Die Schweizer Grenz- und Handelsstadt Basel beherbergt die älteste Universität der Schweiz, 46 Museen und hat manch eigenwilligem Denker als Refugium gedient. Erasmus von Rotterdam hat in der Zeit des Umbruchs vom Mittelalter zur Neuzeit hier gewirkt und Friedrich Nietzsche wurde 1869 im Alter von 25 Jahren als Professor für altgriechische Philologie an die Universität berufen. 150 Jahre später stellt eine kulturgeschichtliche Sonderausstellung im Historischen Museum Basel Werk und Wirkungsmacht des radikalsten Philosophen der Moderne vor.
Zwischen Nordsee und Alpen überquerte bis Ende des Mittelalters keine andere Brücke den Rhein. Im Jahr 1225 erlangt Basel durch den Bau der Mittleren Brücke in Europa eine Schlüsselrolle für die Verbreitung von Gütern und kulturellen Werten. Wohlstand kam in die Stadt. Beim Konzil von Basel wurde 1439 die einzige Papstwahl außerhalb Roms abgehalten. Die erste Universität auf Schweizer Gebiet wurde ebenfalls in Basel gestiftet.
Gebaut im romanisch-gotischen Stil fungierte das Baseler Münster zunächst als Bischofskirche, ist aber seit der Reformation ein evangelisch-reformiertes Gotteshaus. Der bedeutende Gelehrte Erasmus von Rotterdam war als Zeitzeuge von den Zerstörungen des Bildersturms geschockt und wendete sich in den folgenden sechs Jahren von Basel ab und ging nach Freiburg. Dennoch wurde ihm als katholischen Geistlichen im reformierten Basel so großer Respekt gezeugt, dass er im Münster beigesetzt wurde.
Basilisken-Brunnen
Auf dem gesamten Stadtgebiet gibt es Brunnen, in denen Trinkwasser aus dem Maul einer Basilisken-Figur sprudelt. Dieses mythische Fabelwesen wurde nach dem Baseler Konzil als Träger des Baseler Stadtwappens mit dem schwarzen Bischofsstab dargestellt. Basilisken gelten als Mischwesen aus Hahn, Drachen und Adler, das die Sünde, den Teufel oder den Antichristen symbolisiert.
„Übermensch – Friedrich Nietzsche und die Folgen“
Auch für Friedrich Nitzsche, der in Basel seine berufliche Karriere begann, könnte der Basilisk eine Symbolfigur sein, da sie das bewährte Gefüge von Zeit und Raum durcheinander bringt. Im Antichrist z. B. will Nitzsche mit dem Hammer philosophieren und alte Werte umwerten.
Das Historische Museum lässt in der Barfüsserkirche Nietzsches Gedankenwelt lebendig werden und stellt das wechselvolle Leben in einer unterhaltsamen Entdeckungsreise dar. Seine Werke bieten geistreiche Zitate für jede Gelegenheit und viele Wortschöpfungen sind in die Alltagssprache übergegangen.
Nietzsche ist nicht Philosoph und nebenbei auch noch Dichter. Er ist beides zugleich. Sein Werk bietet Interpretationsspielraum in alle Richtungen. Eine unrühmliche Rolle spielte seine Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche. Sie präsentierte ihren Bruder als Marke, mit übernatürlichen Kräften und instrumentalisierte ihn, der ihr noch zu Lebzeiten seinen Nachlass überlassen hatte, für die Unterstützung nationalsozialistischen Gedankenguts. Geschickt verband sie sein bekanntestes Erkennungszeichen, den mächtigen Schurrbart mit einem militärischen und tendenziell gewaltsamen Charakter.
Nietzsche selbst schreibt im Aphorismus 381 seiner Morgenröthe: „So kann der sanftmüthigste und billigste Mensch, wenn er nur einen grossen Schnurrbart hat, gleichsam im Schatten desselben sitzen …“. Der Baseler Künstler Alexander Zschockke hat nicht nur die offizielle Büste für die Universität Basel geschaffen, die Nietzsche in der stilisiereten Pose des freien Denkers darstellt. Privat wollte er den von Nietzsches Schwester inszenierten Nachruhm überwinden und hinter den allgegenwärtigen Schnauz blicken. Die Skulptur Der junge Nietzsche wurde anhand der wenigen im Weimarer Nietzsche Archiv aufbewahrten Jugendbilder geschaffen.
Im Zuge der künstlerischen und popkulturellen Rezeption Nietzsches scheint der Schnurrbart mit der Zeit immer weiter zu wachsen. Die Besucher der Ausstellung versetzen sich in den Denker, indem sie geduldig mit selbstgebasteltem Schnauz auf ein Foto warten, in dem sie selbst im Mittelpunkt stehen.
In der Ausstellung ist einer von zwei Erstabzügen des berühmten Gruppenbildes mit Dame (Lou von Salomé mit Peitsche, Paul Rée und Friedrich Nietzsche) zu sehen. Weil Lou von Salomé dieses Foto gerne herumzeigte, kam es zum Bruch Nietzsches mit seinen Freunden. Nietzsches Schwester Elisabeth sah den von ihr propagierten Ruf ihres Bruders als Asketen dadurch gefährdet. Sie hintertrieb letztlich erfolgreich die Pläne der drei Freunde für einen gemeinsamen Studienaufenthalt.
Nietzsche litt zeitlebens unter Migräne, Halbblindheit, Schlaflosigkeit und depressiven Verstimmungen. Mit persischem Opium, einem damals noch zugelassenen Medikament, versuchte er wenigstens seine Schlaflosigkeit zu bekämpfen.
Trotz der gesundheitlichen Probleme und seiner Unbeholfenheit in praktischen Dingen ist Nietzsche viel gereist. Der kleine Ort Sils Maria im Engadin war inspirierend für seine Philosophie der ewigen Wiederkunft des Gleichen und die Höhenlage linderte zugleich den Kopfschmerz, unter dem Nietzsche fast überall sonst litt. Mehr über Nietzsches Rückzugsort Sils Maria in der Reportage über das Waldhaus Sils.
Schreiben war für Nietzsche ein wesentlicher Lebensinhalt. Wegen zunehmender Sehschwäche konnte Nietzsche aber bald keine Aufzeichnungen mehr selbst anfertigen. Von der gerade erfundenen Schreibkugel erhoffte er sich die Lösung seiner Probleme. Seine Schwester schenkte ihm 1881 die erste in Serie hergestellte Schreibmaschine zu Weihnachten.
Die Ausstellung Übermensch – Friedrich Nietzsche und die Folgen in Historischen Museum Basel dauerte vom 16.10.2019 bis 22.03.2020. Solche Ausstellungen sind auf großzügiges Sponsoring angewiesen, da der öffentliche Etat in Basel nur für den Betrieb der Museen verwendet wird. Die Nietzsche-Ausstellung wurde Dank der Res Ubique Foundation des Schweizer Bankiers und Nietzsche-Kenners Peter Buser ermöglicht.
Die Recherchereise wurde von Schweiz Tourismus unterstützt