Auf der Reise durch die Präfektur Shizuoka treffen wir immer wieder auf Menschen, die ihr ganzes Leben ihrem Beruf gewidmet haben. Bis ins hohe Alter bringen sie sich ein und geben ihre Fähigkeiten weiter. Das westliche Credo einer Work-Life-Balance oder auch die schon viel länger beschriehene Mid-Life-Crisis, als deren Ausweg sich Menschen ganz neuen Lebenskonzepten zuwenden, scheint nicht vorgesehen und auch nicht denkbar. Peter Rosei schreibt in seinen Reiseaufzeichnungen: „In der japanischen Stadt gibt es vielfach noch Läden oder Handwerksbetriebe, die in einer Art mittelalterlicher Selbstgenügsamkeit existieren.“ Diese Genügsamkeit und Zufriedenheit spüren auch wir bei dem Zusammentreffen mit ganz unterschiedlichen Menschen und ihren Berufen.
Ein Leben für das Handwerk
Sumiko Sano ist 85 Jahre alt, sehr freundlich, vom Alter gekrümmt und in ihren Anweisungen bei der Zubereitung von Soba Nudeln, den japanischen Buchweizennudeln, sehr bestimmt. Seit 28 Jahren betreibt sie das kleine Restaurant im Dorf Yuno am Fuße des Mount Fuji. Bei ihr werden die Soba-Nudeln sogar im Wasser des heiligen Bergs gekocht. Übernommen hat Sumiko Sano die Restaurantführung von einer damals ebenfalls sehr alten Dame. Zur Zeit assistieren ihr zwei Frauen, die rund zwanzig Jahre jünger und bereit sind, Titel und Aufgabe in näherer Zukunft zu übernehmen. So geht es hier schon seit Generationen. Genauer gesagt seit 19 Genrerationen – und seit 400 Jahren wird in der Familie von Sumiko Sano Buchweizen angebaut.
Namagiri – Die Schlacht ist nie vorbei
An diesem Montag beginnt der Prozess vom Fisch zur Flocke wieder von Neuem. Seit fünf Generationen und 138 Jahren geht das hier schon so. Die Manufaktur von Yasuhisa Serizawa liegt unauffällig in einer Kurve auf dem Weg runter zur Tago Bay im Westen der Halbinsel Izu. Es ist der Beginn eines sehr arbeitsteiligen Prozesses, in dem jeder seinen Platz und seine Aufgabe kennt. Alles beginnt mit Blut, Wasser und Feuer. Es dampft, Wasser plätschert aus den Schläuchen. Ständig wird die Arbeitsfläche mit einem Schwall frischem Wasser gereinigt. Nie entsteht Leerlauf. Jeder der rund 15 Mitarbeiter weiss, was zu tun ist.
In diesem Uhrwerk an Präzision bei der Verarbeitung von rund zwei Tonnen Thunfisch fällt Yasuhisas Vater auf. Seit mehr als 60 Jahren produziert er Katsuobushi, bei uns bekannt als Bonitoflocken. Er hat diesen Betrieb viele Jahrzehnte geleitet. Jetzt im hohen Alter macht er einfach weiter. Auch Serizawa Senior weiss, was zu tun ist. Doch er kann das Tempo nicht mehr mithalten. Bewegt sich wie in Slow Motion aber gleichzeitig mit schlafwandlerischer Sicherheit. Ohne hinzuschauen steigt er über jeden Wasserschlauch. Kniet nieder, um Feuer für den ersten Räuchervorgang zu entzünden oder zerteilt den Fisch in zwei Hälften. Später zeigt er mir Fotos aus seiner aktiven Zeit. Es sind Bilder von Veranstaltungen, auf denen er für den besonders hochwertigen Honkarebushi seiner Manufaktur ausgezeichnet wird. Darunter ist aber auch ein Foto aus einem Freizeitpark, das ihm besonders wichtig scheint. Vielleicht sein einziger Vergnügungsausflug?
Bonsai – im Garten der gezähmten Welten
Bonsai-Meister durchlaufen eine fünfjährige Ausbildung. Als Dank für die erlernten Fähigkeiten arbeiten sie danach noch ein Jahr weiter für ihren Ausbilder. Als Inhaber des Gartens Gashouen in Izu City, Shizuoka besitzt Toshio Ohsugi viele eigene Bonsais. Aber ein Großteil der Pflanzen wurden von ihren Eigentümern in Pflege gegeben. Über den Wert der Bäume äußert er sich nur vage. Viele seien teurer als ein Mercedes Benz. Oft werden die Bonsais von ihren Eigentümern für Festlichkeiten nach Hause geholt. Besitzer mehrerer Bonsais wechseln die Pflanzen aus Platzmangel in den eigenen vier Wänden von Zeit zu Zeit aus.
Dem Bonsai ein Gesicht geben
Jeder Bonsai hat ein Gesicht. Die Paradeseite hat das besondere Augenmerk des Bonsai-Meisters. Das Gesicht eines Bonsais neigt sich leicht nach vorne, dem Betrachter entgegen. Vorsichtiger Gehölzschnitt mit winzigen Gartenscheren, das Beschneiden der Wurzeln oder das Umtopfen sind Aufgaben eines Bonsai-Meisters. In den Sommermonaten müssen die Bäume zweimal am Tag gegossen werden. Bewertung wie Verkauf und sogar der Bonsai-Verleih gehören zu den Dienstleistungen von Toshio Ohsugi. Doch was seinen Beruf für ihn so besonders macht, ist das Wissen um die Generationen von Bonsai-Meistern vor ihm, die denselben uralten Zwergbaum schon in ihrer Obhut hatten. Er trage so eine große Verantwortung, sagt Toshio, die ihn demütig und dankbar mache.
DANKE in Izu – Von einem der auszog Bäcker zu werden
Daiichi Sugiyama trägt eine Bäckerjacke mit schwarz-rot-goldenen Streifen. In der Auslage stapeln sich dunkle Brote mit Roggenanteil und Körnermischungen und sein Haus ist unübersehbar eine Hommage an das deutsche Fachwerk. Wie konnte das geschehen? Er antwortet uns gut gelaunt und benutzt virtuos einen mobilen Sprachübersetzer.
Japaner sind sehr detailverliebt
Seine Bäckerlehre, erzählt Sugiyama, absolvierte er in Kiel. Seitdem arbeitet er auch mit Vollkornmehl und backt Körnerbrote. Seine Maschinen lies er aus Deutschland einführen. Die nach seinen Vorstellungen für Japan hergestellten Mehlsorten tragen Namen wie Wilhelm und Hanse – und die Bäckerei gar den Namen DANKE. Ein deutsches Wort, das jeder Japaner versteht. Nebenbei gesagt ist auch das japanische Arigato das Wort, das jeder Ausländer sofort lernt. Denn Japaner bedanken sich so häufig, dass man es durch die ständige Wiederholung sofort verinnerlicht. Die kräftigen Brotsorten sind beliebt. Allerdings eher als Beilage zum Abendessen. Im japanischen Frühstück mit Misosuppe, sauereingelegtem Gemüse und Fisch ist kein Brot vorgesehen.
Hier geht es zur ausführlichen Reportage über Soba, Sake und Satoyama
Hier geht es zur ausführlichen Reportage über die traditionelle Herstellung von Katsuobushi