Auf einen Kaffee in der Karawanserei

Im Herzen von Nikosia, im Büyük Han, der großen osmanischen Karawanserei und einem der schönsten Bauwerke Zyperns, trifft sich jeden Samstag der Coffee Club. Männer und Frauen tragen Tische auf den großen Innenhof, stellen Stühle auf und scherzen miteinander. So weit, so normal.

Büyük Han, Great Inn, ist eine der touristischen Hauptattraktionen von Nikosia. Die alte Karawanserei besteht aus zwei Etagen. Im unteren Teil der quadratischen Anlage befinden sich Cafés und Restaurants. Seit 2004 trifft sich hier wöchentlich der Coffee Club / © Foto: Georg Berg
Büyük Han, Great Inn, ist eine der touristischen Hauptattraktionen von Nikosia. Die alte Karawanserei besteht aus zwei Etagen. Im unteren Teil der quadratischen Anlage befinden sich Cafés und Restaurants. Seit 2003 trifft sich hier wöchentlich der Coffee Club / © Foto: Georg Berg

Doch einige in der Runde, wie Marina und Andreas, haben gerade einen Checkpoint passiert, ihren Ausweis vorgezeigt, der erst von den griechisch-zypriotischen Grenzbeamten gescannt wird, und keine hundert Meter weiter passiert das Gleiche am türkisch-zypriotischen Checkpoint. Nikosia ist die einzige noch geteilte Hauptstadt der Welt. Mitten durch die verwinkelten Gassen der Altstadt wurde 1964 vom britischen Generalmajor Peter Young auf einer Landkarte die Green Line gezogen, um den Bürgerkrieg zu befrieden. Straßen wurden zu Sackgassen, an deren Ende Barrikaden mit Stacheldraht stehen. 1974, nach der militärischen Intervention der Türkei, wurde diese Buffer Zone ausgeweitet und seitdem von der UNO überwacht.

Barrikade in der Altstadt von Nikosia. Hinter der Absperrung beginnt die Green Line. Die entmilitariiserte Buffer Zone wird seit 1964 von den Vereinten Nationen kontrolliert / © Foto: Georg Berg
Barrikade in der Altstadt von Nikosia. Hinter der Absperrung beginnt die Green Line. Die entmilitarisierte Buffer Zone wird seit 1964 von den Vereinten Nationen kontrolliert / © Foto: Georg Berg

20 Jahre Coffee Club

Hoffnung keimte 2003 auf, als ausgerechnet der stramm rechte Präsident Rauf Denktasch der nur von Ankara anerkannten Türkischen Republik Nordzypern die Schlagbäume am Ledra-Palast in Nikosia öffnen ließ. Neugierig strömten damals Menschen aus dem türkischen Nordzypern in den griechischen Teil Nikosias und umgekehrt. In diesem Jahr wurde auch der Coffee Club gegründet. 2004 wird zum Schicksalsjahr. Während sich die Menschen im Norden Zyperns endlich aus der wirtschaftlichen Isolation befreien wollen, werden im Süden der Insel Ängste geschürt, dass eine Wiedervereinigung gleichbedeutend mit dem Verlust der griechischen Identität wäre. Der UN-Friedensplan für Zypern scheiterte am klaren Nein der griechischen Zyprioten. Für den gerade gegründeten Coffee Club war das eine herbe Enttäuschung. Sie setzen ihre Treffen im Büyük Han bis auf den heutigen Tag fort.

Süleyman Ergüclü (l.), Gründer und ehemaliger Chefredakteur einer Zeitung im türkischen Norden und Andreas Paralikis (m.), Zyperngrieche und Mitbegründer des Coffee Clubs, den sie selbstironisch als Verräter-Club bezeichnen sowie rechts der dritte Mitgründer auf ihrem wöchentlichen Treffen in Büyük Han, Great Inn, in der Altstadt von Nikosia / © Foto: Georg Berg
Süleyman Ergüclü, Andreas Paralikis und Hasan Chirakli (v.l.n.r.) sowie Hasip Erel (nicht im Bild) sind die vier Begründer des Büyük Han Coffee Clubs, den sie selbstironisch auch den Verräter-Club nennen / © Foto: Georg Berg

Mit Galgenhumor und Selbstironie

Der Büyük Han Coffee Club ist die einzige bikommunale Gruppe, die an der Wiedervereinigung Zyperns interessiert ist. Deshalb treffen sich Andreas, Hasan, Nikolaos, Hasip, Süleyman, Marina, Halil und viele andere. Sie bringen Freunde und Bekannte mit, laden Politiker und Repräsentanten ein, um die Menschen und das Leben auf der jeweils anderen Seite der Insel kennen zu lernen.

Süleyman Ergüclü, ehemaliger Chefredakteur einer Zeitung im türkischen Norden war 1974 Soldat und kämpfte gegen die griechischen Zyprioten und deren Schutzmacht Griechenland. Über seine Kriegserfahrungen hat er ein Buch geschrieben „A minute. A lifetime“ / © Foto: Georg Berg
Süleyman Ergüclü, ehemaliger Chefredakteur einer Zeitung im türkischen Norden war 1974 Soldat und kämpfte gegen die griechischen Zyprioten und deren Schutzmacht Griechenland. Über seine Kriegserfahrungen hat er ein Buch geschrieben „A minute. A lifetime“ / © Foto: Georg Berg

Es wird viel geredet, aber wenig über Politik. Der Konflikt, weltweit als Zypern-Problem bekannt, beherrscht die Medien auf beiden Seiten der Insel. Deshalb hat sich der Coffee Club ein paar Regeln gegeben. Eine davon lautet: Keine langen politischen Diskussionen. Politiker wie die beiden Bürgermeister der geteilten Stadt, UN-Mitarbeiter sowie amtierende und ehemalige Chefunterhändler der Friedensgespräche schauen bei dem betont informellen Treffen immer wieder vorbei.

Lange Tischreihe im Büyük Han, der großen Karawanserei in der Altstadat von Nikosia. Einmal in der Woche, immer samstags, treffen sich Zyprioten aus dem Norden und dem Süden der geteilten Insel. Sie nennen sich selbstironisch den Verräter-Club, denn ihre Treffen werden von vielen ihrer Landsleute insbesondere aus dem griechisch-zypriotischen Südzypern als Kollaboration mit dem einstigen Feind angesehen / © Foto: Georg Berg
Lange Tischreihe im Büyük Han, der großen Karawanserei in der Altstadat von Nikosia. Einmal in der Woche, immer samstags, treffen sich Zyprioten aus dem Norden und dem Süden der geteilten Insel / © Foto: Georg Berg

Sie trinken Kaffee gegen die Absurdität ihrer Situation. Sie setzen Humor und Toleranz gegen Vorurteile und Propaganda. Sie lachen und scherzen, machen Witze über die Sprache des anderen und sind doch daran interessiert, ein neues griechisches oder türkisches Wort zu lernen. Sie schütteln den Kopf darüber, wie ein Kaffee politisch werden konnte und dass ein und dasselbe Getränk auf Zypern nun Turkish Coffee, Greek Coffee oder Cyprus Coffee heißt. Manchmal nennen sie sich selbstironisch den Club der Verräter, weil sie Freunde sind und die Wiedervereinigung anstreben. Ihre Treffen werden von vielen ihrer Landsleute, vor allem im griechisch-zypriotischen Süden, als Kollaboration mit dem einstigen Feind angesehen.

Angela Berg im Gespräch mit dem Zyperngriechen Nikolaos. Sein größter Wunsch ist die Wiedervereinigung Zyperns. Persönliche Begegnungen und Gespräche sind ein Schlüssel für die Annäherung der beiden Volksgruppen / © Foto: Georg Berg
Angela Berg im Gespräch mit dem Zyperngriechen Nikolaos. Sein größter Wunsch ist die Wiedervereinigung Zyperns. Persönliche Begegnungen und Gespräche sind ein Schlüssel für die Annäherung der beiden Volksgruppen / © Foto: Georg Berg

Sie geben die Hoffnung nicht auf, auch wenn dem Zyperngriechen Nikolaos die Tränen kommen, wenn er an die verpassten Chancen und das hartnäckige Ressentiment seiner Landsleute denkt. Seit 2003 trinken sie Kaffee gegen den Konflikt auf ihrer geteilten Insel. Marina Christofides bringt ihre Motivation für das wöchentliche Treffen im Büyük Han auf den Punkt: „Weil wir nichts Besseres zu tun haben und weil es das Beste ist, was wir tun können.“

Marina Christofides, Griechisch-Zypriotin und Buchautorin auf dem Büyük Han in Nikosia. Dieser Ort und die Gruppe Gleichgesinnter und Freunde, die sich jeden Samstag aus dem Süden und Norden der geteilten Insel im Innenhof der Karawanserie treffen, ist Thema ihres Buches „The Traitors Club“ / © Foto: Georg Berg
Marina Christofides, Griechisch-Zypriotin und Buchautorin auf dem Büyük Han in Nikosia. Dieser Ort und die Gruppe Gleichgesinnter und Freunde, die sich jeden Samstag aus dem Süden und Norden der geteilten Insel im Innenhof der Karawanserie treffen, ist Thema ihres Buches „The Traitors Club“ / © Foto: Georg Berg

Buchtipp The Traitors‘ Club

Marina Christofides beschreibt das Leben auf einer Insel, die das Potenzial zum Paradies hatte. In The Traitors‘ Club (*) erzählt sie, wie es sich anfühlt, auf Zypern zu leben, während das ungelöste politische Problem das eigene Leben prägt. Die Gespräche mit ihren Freunden aus dem titelgebenden Verräterclub durchziehen das Buch wie ein Beweis dafür, dass die Bemühungen normaler Menschen den Weg zu einem friedlichen Zusammenleben weisen.

Seit dem Schicksalsjahr 2004, als die Zyperntürken für und die Zyperngriechen mit großer Mehrheit gegen eine Wiedervereinigung stimmten, treffen sie sich im Büyük Han in Nikosia. Zyprioten aus dem Norden und dem Süden der geteilten Insel suchen gemeinsam nach Wegen für ein Ende der Teilung, der Vorurteile und des Hasses. Gäste sind gerne gesehen / © Foto: Georg Berg
Seit dem Schicksalsjahr 2004, als die Zyperntürken für und die Zyperngriechen mit großer Mehrheit gegen eine Wiedervereinigung stimmten, treffen sie sich im Büyük Han in Nikosia. Zyprioten aus dem Norden und dem Süden der geteilten Insel suchen gemeinsam nach Wegen für ein Ende der Teilung, der Vorurteile und des Hasses. Gäste sind gerne gesehen / © Foto: Georg Berg

Wandern für die Wiedervereinigung

Vor gut vier Jahren gründete Andreas Paralikis die Peace Nature Lovers. Ein Wanderclub, der mit einer Handvoll Freunden begann, wie einst der Büyük Han Coffee Club. Inzwischen werden die gemeinsamen Wanderungen auf beiden Seiten der Insel immer beliebter. Kürzlich, erzählt Andreas, waren es 55 Teilnehmer, darunter die UN-Referentin für politische Angelegenheiten auf Zypern, Solveig Knudsen.

UN Wachturm in der Buffer Zone, der sogenannten Green Line, die 1964 zur Befriedung der Unruhen durch das Zentrum von Nikosia verläuft / © Foto: Georg Berg
UN Wachturm in der Buffer Zone, der sogenannten Green Line, die 1964 zur Befriedung der Unruhen durch das Zentrum von Nikosia verläuft / © Foto: Georg Berg

Die Insel, die jeder wollte

Wer glaubt, nur die jüngere Geschichte Zyperns sei kompliziert und vielschichtig, der irrt. Die Insel im östlichen Mittelmeer hat schon immer Begehrlichkeiten geweckt, vor allem bei Imperialisten und Glaubensbekehrern. Hier ein Auszug aus dem Who is Who der Besiedlungsgeschichte Zyperns: Die Phönizier waren da, gefolgt von den Griechen und den Assyrern. Dann kamen die Perser und auch Alexander der Große warf einmal ein Auge auf Zypern. Um das Jahr Eins unserer Zeitrechnung haben die Römer Zypern annektiert. Es folgte das Byzantinische Reich. Wir schreiben das Jahr 1192 n. Chr. und der bis heute schillernde Richard Löwenherz landet auf Zypern, um seiner schiffbrüchigen Schwester und seiner Braut zu Hilfe zu eilen. Ihm scheint nichts Besseres eingefallen zu sein, als die Insel mit seinen Kreuzrittern zu erobern und die gerettete Braut dort zu heiraten. Später verkaufte er die Insel und nach einigen Wirren hatten französische Adelsfamilien das Sagen und stellten eine Reihe von Königen aus dem Geschlecht der Luisignans. Dann kamen die Venezianer, gefolgt von den Osmanen. Letztere errichteten 1572 die Große Karawanserei, wo sich heute der Coffee Club trifft. Ein Tauschhandel zwischen Osmanen und Briten im Jahr 1878 leitete die britische Herrschaft ein. Kulturgeschichtlich ist Zypern also ein heißes Pflaster und unzählige Ausgrabungsstätten, Burgruinen, Klöster und Gebäude zeugen von dieser wechselvollen Geschichte. Auch darüber hat Marina Christofides ein Buch geschrieben. The Island Everyone wanted (*) ist eine illustrierte Geschichte Zyperns.

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Die Recherchereise wurde von Cyprustravel unterstützt.

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