Kopf hoch! Bei einem Spaziergang durch die Straßen von Avignon sollte man den Blick vom Kopfsteinpflaster oder den verlockenden Auslagen der Geschäfte nehmen und auch den Hausfassaden der Altstadt seine Aufmerksamkeit schenken. Was hier zu entdecken ist, könnte salopp gesagt unter dem Motto Street Art im Wandel der Zeit zusammengefasst werden. Und doch hat jede dieser drei Arten von Fassadenschmuck ihre eigene Geschichte.
MifaMosa -Streetart am Straßenschild
Der Street Artist MifaMosa spielt seit 2017 mit den Straßennamen französischer Städte. Er bezeichnet sich selbst auch als Straßenillustrator, denn seine Mosaike platziert er immer direkt neben einem Straßenschild und bezieht sich auf dessen Bedeutung. Diese Mischung aus humorvollen und farbenfrohen Interpretationen sind schön anzusehen und peppen die formalen Schilder auf. Was wir über den Künstler wissen? Er lebt in Orleans und hat bis heute mehr als 300 Mosaike geschaffen. Vor allem in Orleans, Lyon, Montpellier, Lille und Avignon. Sein Pseudonym MifaMosa setzt sich zusammen aus Mifa für meine Familie und Mosa für Mosaik. Wer genau hinschaut, findet an jeder Straßenillustration als Signatur drei Mosaikpunkte. Sie stehen für seine Mutter, seine Schwester und ihn selbst – Familie eben.
Die Theaterfenster von Avignon
Jedes Jahr in den letzten drei Juliwochen verwandelt sich Avignon in eine große Theaterbühne. Das Festival für Tanz, Theater und Gesang wurde 1947 von Jean Vilar, einem französischen Schauspieler und Theaterregisseur, gegründet. Gespielt wird auf den großen Bühnen der Stadt, aber auch in privaten Hinterhöfen, in Cafés oder auf kleinen Plätzen. 1986 begannen die Künstlerin Marion Pochy und der Künstler Dominique Durand mit der Gestaltung zugemauerter Fenster, die an vielen Gebäuden der Altstadt zu finden sind. Heute sind es 70 Fenster, die als große Wandbilder auf berühmte Inszenierungen der Festivalgeschichte verweisen. Fast noch spannender als dieser thematische Hinweis auf das international renommierte Theaterfestival von Avignon ist jedoch die Erklärung für die vielen blinden Flecken in den Fassaden der Altstadt. Sie stammen aus der Zeit, als in Frankreich eine seltsame Steuer erhoben wurde, deren Schlupfloch das Künstlerkollektiv Pochy und Durand als Leinwand nutzte.
Die Fenstersteuer
Verwaltungen auf der ganzen Welt kommen auf die seltsamsten Ideen, um ihre Bürger zu besteuern. Und die Bürger haben schon immer versucht, Steuern zu umgehen. In Frankreich gab es ab 1798 für etwa 100 Jahre die so genannte Fenstersteuer. Sie wurde auf die Anzahl der Fenster eines Hauses erhoben. Die Fenstersteuer war für den Fiskus einfacher zu erheben als die Herdsteuer, bei der der Kontrolleur das Haus betreten musste. So wurden fortan die Fenster zur Straße hin gezählt. Ironischerweise bestand das Schlupfloch zur Umgehung der Steuer im Zustopfen der Fenster. Blindfenster waren von der Steuer befreit, solange das Füllmaterial mit den angrenzenden Wänden harmonierte. Auf diese Weise nahmen die Hausbesitzer ihren Mietern das Tageslicht, sparten aber Steuern. Auf diesen fest gemauerten Flächen, die auch nach Abschaffung der Steuer nicht wieder geöffnet wurden, hat das Künstlerkollektiv Pochy und Durand viele Jahre später in Avignon das Theaterfestival ins Leben gerufen. Seitdem spielen sich in den Fenstern von Avignon dramatische Szenen ab und Pablo Picasso blickt nachdenklich in die Rue Corneille, die MifaMosa mit einem Mosaik verschönert hat.
Der Herrgott und die Hausmadonna
Avignon ist bekanntlich auch die Stadt der Päpste. Hier residierten im 14. Jahrhundert sieben Päpste und in der Phase des abendländischen Schismas von 1378 bis 1417 noch zwei Gegenpäpste. Im Museum Petit Palais in Avignon hängt noch heute Botticellis berühmte Madonna mit Kind aus dem Jahr 1467. Die Stadt, so heißt es, stehe unter dem Schutz der Madonna. Auch in späteren Jahrhunderten, als die Kurie ihren Sitz längst wieder in Rom hatte, drückte sich dies an den Fassaden der Häuser aus. An sehr vielen Hausecken und in reich verzierten Nischen der Altstadt hängen Madonnenfiguren. Diese sogenannte Hausmadonna soll das Haus und seine Bewohner beschützen.
Natürlich hat Avignon mit dem imposanten Papstpalast und der berühmten Pont Saint-Bénézet bedeutendere Sehenswürdigkeiten zu bieten, aber mit dem Wissen um den vielfältigen Fassadenschmuck kann man beim Spaziergang durch die Stadt eine Schnitzeljagd mit sich selbst spielen oder die Kinder bei Laune halten. Einen Besuch sollte man unbedingt auch der Markthalle von Avignon abstatten. Nähert man sich von der falschen Seite, ist Les Halles nur ein hässlicher, in die Jahre bekommener Zweckbau. Vom Hauptportal aber überrascht sie mit einer grünen Pflanzenwand. In der Halle bieten rund vierzig Händler und Gastronomen die ganze kulinarische Bandbreite der Provence.
Die Recherchen vor Ort wurden von Avignon Tourismus unterstützt.