Vor allem im 19. und frühen 20. Jahrhundert suchten neben den Gästen des aufstrebenden Bürgertums auch viele Prominente aus Adel und Gesellschaft Erholung und gesundheitliche Stärkung durch die mineralstoffreichen Quellen von Bad Kissingen. Fürst Otto von Bismarck, von 1871 bis 1890 erster Reichskanzler des Deutschen Reichs, verbrachte ganze 66 Wochen seines Lebens in der Kurstadt. Er führte seine Amtsgeschäfte aus der Kur heraus, empfing politische Gäste und erließ sogar das nach der Kurstadt benannte Kissinger Diktat. So ernst wie Bismarck das Regieren nahm, so intensiv nutzte er auch die verschiedenen Möglichkeiten der äußeren und inneren Anwendung der Heilquellen mittels Trinkkur, Solebad und Inhalation. Im Juli 2021 wurde dieser Lieblingsort des Reichskanzlers nun aufgenommen in das Unesco Welterbe.
Das Bismarck-Attentat am Rosengarten
Gleich Bismarcks erster Aufenthalt in Bad Kissingen begann mit einem sprichwörtlichen Knall. Im Jahre 1874 wird während einer Droschkenfahrt Richtung Oberer Saline, zu der sich Bismarck jeden Morgen zur Inhalation fahren lässt, auf ihn geschossen. Da er Hand und Hut zum Gruß hebt, streift die Kugel ihn nur. Der Attentäter wird festgenommen. Der Kanzler bleibt gelassen. Er soll sich sogar, so erzählt es der Stadtführer Udo Dickhage, die Tatwaffe als Souvenir aus der Asservatenkammer hat geben lassen.
Wilhelminische Weight-Watcher
Doch zurück zum Kurleben des nicht nur politischen Schwergewichts Bismarck. Zwischen 1874 und 1890 war Otto von Bismarck 15 mal Kurgast in Bad Kissingen. Der Gesundheitszustand des Reichskanzlers stand während seiner Kuraufenthalte nicht nur unter der Beobachtung seines Arztes Ernst Schweninger. Das ganze Volk wollte teilhaben am Kuren und Diäten des populären Politikers. Der Kanzler trank und aß im Alltag in Berlin im Überfluss. Er liebte Fleisch und Pasteten und dies auch schon zum Frühstück. Bismarck wurde immer dicker und soll 1879 bei einer stattlichen Körpergröße von 1,90 Meter beeindruckende 247 Pfund gewogen haben.
Bismarck-Speck und Bismarck-Waage
Das Wiegen von Bismarcks Körpergewicht wurde in Bad Kissingen zu einem öffentlichen Akt. Es gab eine eigens für ihn konstruierte Waage. Ein plüschiger Sessel, auf dem der Reichskanzler Platz nahm. Der Verlust von sogenanntem Bismarck-Speck während der Kuraufenthalte wurde zur landesweiten Schlagzeile. In seinen vielen Kur-Wochen in Bad Kissingen verlor Bismarck viel Speck. Leider waren viele der verlorenen Pfunde JoJo-Speck, den er sich zurück in Berlin bei den Regierungsgeschäften wieder drauf schaffte.
Otto von Bismarck war in jener Zeit sehr populär und die Verehrung für den Reichskanzler nahm mit seiner Entlassung durch Kaiser Wilhelm II im Jahre 1890 richtig Fahrt auf. Die ganze Republik nahm Anteil am Schicksal des Kanzlers ohne Amt. Zahlreiche Produkte aber auch Türme und Schiffe wurde als Präfix der Name Bismarck vorangestellt. Bis heute bekannt ist der von ihm so hoch gelobte saure Hering, der dann als Bismarck-Hering Karriere machte. Dieser Variante haftet auch ein Zitat Bismarcks an. So soll er gesagt haben: „Wenn Heringe genau so teuer wären wie Kaviar, würden ihn die Leute weitaus mehr schätzen.“
Inhalation am Gradierwerk und Sole-Bäder
Täglich fuhr Bismarck zum Gradierwerk an der Oberen Saline. Die Anlage diente in früheren Zeiten der Salzgewinnung. Eher zufällig wurde der positive Gesundheitseffekt, den das Einatmen der salzhaltigen Luft auf die Lunge hatte, entdeckt.
Beim Gradieren werden in der Sole enthaltenen Mineralien und Fremdkörper ausgeschwemmt. Diese setzen sich dann als Dornstein an den Reisigzweigen ab. Ungefähr sechs Wochen dauert die Gradierung von frischer Sole, die am Anfang der vier Stufen nur zwei Prozent Salz enthält. Durch ständiges Umwälzen und Verrieseln wird ein jeweils höherer Salzgrad erreicht. Am Ende enthält die sogenannte Gutsole einen Salzgehalt von 15 bis 20 Prozent. Erst mit dieser über das Gradierwerk gewonnenen Salzbrühe wurde mittels Siedeverfahren Salz gewonnen. Durch das stetige Verrieseln entlang der großen vertikalen Reisigflächen entwickelte sich die Zweitnutzung für den Kurbetrieb in Bad Kissing. Die Inhalation der salzhaltigen Luft kam einem Spaziergang am Meer gleich.
Von den insgesamt sieben Heilquellen in Bad Kissingen werden drei für die äußere Anwendung genutzt. Heute gibt es im Kurort die KissSalis Therme, eine ganze Badelandschaft. Zu Zeiten von Otto von Bismarck sahen die Möglichkeiten der äußeren Anwendung noch etwas spartanischer aus.
Historische Stadtführung in Bad Kissingen
Bad Kissingens Liste prominenter Besucher ist lang. Fürst Otto von Bismarck nimmt in diesem Ranking sicherlich einen der vordersten Plätze ein. Für alle geschichtsinteressierten Besucher der Kurstadt ist eine Führung mit dem Stadtführer Udo Dickhage, der in die Rolle des Grand Portiers schlüpft, ein unterhaltsamer und informativer Einstieg in die Stadtgeschichte. Ob Romanows oder Wittelsbacher, die Kaiser, Könige und Fürsten dieser beiden Adelsgeschlechter gaben sich Jahr für Jahr ein hochrangiges Stelldichein.
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Die Recherchereise wurde vor Ort teilweise von Bad Kissingen Tourismus unterstützt