Walbeobachtung

Nein, ich schreibe diese kleine Walbetrachtung nicht, weil morgen, am 23. Februar 2025, Bundestagswahl ist. Für den phonologischen Kalauer, der nur im Deutschen funktioniert, soll die wichtige Richtungswahl nicht herhalten müssen. Doch beim Anblick des riesigen Wal-Gemäldes im Rathaussaal von Bremen dachte ich an den Pottwal, der vor einigen Tagen an Sylts Küste strandete. Noch immer ist es ein Medienereignis, wenn ein großer Meeressäuger sich verirrt und nicht aus eigener Kraft ins offene Meer zurückfindet. Das Gemälde im Bremer Rathaussaal zeigt genau so ein Ereignis – vor über 350 Jahren. Schon damals nutzte man spektakuläre Vorfälle für politische Zwecke.

Gemälde von Franz Wulfhagen im Großen Saal des Bremer Rathauses, bekannt als das Große Walbild. Im Jahr 1669 verirrte sich ein Zwergwal in die Lesum, einen Nebenfluss der Weser. Der Rat der Stadt beauftragte den Maler, den Wal in Originalgröße zu malen. Das Gemälde misst 3,55 x 9,55 Meter / © Foto: Georg Berg
Gemälde von Franz Wulfhagen an der Nordwand im Großen Saal des Bremer Rathauses / © Foto: Georg Berg

Walplakat oder Schlachtengemälde?

Das Gemälde mit dem Wal im Großen Saal des Bremer Rathauses, bekannt als das Große Walbild, erzählt eine Geschichte aus dem Jahr 1669. Damals verirrte sich ein Zwergwal in die Lesum, einen Nebenfluss der Weser, und strandete dort. Dieses Ereignis war eine Sensation. Der Stadtrat beauftragte umgehend den Maler Franz Wulfhagen, den Wal in Originalgröße zu malen. Das Bild, 3,55 mal 9,55 Meter groß, zeigt den Wal in voller Länge. 

Das Große Walbild von 1669 im Bremer Rathaus hatte auch symbolische Bedeutung. Es sollte die maritime Verbindung Bremens und die Selbstbehauptung der Stadt gegenüber mächtigen Nachbarn betonen. Das präparierte Skelett des Wals hing bis 1815 ebenfalls im Saal, bevor es durch die heute dort befindlichen Schiffsmodelle ersetzt wurde / © Foto: Georg Berg
Das Große Walbild von 1669 im Bremer Rathaus hatte auch symbolische Bedeutung für den Rat der Stadt Bremen / © Foto: Georg Berg

Das Werk war mehr als ein Kunstwerk: Es diente dem Rat der Kaiserlich Freien Reichs- und Hansestadt Bremen als politisches Statement. Es sollte Bremens maritime Verbundenheit und seinen Anspruch auf Selbstständigkeit gegenüber mächtigen Nachbarn unterstreichen. Bis 1815 hing auch das präparierte Skelett des Wals im Saal, bevor es durch die heutigen Schiffsmodelle ersetzt wurde. Nach Jahrhunderten im Rathaus nahm man das Gemälde 1965 ab und lagerte es im Depot. Erst nach einer Restaurierung kehrte es 2008 an seinen ursprünglichen Platz an der Nordwand in der Oberen Rathaushalle zurück.

Obere Rathaushalle im Bremer Rathaus (1405). Kriegsschiffe, Orlogschiffe genannt, hängen in der oberen Rathaushalle von der Decke. Sie symbolisieren die maritime Geschichte Bremens und die Bedeutung der Stadt als Handels- und Hafenstadt. Ihre Kanonen waren früher funktionsfähig und wurden bei besonderen Anlässen abgefeuert / © Foto: Georg Berg
Kriegsschiffe, Orlogschiffe genannt, hängen heute an der Rathaushalle von der Decke / © Foto: Georg Berg

Wie immer geht es um Macht

Heute hängen Modelle von Kriegsschiffen in der Rathaushalle. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit schützten solche Schiffe die Handelsflotten der Hansestädte vor Piraten und Feinden. Die Modelle erinnern an diese Schutzfunktion und symbolisieren zugleich den Wohlstand und die Macht, die Bremen durch den Handel erlangte. Einige Modelle stammen aus dem 16. bis 18. Jahrhundert. Ihre Kanonen sind sogar funktionsfähig und wurden früher bei besonderen Anlässen abgefeuert. 

Was heute wie verstaubte Dekoration und überladener Kitsch wirkt, sendete damals eine deutliche Botschaft, oft an die territorialen Nachbarn: „Legt euch besser nicht mit uns an.“ Daran hat sich bis heute, wie jüngste weltpolitische Ereignisse zeigen, kaum etwas geändert.

In Bremen kann man hervorragend Seefahrerküche essen. Bremen nennt sich auch Kaffee-Stadt und hat mit dem Paula Modersohn-Becker-Museum, das erste Museum weltweit für eine Malerin. In Walbeobachtung erzählen wir, warum im Alten Rathaus das Bild eines Wals in Lebensgröße hängt. Bremen kann auch Erinnerungskultur: An der Weserpromenade erinnert seit 2023 das Arisierungs-Mahnmal an die systematische Enteignung der jüdischen Bevölkerung während der NS-Zeit und bei einer Stadtführung haben wir besondere Hingucker im Blick.

Die Recherche wurde von Bremen Tourismus unterstützt

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