Museum auf Rezept

Pieter Bruegels Wimmelbilder gegen Einsamkeit? Seerosen von Matisse gegen Depressionen? Oder Caspar David Friedrich, um einem Burn-out vorzubeugen? So gezielt ist der Ansatz wohl nicht gemeint. Doch Kulturangebote wie Museumsbesuche, Musik, Theater oder kreative Tätigkeiten kommen weltweit immer häufiger zum Einsatz, um Zivilisationskrankheiten vorzubeugen oder zu behandeln. 

Kuriose Situationen im Museum der Fondation Beyerler: Maskerade rund um Edward Hopper / © Foto: Georg Berg
Kuriose Situationen im Museum der Fondation Beyerler: Maskerade während der Corona-Pandemie rund um Edward Hopper / © Foto: Georg Berg

Kultur gegen Krankheiten

Kultur als Medizin scheint ein Erfolgsrezept! In Großbritannien läuft seit 2014 das Programm Museums on Prescription: Hausärzte verschreiben Museumsbesuche, um soziale Isolation und psychische Leiden zu lindern. Das staatlich geförderte Projekt hat die Zahl der Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte nachweislich gesenkt.

Führung im Paula Modersohn-Becker-Museum in Bremen. Besucher vor dem Selbstbildnis, das Paula Modersohn-Becker am 6. Hochzeitstag, dem 25. Mai 1906, in Paris zeigt. Es ist das erste nackte Selbstportrait einer Malerin in der Kunstgeschichte und daher von besonderer Bedeutung. Das Bild wird 2024 erstmalig mit über 50 weiteren ihrer Werke in einer Einzel-Retrospektive in New York und Chicago gezeigt / © Foto: Georg Berg
Führung im Paula Modersohn-Becker-Museum in Bremen, kann auch eine Maßnahme gegen Einsamkeit sein/ © Foto: Georg Berg

Seit 2018 können Ärzte in Montreal, Kanada, ihren Patienten Eintrittskarten für das Kunstmuseum verschreiben – die Krankenkasse übernimmt die Kosten. Teilnehmer berichten von deutlich besserer Lebensqualität und gesteigertem psychischen Wohlbefinden. Ähnliche Programme gibt es seit 2021 in Brüssel und im schweizerischen Neuchâtel. Dort verschreiben Ärzte Museums- und Gartenbesuche, vor allem gegen Depressionen, Burnout und Einsamkeit. In Bremen laufen Pilotprojekte, bei denen psychisch Belastete Zeichenkurse oder Improvisationstheater besuchen. Auch die WHO empfiehlt ausdrücklich, kulturelle Angebote in die Gesundheitsförderung einzubinden, um Resilienz und Wohlbefinden zu stärken.

Das alte Theater gestaltet Salvador Dali zu seinen Lebzeiten in ein Museum. Er ordnete seine Beisetzung im Zentrum der ehemaligen Theaterbühne an. Heute spazieren die Besucher über den roten Steinboden und entdecken eher zufällig die Bodenplatte an Dalis Grab / © Foto: Georg Berg
Das alte Theater gestaltete Salvador Dali zu seinen Lebzeiten in ein Museum um. Er ordnete seine Beisetzung im Zentrum der ehemaligen Theaterbühne an. Heute spazieren die Besucher über den roten Steinboden und entdecken eher zufällig die Bodenplatte mit Dalis Grab / © Foto: Georg Berg
Paula Modersohn-Becker Museum in Bremen / © Foto: Georg Berg
Paula Modersohn-Becker Museum in Bremen, begehbare Höhle von Verner Panton / © Foto: Georg Berg

Eintauchen in die Kunst

Kunst berührt die Seele – und manchmal den ganzen Körper. Ob Alte Meister oder Avantgarde, Impressionisten oder Pop-Art: Ausstellungen setzen immer stärker auf Erlebnisse. Immersive Formate erobern Museen weltweit und ziehen ein wachsendes Publikum an. So etwa die Van Gogh Immersive Experience: In Städten wie Berlin, London und Paris tauchen Besucher in Van Goghs Werke ein – mit großformatigen Projektionen, VR-Elementen und speziellen Betrachtungsräumen. Die Kunst wird digital lebendig. Ähnlich beeindruckt Monet’s Garden in Köln. Dort inszenieren Rauminstallationen und visuelle Effekte die Welt des französischen Impressionisten. Seerosen einmal anders – multimedial und zum Greifen nah. Japans berühmteste Künstlerin Yayoi Kusama verarbeitet schon seit Jahrzehnten ihre Krankheit in großformatigen, oft begehbaren Welten. Sie litt schon als Kind an Halluzinationen, sah Punkt- und Netzmuster und fürchtete, sich darin aufzulösen. Die Halluzinationen wurden zum Bestandteil ihrer Kunst.

Edvard Munch Ausstellung im Museum Barberini / © Foto: Georg Berg
Edvard Munch Ausstellung im Museum Barberini / © Foto: Georg Berg

Tipps für Museumsbesuche

Ein Museumsbesuch braucht weder VR-Brillen noch großformatige Projektionen. Schon die ästhetische Umgebung in einem Musem kann wohltuend sein: Zum Beispiel der berühmte Rivera Court im Detroit Institute of Art in Michigan. Oder die Sammlung Oskar Reinhart in Winterthur bei Zürich. Dort können Besucher ein Picknick mit Picasso genießen: eine flauschige Decke, Kissen und ein Korb voller spanischer Spezialitäten – thematisch abgestimmt auf die Werke der Sammlung. Unter alten Obstbäumen wird der Ausflug zum Seelenbalsam und hilft, Stress abzubauen. Oder wie wäre es mit einer entspannten Betrachtung von Caspar David Friedrichs berühmten Gemälde Zwei Männer in Betrachtung des Mondes? Es gehört, wie viele seiner Werke, zur Sammlung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden im Albertinum. Die düsteren Albtraumwelten des Surrealisten HR Giger, bekannt aus Filmen wie Alien, Dune oder Poltergeist leben im HR Giger Museum weiter. Für Science-Fiction-Fans ist der Besuch im schweizerischen Gruyères ein Fest, für alle anderen eine verstörende Mutprobe.

Auch Modellbahnfans kommen im Bahnmuseum Albula auf ihre Kosten / © Foto: Georg Berg
Das Bahnmuseum Albula in Filisur begeistert generationsübergreifend / © Foto: Georg Berg

Unheilbar sind nur die Selbstverliebten

Nur dem Narzissten hilft kein Museumsbesuch auf Rezept. Inspirierende Räume, kreative Werke oder gesellschaftskritische Impulse lassen ihn kalt. Im Zeitalter der Selfiesucht inszeniert er sich überall, wo er geht und steht, und sendet stets dieselbe Botschaft: „Seht her, erst durch mich wird dieser Ort wirklich schön! “

Der Spiegel, das Selfie und ich! Und die Kunst? So mancher Besucher sieht nur das eigene Ich im Kontext der Ausstellung im Friedericianum auf der documenta 14, Kassel / © Foto: Georg Berg
Der Spiegel, das Selfie und ich! Und die Kunst? So manche Besucherin sieht nur das eigene Ich im Kontext der Ausstellung, Documenta Kassel / © Foto: Georg Berg
Moment mal!

Unsere Arbeitsweise zeichnet sich durch selbst erlebte, gut recherchierte Textarbeit und professionelle, lebendige Fotografie aus. Für alle Geschichten gilt, dass Reiseeindrücke und Fotos am selben Ort entstehen. So ergänzen und stützen die Fotos das Gelesene und tragen es weiter.

Nie mehr neue Tellerrand-Stories verpassen! Mithilfe eines Feed-Readers lassen sich die Information über neue Blogartikel in Echtzeit abonnieren Mithilfe eines Feed-Readers lassen sich alle Geschichten über den Tellerrand in Echtzeit abonnieren.

Permalink der Originalversion: https://tellerrandstories.de/museum-prescription