Phoenix, eine Markierung für Häuser, deren Eigentümer die Brandversicherung bezahlt hatten. Im Falle eines Feuers wurden diese Häuser zuerst gelöscht / © Foto: Georg Berg
Haus mit dem Zeichen des goldenen Phoenix / © Foto: Georg Berg

Tödliche Einladung

Hinter der rostigen Plakette an einer Hauswand in der Nähe des Kornplatzes verbirgt sich ein wahres Geschichtsdrama: Im Spätsommer 1649 folgte der französische Philosoph René Descartes einer Einladung der jungen Königin Christina von Schweden. Nachdem er mit ihr seit 1645 Briefe gewechselt hatte, gab er ihrer Bitte nach und erklärte der Königin seine Philosophie in mehreren Audienzen. Im Januar 1650, nachdem er fast drei Monate sich selbst überlassen war, wünschte sich die Königin intensiven Philosophieunterricht durch Descartes. Doch Anfang Februar 1650 erkrankte der Philosoph überraschend und starb zehn Tage später im Haus seines Gastgebers, dem französischen Botschafter Pierre Chanut. Die schnelle Diagnose lautete Lungenentzündung.

Erinnerungsplakette an René Descartes. Der französische Philosoph folgte im Spätsommer 1649 einer Einladung der jungen Königin Christina nach Schweden, nachdem er mit ihr seit etwa 1645 Briefe gewechselt hatte. Erst in der zweiten Januarhälfte erhielt er einige Audienzen, um der Königin seine Philosophie zu erklären. Anfang Februar 1650 erkrankte er und starb zehn Tage später im Haus seines Gastgebers, des französischen Botschafters Pierre Chanut / © Foto: Georg Berg
Erinnerungsplakette an René Descartes am Kornhamnstorget / © Foto: Georg Berg

In Stockholm kursierte jedoch ein anderes Gerücht: Der berühmte Gast der Königin sei vergiftet worden. Botschafter Chanut ließ auf der Grabinschrift vermerken: „Er sühnte die Angriffe seiner Neider mit der Unschuld seines Lebens“. Doch Decartes plötzlicher Tod wurde nie als Mordfall behandelt. Erst 1980, mehr als drei Jahrhunderte später, entdeckte der deutsche Wissenschaftler Eike Pies im Handschriftenarchiv der Universität Leiden einen Brief von Johann van Wullen, dem Leibarzt  Königin Christinas. Der Arzt, damals der einzige sachkundige Augenzeuge, berichtete diplomatisch verklausuliert, dass der Krankheitsverlauf typisch für eine Arsenvergiftung und nicht für eine Lungenentzündung war. Als Neider und somit Täter in diesem nie aufgeklärten Krimi kommen weniger begabte Wissenschaftler am Hofe der Königin infrage oder auch die Katholische Kirche. Christina, Königin einer protestantischen Großmacht, liebäugelte mit dem Katholizismus und Descartes, der den Zweifel zur wissenschafltichen Methode erhob und als Begründer des Rationalismus gilt, war der biblische Dorn im Auge der Kirche.

Gallionsfiguren auf dem Festland

Wer das Vasa-Museum besucht hat, wird die Ähnlichkeit sofort erkennen. Die Figuren unter dem schmucken Ercker stammen vom selben Künstler, der auch für das dem Untergang geweihte Kriegsschiff Vasa gearbeitet hat. Während die Schiffsfiguren im Jahr 1628, nach nur 1.300 Metern im Meer versanken und erst 1961 geborgen wurden, durften diese vier Gestalten durchgehend das Geschehen auf dem zentralen Getreidemarkt, dem Kornhamnstorget, beobachten.

Blick vom Kornhamstorget, dem Getreideplatz in der Altstadt, auf das Restaurant Cong unterhalb eines von Figuren gestützen Erckers / © Foto: Georg Berg
Sehenswerter Ercker am Kornhamnstorget in Stockholm/ © Foto: Georg Berg

Stockholm ist sogar unter Tage sehenswert. Die Stockholmer Metro gilt als die längste Kunstausstellung der Welt. Die schwedische Stadt Uppsala, 80 Kilometer nördlich von Stockholm, gehört zu den bedeutensten des Landes. Schon viele Jahrhunderte bevor Stockholm als kleiner Handesposten erwähnt wurde, war Uppsala das heidnische Zentrum der Wikinger. Wir berichten über Kult und Kultur in Gamla-Uppsala und über die unterhaltsamen Botschaften der schwedischen Runen-Steine und verraten Stockholms heimliche Hingucker.

Auf Visit Stockholm gibt es eine Übersicht mit Themenführungen und eine Liste mit zertifizierten Guides für eine private Tour durch Stockholm.

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