Trägt eine ganze Region den Namen des Flusses, der sie durchzieht, spricht das für seine Bedeutung. In der Charente und Charente-Maritime erzählen Schlösser, Weinkeller, Festungen, Brücken, Triumphbögen und eine königliche Seilmacherei von der Rolle, die die Charente einst als Wasserstraße spielte. Ob römische Bauwerke, Festungsanlage aus Napoleons Zeit, die Kunst der Cognac-Herstellung oder die Kreationen internationaler Steinmetze – entlang der Charente gibt es viel zu entdecken. Mit jedem gefahrenen Kilometer wird die Luft salziger und das Licht heller – bis man die vorgelagerten Inseln der Atlantikküste erreicht. Doch der Reihe nach: Diese Radtour beginnt sieben Tage zuvor in der Hauptstadt der Charente – in Angoulême.

Ein Fahrrad namens Blauregen
Bei einer Rad-Gruppenreise bleibt anfangs vieles ungewiss. Wer fährt mit? Wie groß ist die Gruppe? Wie gut ist die Reiseleitung? Und wie wird das Wetter? Vor allem aber fragte ich mich: Ist eine Gruppenreise überhaupt das richtige Format für mich? Über den Namen meines E-Bikes dachte ich nicht nach. Doch während der Woche mit dem Veranstalter Die Landpartie lernte ich, dass selbst das kleine Schild mit der Aufschrift Blauregen am hinteren Schutzblech meines Rades zur gelungenen Tour beiträgt – genauso wie der Fahrer mit dem roten Schlussfähnchen, der Becher fürs Picknick oder die Briefings vor der nächsten Etappe.

Der Luxus des leichten Gepäcks
Mit der Ankunft in einem idyllisch gelegenen Hotel nahe Angoulême, rund 250 Kilometer von der Ile de Ré entfernt, beginnt das Reisen mit leichtem Gepäck. Ab jetzt transportiert der Mannschaftswagen die Koffer. Beim ersten Treffen erhalten alle 13 Mitreisenden Gepäcktaschen. Reinhold, unser Fahrer und Cateringprofi, verteilt die Fahrräder, organisiert Probefahrten, justiert Sättel und reicht Getränke. Jedes Rad trägt einen Namen – eine praktische Idee. Bei den vielen kurzen Stopps unterwegs findet so jeder schnell sein Rad für die Weiterfahrt.

Egal wie kräftig wir in die Pedale treten oder den Turbogang nutzen, unsere Koffer erreichen das nächste Hotel stets vor uns, oft schon ins Zimmer gebracht. Das Einchecken verläuft reibungslos: Kaum angekommen, sind alle auf ihren Zimmern und unter der Dusche. In Cognac, nach einer regnerischen Etappe, hatte Reinhold unsere Räder sogar schneller abgespritzt, als wir uns frisch machen konnten.
Es sind diese vielen kleinen Annehmlichkeiten, die den Kopf frei machen für die Landschaft und die Sehenswürdigkeiten am Wegesrand – wahrer Luxus!

Kultur: Von Kirchen bis Comics
Angoulême gilt europaweit als Stadt der Comics. Seit 1974 lockt das renommierte Comic-Festival jährlich Besucher an, und jedes Jahr kommen neue Comic-Wandbilder hinzu. Auf einer Stadtführung besichtigen wir die romanische Kirche Saint-Pierre aus dem 12. Jahrhundert und weitere Murs Peints: Mal bedecken sie ganze Hausfassaden, mal schmücken sie dezent ein Fenster im dritten Stock.

Die Tagesetappen sind eine gute Mischung aus Kultur und Radfahren. Der Fluss Charente weist uns den Weg. Häufig folgen wir dem Radwanderweg La Flow Vélo, vorbei an Weinbergen, aus deren Trauben der berühmte Cognac entsteht. Wir kosten Cognac und auch Pineau und erfahren, dass die Franzosen den Spiritourismus perfekt beherrschen. Wälder, malerische Dörfer mit prächtigen Herrenhäusern, Schlösser, LandArt-Projekte und lange Strecken am Ufer der Charente machen die Tour abwechslungsreich und reizvoll.


Der gedeckte Tisch oder Picknick de luxe
Ein Picknick im Grünen ist etwas Feines. Noch schöner wird es, wenn nach Stunden auf dem Rad plötzlich ein reich gedeckter Tisch am Wegesrand wartet – voll mit regionalen Spezialitäten. Reinhold, unser Fahrer mit feinem Gespür für Delikatessen, kümmert sich mehrmals in dieser Radelwoche um unser Mittagessen. Dafür haben wir eine Picknick-Kasse eingerichtet. Mit diesem Budget hat Reinhold alles besorgt, was das Herz begehrt: von französischem Landbrot bis zum Weißwein von der Île de Ré.

Mittags, am vereinbarten Picknickplatz, zeigt er uns die Käsesorten, Pasteten, Rillettes und die verschiedenen Tomaten, bevor er das Buffet für die hungrige Runde eröffnet. Solche Picknicks gehören fest zu einer Landpartie-Reise – sofern die Teilnehmer es wollen. Und wer könnte da nein sagen!

Mit guter Laune voran
Die Reise führt von der grünen Mitte Frankreichs bis zur Atlantikküste: von Angoulême über Cognac, die Stadt des eleganten Weinbrands, nach Saintes, wo die Römer ihre Spuren hinterließen. Weiter geht es nach Rochefort, Heimat von Pierre Loti, der königlichen Seilerei, der einzigen intakten Schwebefähre Frankreichs und einst ein strategisch wichtiges Marinearsenal unter Napoleon. Bei Fouras setzen wir zur Insel Aix über, wo Napoleon seine letzten Tage vor der Verbannung verbrachte. Danach geht es maritim weiter: über La Rochelle auf die Île de Ré und wieder zurück.

Unsere Reiseleiterin Katell Nicoux führte uns auf diesen 250 Kilometern mit guter Laune, klaren Ansagen, Tipps für den richtigen Gang an steilen Passagen und in ihrer leuchtend gelben Weste sicher voran. Ein weiterer kleiner Luxus der Gruppenreise: Niemand muss die Karte studieren oder den Weg hinterfragen. Für alle, die kein Pfadfindergen besitzen, eine tolle Sache.
Pausen füllt Katell mit allerlei Informationen – wir haben von den Charentaises, kultigen Pantoffeln im Karomuster oder dem Rilette aus dem Fleisch der Nutrias erfahren – die sich an der Charente so prächtig vermehren, dass die Franzosen sie zu einem Brotaufstrich verarbeiten, um die Plage etwas einzudämmen. Probiert haben wir diese Spezialität glücklicherweise nicht.
Der Tagesausflug zur Insel Aix an Tag 5 der Tour wird ein perfekter Sommertag am Meer. Aix liegt etwa 20 Kilometer südwestlich von La Rochelle, nahe den größeren Inseln Île de Ré und Île d’Oléron. Eine Fähre bringt uns von Fouras auf die autofreie Insel. Grüne Wiesen durchziehen die weitläufige Festungsanlage. Einst ein bedeutendes Bollwerk, ist Aix heute ein beliebtes Ausflugsziel. An diesem Tag tauschen wir Reinholds Picknickplatz gegen Meeresfrüchte in Francks Strandlokal. Nach einem Dutzend Austern singen wir Karaoke zu 99 Luftballons von Nena– die Stimmung könnte besser nicht sein.
Von der Gruppe zum Team
Trotz sorgfältiger Planung kommt es zu Überraschungen: Bauarbeiten sperren Straßen, oder umgestürzte Bäume blockieren den Radweg. Gemeinsam löst die Gruppe solche Hindernisse rasch.
Mal wieder wahr: Der Weg ist das Ziel
Von der Gruppe zum Team
Menschen mit ähnlichem Aktivitätsniveau und Interesse an Kultur verstehen sich in einer Gruppe meist gut. Jeder bestimmt sein sportliches Tempo selbst: Wer sich fordern will, schaltet den Akku aus, wer mithalten möchte, legt den Turbo ein. Selten fährt man Rad an Rad, es bleibt Platz für den eigenen Rhythmus. Das Reisen in einer Radgruppe hat mir gefallen. Die Fülle an Kultur und regionalen Besonderheiten war beeindruckend. Niemals hätte ich durch aufwändige Reisevorbereitung so viel Wissen sammeln können und wollen, wie unsere Reiseleiterin Katell mit guter Laune vermittelte – oft ergänzt durch Führungen, etwa im Cognac-Haus Baron de Otard oder in der Comic-Stadt Angoulême. Sieben Tage durch die Region Nouvelle-Aquitaine, die sich durch die Vielzahl an Eindrücken viel länger anfühlten.
Kollektiver Fotostopp auf einem Radweg auf der Ile de Ré: An dieser Klosterruine mit Klatschmohn fuhr niemand von uns achtlos vorbei / © Foto: Georg Berg
Highlights entlang der Charente
Die Charente windet sich auf 380 Kilometern durch die französische Region Nouvelle-Aquitaine. Ihr Lauf führt vom bergigen Quellgebiet über sanfte Hügel und Weinberge bis zu den maritimen Auen an der Mündung. Ab Angoulême ist der Fluss bis zum Atlantik bei Rochefort schiffbar. Einst diente er als Hauptverkehrsweg für die Cognacproduktion. Heute laden Cognac-Häuser und Winzer zum Spiritourismus ein, während Radwege wie der Flow Vélo an malerischen Dörfern, alten Steinbrücken, einer seltenen Schwebefähre, Wassermühlen, Burgen und der Altstadt von Angoulême vorbeiführen. Die Charente gilt noch als Geheimtipp, gehört sie doch zu den ursprünglichsten Flusslandschaften Frankreichs: kaum Massentourismus, dafür viel Natur, Ruhe und Genuss. Die kleine Insel Aix war einst ein Bollwerk zum Schutz der Charente-Mündung vor feindlichen Flotten, heute beliebt für einen Tagesausflug ans Meer.
Die Recherchereise wurde von Nouvelle-Aquitaine Tourismus und Radreiseveranstalter Die Landpartie unterstützt