Die Felsmalereien im australischen Outback sind Werke der ältesten kontinuierlichen Kunsttradition der Welt. Viele Galerien im Norden Australiens sind noch gut erhalten, obwohl sie seit 20.000 Jahren den Elementen ausgesetzt sind. Sie erzeugen sowohl bei Aborigines, wie die Ureinwohner Australiens genannt wurden, als auch bei internationalen Besuchern ein ehrfürchtiges Staunen. Und das, obwohl sie keinen europäisch geprägten Kunstbegriff unterzuordnen sind.

Aber der Reihe nach. Zur Natur von Felsmalereien gehört, dass sie nur an ihrem eigenen Ort erlebbar sind. Diese Orte sind abgelegt und entziehen sich der kuratorischen Aufbereitung. Manche sind so heilig, dass nicht jeder dort hingehen darf. Diese Einschränkung gilt sogar für die meisten Aborigines. Denn es gibt zahlreiche Stämme mit jeweils eigener Sprache und eigenem Kulturraum. Die Felsgalerien gehören zur Überlieferung der dort heimischen Volksstämme und prägen in den jeweiligen Gebieten ihre Identität. Sie sind nicht bloß als Werke zu verstehen, mit denen sich ein Künstler ausdrückt. Von manchen Zeichnungen wird sogar geglaubt, dass sie von Geistern erschaffen worden sind.


Der umgekehrte Eigentumsbegriff
In Australien werden Aborigines, die in ihren ursprünglichen Stammgebieten leben, als Traditional Owners bezeichnet. Diese Wortwahl soll ihnen heute zwar den Respekt erweisen, der ihnen mit der britischen Kolonialisierung lange verwehrt geblieben ist. Der Begriff des Besitzes geht den Traditional Owners aber schon im Kern am Selbstverständnis vorbei. Denn in der tief verwurzelten Einstellung der Aborigines kann es an Land kein Eigentum geben. Es ist sogar umgekehrt: Die Bewohner gehören zu dem Land und von ihm wird ihr Leben wesentlich geprägt. Diese für die weiße Kultur schwer verständliche Haltung ist auch im heutigen Australien immer noch spannungsgeladen.

Zutritt nur in Begleitung
Geführt von Sab Lord ist unsere kleine Gruppe tagelang durch die heiße Steppe auf den alten Traumpfaden gewandert, bis wir – jedes Mal wieder überrascht – eine weitere der alten Galerien erreicht haben.

Sab Lord hat die typisch rauhbeinige Art der weißen Pioniere. Uns Touristen setzt er deshalb von Anfang an auf enge Grenzen und das hat seinen Grund. Alle Felsgalerien liegen in Gebieten, in die man ohne Genehmigung und ohne zugelassene Führer nicht einreisen darf. Das und auch die weiten Entfernungen haben sicherlich dazu beigetragen, dass es noch keinen nennenswerten Vandalismus gegeben hat. Wir haben gesehen, dass Faustkeile oder Mahlwerkzeuge zur Gewinnung der kostbaren Farbpigmente seit Jahrhunderten zur freien Verwendung in Felsnischen bereitliegen. Gerade diese Realität ist für Guides wie Sab Lord eine besondere Herausforderung. Schließlich genießt er das Vertrauen der Traditional Owners nur so lange, wie die von ihm geführten Touristen die kultischen Orte der Aborigines respektvoll betreten und im ursprünglichen Zustand hinterlassen. Peinlich genau achtet er darauf, dass nichts entwendet wird, keine Wände berührt und keine Fotos von Gebeinen gemacht werden, die offen in Felsspalten zur letzten Ruhe gebettet worden sind.

„Blackfellas“ nennen sie sich selbst
Mit der Lebensweise der Aborigines ist Sab Lord sehr vertraut, denn schon seine Kindheit hat er als Whitefella (white fellow = weißer Kerl) im Outback auf der Büffelfarm seiner Eltern zusammen mit gleichaltrigen Blackfellas verbracht. Unabhängig von der Zugehörigkeit zu einem Volksstamm werden diese Bezeichnungen nicht abwertend empfunden.

Grundlegende Missverständnisse
Die Lebenseinstellung der Blackfellas stößt im westlich geprägten Alltag auf viel Unverständnis. Damit auch unsere Leser die ins Auge springenden Äußerlichkeiten nicht vorschnell verurteilen, gibt es auf Bitten von Sab Lord keine Bilder aus der Wohnsiedlung. Die Häuser sind zwar nach allen handwerklichen Regeln Australiens gebaut. Aber da Aborigines vorwiegend unter freiem Himmel wohnen, dienen die Häuser eher als Abstellräume und wirken auf uns nicht besonders ansprechend.

Zauber der Felsmalereien schwer in Worte zu fassen
Die Kunst im Arnhemland ist so faszinierend, dass ich lange keinen Ansatz für eine angemessene Darstellung gefunden habe. Der Zauber, den die Felsmalereien auf mich ausgeübt haben, lässt sich immer noch schwer in Worte fassen. Kein Wunder, denn den Aborigines dienen sie bis heute als Unterstützung der mündlichen Überlieferung.

In diesem Zusammenhang sollte ich meine Reisebegleiter Katja Bockwinkel, Rainer Heubeck und Cornelius Pollmer erwähnen. Sicher hat jeder von uns unterschiedliche Aspekte in Erinnerung behalten. Aber die gemeinsamen Versuche, das Gesehene zu verstehen und die Erinnerung an das Staunen der Anderen lässt mich mein weiter bestehendes eigenes Unverständnis leichter ertragen.
Geschichten werden ausführlich erzählt
Thommo, den einheimischen Führer, hat Sab Lord uns interessanterweise dadurch näher gebracht, dass er selbst nicht mitgekommen ist. Wir steigen auf in ein Felsmassiv, das sich auf englisch Long Tom Dreaming nennt. Zunächst fast schüchtern erzählt Thommo die uralten Geschichten und wir spüren hautnah, wie mündliche Überlieferung funktioniert. Die ausführlichen Erzählungen handeln vor allem von den Handlungsmotiven der abgebildeten Figuren, die dadurch lebendig werden und nicht näher beschrieben werden müssen.

Eindringlich hat Sab uns vorher als einziger Rat mit auf den Weg gegeben, jede Frage höchstens zwei Mal zu wiederholen. Wenn dann immer noch keine Antwort kommt, wird es wohl nicht an der sprachlichen Verständigung liegen, sondern an den Geheimnissen, die kein Fremder erfahren darf.
Portrait: Sab Lord, die australische Outback-Legende
Reisehinweise: Australien für europäische Touristen