Die Stadt Poitiers in der Region Nouvelle-Aquitaine zählt zu den ältesten Städten Frankreichs und ihre Geschichte reicht zurück bis zu den Kelten. Doch erst Eleonore von Aquitanien machte die Hauptstadt Aquitaniens zu einem Machtzentrum. Sie war die Femme Fatale des europäischen Mittelalters: Herzogin von Aquitanien aus eigenem Recht, durch Heirat Königin von Frankreich und später von England, Mutter der englischen Könige Richard Löwenherz und Johann Ohneland, die uns bis heute aus Heldensagen und Filmen bekannt sind.

Eleonore brachte aus zwei Ehen zehn Kinder zur Welt. 1124 in Poitiers geboren und vermutlich 1204 dort gestorben, erreichte sie ein beeindruckendes Alter von 80 Jahren. 15 Jahre verbrachte sie auf englischen Burgen in Gefangenschaft, eingesperrt auf Befehl ihres Mannes Heinrich II. Nach seinem Tod übernahm sie mit fast 70 Jahren erneut die Herrschaft über England und Aquitanien, während ihr Sohn Richard Löwenherz 1189 zum Dritten Kreuzzug aufbrach. Sie spielte auch eine Schlüsselrolle bei seiner Befreiung aus staufischer Gefangenschaft und übergab das Lösegeld persönlich in Speyer.
Man sollte meinen, Eleonore begegnete einem in Poitiers an jeder Ecke – als Statue, auf Gemälden, als Namensgeberin von allem Möglichen. Doch das tut sie nicht.

Frau ohne Bildnis
Das Leben der Eleonore von Aquitanien bietet so viele Geschichten, dass es heute Stoff für mehrere Staffeln einer Streamingserie wäre. Doch die Geschichtsschreibung hält kaum Quellen bereit. Kein Zeitgenosse Eleonores hinterließ Aufzeichnungen, die einer modernen Biografie entsprächen. Im Gegenteil: Nach der annullierten Ehe mit König Ludwig VII und ihrer Zeit am französischen Hof, wo Eleonore Kunst, Musik, Gesang und vor allem die Liebe förderte, versuchten Kirchenmänner, jede Erinnerung an diese unkonventionelle Königin auszulöschen. Als Enkelin des ersten namentlich bekannten Troubadours setzte Eleonore alles daran, eine neue Idee zu verbreiten, die das Leben der Frauen am Hof veränderte: die Amour courtois, die höfische Liebe. Sie stellte die Frau ins Zentrum, besang und verehrte sie, widmete ihr jedes Tun. Zum ersten Mal löste man die Frau aus dem rein religiösen Kontext. Erstmals entstand unter Männern der Gedanke, dass Zuneigung auf Gegenseitigkeit beruhen sollte. Ein kleiner Schritt Richtung Gleichberechtigung – und das im 12. Jahrhundert.

Erinnerung aus Stein
Es passt zu Eleonore von Aquitanien, die als durchsetzungsstark galt und zeitlebens die Unabhängigkeit des Herzogtums Aquitanien verteidigte, dass vor allem die monumentalen Bauwerke in Poitiers von ihrem Wirken erzählen. Besucher können eine Eleonore-von-Aquitanien-Tour buchen. Dieser Rundgang führt zu historischen und kulturellen Orten, die eng mit ihrem Leben verbunden sind: die Kathedrale Saint-Pierre, die Kirche Notre-Dame-la-Grande, der Grafenpalast, das Rathaus und der beeindruckende Salle des Pas Perdus.

Der Saal der verlorenen Schritte
Der Salle des Pas Perdus im ehemaligen Grafenpalast zählt zu den größten und eindrucksvollsten mittelalterlichen Profanhallen Europas. Mit 50 Metern Länge und 17 Metern Breite bot er Raum für höfische Empfänge, Feste und politische Versammlungen. Eleonore von Aquitanien ließ ihn ausstatten. Der Name Saal der verlorenen Schritte scheint aus dem Volksmund zu stammen: Vasallen warteten stundenlang, bis sie die Treppen vor den drei riesigen Kaminen erreichten, oder Angeklagte hörten den Hall ihrer Schritte auf dem Weg zur Gerichtsverhandlung. So geschehen im Hundertjährigen Krieg. Hier wurde 1429 auch Jeanne d’Arc angehört.

Bis heute fehlt in Poitiers eine Statue von Eleonore von Aquitanien. Warum eigentlich? Ist der Einfluss der Kirchenmänner noch immer so stark? Kaum vorstellbar. Frankreich hat zudem das großartige Programm 1% artistique: Ein Prozent der Baukosten jedes öffentlichen Neubaus fließt in ein Kunstwerk. Ein modernes Werk für die einstige Förderin der Künste – das würde der Stadt zweifellos gut stehen und Eleonore gefallen.
Die Recherchereise wurde von Nouvelle-Aquitaine Tourismus und Visit Poitiers unterstützt
Highlights in Nouvelle-Aquitaine
Die Charente windet sich auf 380 Kilometern durch die französische Region Nouvelle-Aquitaine. Ihr Lauf führt vom bergigen Quellgebiet über sanfte Hügel und Weinberge bis zu den maritimen Auen an der Mündung. Ab Angoulême ist der Fluss bis zum Atlantik bei Rochefort schiffbar. Einst diente er als Hauptverkehrsweg für die Cognacproduktion. Heute laden Cognac-Häuser und Winzer zum Spiritourismus ein, während Radwege wie der Flow Vélo an malerischen Dörfern, alten Steinbrücken, einer seltenen Schwebefähre, Wassermühlen, Burgen und der Altstadt von Angoulême vorbeiführen. Die Charente gilt noch als Geheimtipp, gehört sie doch zu den ursprünglichsten Flusslandschaften Frankreichs: kaum Massentourismus, dafür viel Natur, Ruhe und Genuss. Die kleine Insel Aix war einst ein Bollwerk zum Schutz der Charente-Mündung vor feindlichen Flotten, heute beliebt für einen Tagesausflug ans Meer. Auch abseits der Charente gibt es in Nouvelle-Aquitaine viel zu entdecken. Die Stadt Poitiers auf halber Strecke zwischen Paris und Bordeaux war Machtzentrale des Mittelalters und bietet mit dem Freizeitpark Futuroscope immersives Kino.