Die Dinge. Eine Geschichte der Frauen

Dinge des Alltags sind für Annabelle Hirsch kein nebensächlicher Kleinkram, sondern ein spannender Zugang zur Geschichte. Die freie Journalistin hat deutsche und französische Wurzeln. In München und Paris studierte sie Kunstgeschichte, Theaterwissenschaften und Philosophie. Sie schreibt auf deutsch und ist literarische Übersetzerin aus dem Französischen. Die Dinge – Eine Geschichte der Frauen in 100 Objekten ist ihr erstes Buch.

Annabelle Hirsch, Journalistin, bei einer Lesung in Moers aus ihrem ersten Buch Die Dinge. Eine Geschichte der Frauen in 100 Objekten / © Foto: Georg Berg
Annabelle Hirsch, Journalistin, bei einer Lesung in Moers aus ihrem ersten Buch Die Dinge. Eine Geschichte der Frauen in 100 Objekten / © Foto: Georg Berg

Die Idee zu ihrem Buch, so sagt Annabelle Hirsch, entspringe ihrem schon lange bestehenden Interesse für Frauengeschichte. Sie habe schon immer viel über Frauen und von Frauen gelesen, erklärt sie im Gespräch. Sie wechselt oft den Wohnort und suche sich in jeder neuen Stadt eine Frau aus der Vergangenheit und frage sich, was diese Frau dachte, was sie erhoffte. Sie interessiere mehr die Anekdoten und Details, denn die nehmen Distanz und lassen uns tiefer in den Alltag von damals eintauchen.

Leise Dinge

Alltagsgegenstände, wie Kochtöpfe, Hutnadeln oder eine Kleidertasche sind das Gegenteil von Monumenten. Sie gedenken keiner gewonnen Schlacht und auch keiner Revolution, schreibt Hirsch gleich in der Einleitung. Sie gehören nicht zur sogenannten großen Geschichte, sondern zum intimen Bereich. Dem Leisen, dem Übersehenen. Jenem Bereich, der lange als weiblich und somit als unwichtig galt. Ihr Buch umfasst eine Zeitspanne von 30.000 v. Chr. bis 2017. Man kann bei der Lektüre in den Jahrhunderten springen oder chronologisch durch diese Wunderkammer der Weiblichkeit schreiten.

Annabelle Hirsch, Journalistin mit deutsch-französischen Wurzeln erläutert die Entstehung ihres ersten Buches. Die Dinge. Eine Geschichte der Frauen in 100 Objekten / © Foto: Georg Berg
Annabelle Hirsch, Journalistin mit deutsch-französischen Wurzeln erläutert die Entstehung ihres ersten Buches. Die Dinge. Eine Geschichte der Frauen in 100 Objekten / © Foto: Georg Berg

Die Geschichte der Frauen ist nicht linear. Die von Annabelle Hirsch ausgewählten Objekte erzählen von Entwicklungen und Rückentwicklungen, von Freiheitsdrang und Rebellion genauso wie von Mythen und Normen, mit denen man Frauen klein halten wollte. Es ist ein Blick auf die Geschichte der Frauen des Westens, auf Gegenstände des Alltags, der Mode, der Medizin oder der Kunst. Deutlich spürt man bei ihrer Auswahl, dass Annabelle Hirsch in Deutschland und Frankreich aufgewachsen ist. Ihr Faible für weibliche Literatur schwingt in vielen der Kapitel mit und ihr Gespür für unscheinbare Dinge, die dank ihrer beharrlichen Recherche zu spannenden Betrachtungen über das Leben von Frauen in der Vergangenheit werden. Ihr Blick geht weit zurück, auch in Jahrhunderte und Epochen, über die wir nicht soviel wissen. Vorgestellt werden Objekte von Frauen aller Klassen. Neben den naheliegenden Dingen, wie Korsett, Lippenstift, Bikini oder der gesellschaftspolitisch höchst relevanten Antibabypille, liegt das Hauptaugenmerk auf den Gegenständen, die einem nicht gleich in den Sinn kommen.

Dinge des Alltags, wie Bikini, Chanel No 5, das Safety Bicycle, das Deutsche Grundgesetz und die Antibabypille. © Foto Kein & Aber
Dinge des Alltags, wie Bikini, Chanel No 5, das Safety Bicycle, das Deutsche Grundgesetz und die Antibabypille. © Foto Kein & Aber

Verkrustete Rollenmuster

Ein wunderbares Beispiel für das beharrliche Festhalten an Rollenmustern, für das Männer, in diesem Fall Wissenschaftler, bereit sind, die eigenen Thesen über den Haufen zu werfen ist das Kapitel Hnefatafl-Spiel aus dem 10. Jahrhundert. Es geht um kleine Kugeln aus Elch-Horn, die u.a. im Grab eines herausragenden Wikinger-Kriegers lagen. Im 19. Jahrhundert wurde dieses Grab in Schweden entdeckt. Doch 2017 ergab ein DNA Test, dass der Krieger mit den prächtigen Grabbeigaben wohl eine Kriegerin und sogar Militärstrategin war. Daraufhin hegten einige Wissenschaftler Zweifel an der bisherigen Lesart von Gräbern. Annabelle Hirsch merkt an dieser Stelle an, dass es auch sein könne, dass Wikinger das Konzept Geschlecht einfach anders dachten, dass es nebensächlich war und nicht rollenbestimmend. Ganz nebenbei erfährt man in diesem Kapitel noch, dass es Richard Wagner war, der 1876 bei der Uraufführung von Der Ring der Nibelungen den Wikingern ihre Hörner an den Helm komponierte.

Safety Bicycle
Das Safety Bicycle von 1889 verschaffte den Frauen mehr Bewegungsfreiheit. © Foto Kein & Aber

Bewegung bringt Freiheit

Bewegungsfreiheit fängt schon bei der Kleidung an. Doch es dauerte bis in die 1920er Jahre bevor Frauen in den Genuss von eingenähten Kleidertaschen kamen. Coco Chanel war es, die Frauenkleidung mit Taschen versah und so für Furore sorgte. Es war ein klares Statement gegen die historische Taschenlosigkeit der Frauen, denn eine praktische Hosentasche blieb ihnen über Jahrhunderte verwehrt. Ihre Habseligkeiten trugen Frauen in Stoffbeuteln bei sich, der sogenannten Kleidertasche, die umständlich zwischen die vielen Kleiderschichten geschnürt wurde. 1889 wurde das Saftey Bicycle erfunden. Ein Rad, das sicherer konzipiert war und auch günstiger in der Anschaffung. Zuvor konnten Frauen nur als passiver Tandemfahrer mit dem Mann mitfahren. Für eine freie Fahrt auf dem Safety Bike wurden die langen viktorianischen Röcke mit wallenden Unterkleidern gegen plustrige Hosen im orientalischen Stil, den sogenannten Bloomers, eingetauscht. Frauen deren Bewegungsradius sich bis dahin auf das Haus, den Spaziergang im Park oder einen Museumsbesuch beschränkte, konnten nun in berauschendem Tempo viel weitere Kreise ziehen. Ende des 19. Jahrhunderts ordnete die Frauenrechtlerin Elizabeth Cady Stanton das Fahrrad in Bezug auf die Befreiung der Frauen als die wichtigste Erfindung des Jahrhunderts ein.

Tupperware 1950er Jahre, © Foto Kein & Aber
Tupperware 1950er Jahre, © Foto Kein & Aber

Von Hutnadel bis Tupperware

Mit ihrem Buch belegt Annabelle Hirsch an 100 oft unscheinbaren Gegenständen, einen oft sehr überraschenden emanzipatorischen Effekt. Wer hätte so etwas einer Hutnadel oder den pastellblassen Tupperdosen zugetraut? Frauen haben in der Geschichte einen Platz eingenommen, sie haben Dinge bewegt, verändert und auch geprägt. Glücklicherweise haben sie Spuren hinterlassen, die man sehen kann, wenn man es will.

Die Dinge. Eine Geschichte der Frauen in 100 Objekten von Annabelle Hirsch (*)

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