An diesem kühlen, sonnigen Septembertag lassen wir Wolgast und die himmelblaue Peenebrücke hinter uns. Das Begrüßungsgetränk ist getrunken, die Seemannssnacks bestellt, und der Wind frischt auf. Jetzt kommt der Moment, auf den alle gewartet haben. „Segel setzen! “, ruft Kapitänin Jane Bothe. Die Mannschaft greift zu den Tauen, und langsam steigen die weißen Segel in den Himmel, fangen den Wind ein, der über das Wasser streicht. Wir sind an Bord der Weissen Düne, eines prächtigen Zweimasters, der seit 1909 die flachen Küstengewässer von Nord- und Ostsee durchkreuzt. Das Schiff misst 45 Meter in der Länge, 6,60 Meter in der Breite, und seine beiden Masten ragen 29 Meter hoch. Seit 2011 steuert Jane Bothe das alte Segelschiff, das heute als einziges segelndes Fahrgastschiff Deutschlands Touristen über die Gewässer rund um Usedom und Rügen bringt.

Den Sommer über kreuzt der Topsegelschoner auf dem Achterwasser und dem Peenestrom. Mehrmals wöchentlich legt das Schiff in Neppermin, Wolgast oder Karlshagen ab. Jane Bothe steuert das Plattbodenschiff sicher durch die flachen Gewässer, wo gerade die geringen Tiefen höchste Präzision verlangen. „Mir liegt es am Herzen, unseren Gästen ein Stück alte Seemannskunst zu zeigen. Dazu gehört für uns immer das Segelsetzen“, sagt sie. „Die Weisse Düne passt perfekt in diese Region. Mit nur 1,60 Meter Tiefgang gleitet sie mühelos durch die flachen Gewässer. Im Achterwasser und der Krumminer Wiek gibt es meist nur kleine Wellen, selbst bei Sturm. Das ist sehr magenfreundlich – so schmeckt unser maritimer Imbiss auch bei rauem Wetter“, fügt sie lachend hinzu.

Vom Kunststudium zum Kapitänspatent
Jane Bothe wuchs in Berlin auf und verliebte sich mit zehn Jahren in die Schifffahrt. Fahrgastschiffe zogen sie schon als Kind in ihren Bann. Über das Jugendrotkreuz segelte sie in den Ferien als Skipper auf alten Segelschiffen in den Niederlanden und der dänischen Ostsee. Dort erlebte sie Frauen in der Schifffahrt – ein Bild, das sie inspirierte, obwohl die Branche in Deutschland kaum Frauen anzog. Trotz familiärer Einwände und einem Umweg über Kunststudium und Pädagogik fand Jane Bothe schließlich zur Schifffahrt. Mit ihrem Mann Detlef Bothe charterte sie Schiffe, organisierte Segelreisen und begleitete Suchtkranke auf Schiffstouren. Der nächste Schritt führte das Paar an die Seefahrtschule in Enkhuizen. 2011 kauften sie die Weisse Düne und entwickelten neue Ausflugsformate: Picknicktouren nach Rügen, Segeln mit dem Braumeister, Abendfahrten im Greifswalder Bodden oder Hochzeiten an Bord.

Arbeiten auf einem Oldtimer
Die Weisse Düne, ein holländisches Plattbodenschiff, ist ein alter Frachtensegler von 1909, gebaut in den Niederlanden. Einst gehörte er zu einer Flotte von etwa 1.000 Frachtschiffen, die Holzkohle und Kartoffeln transportierten. Diese Schiffe waren die ersten genieteten Stahlschiffe der Niederländer. Die Deutschen setzten damals noch auf Holz. Dank des Stahls war diese Flotte sehr robust. Das Schiff wurde mehrfach umgebaut, erklärt Jane Bothe, und in den 1940er-Jahren erhielt es seinen ersten Motor. Die Weisse Düne hielt in dieser Flotte am längsten durch: Bis 1999 diente sie der Frachtfahrt, zuletzt als Versorger der Nordseeinsel Norderney mit Baustoffen. Daher trägt das Schiff den Namen des weißen Strandes auf der Insel, skizziert Jane Bothe die Geschichte der Weissen Düne.

Die alte Dame hat ihre Zipperlein, das ist klar. Reparaturen erledigt man in den Wintermonaten. Doch das wird immer schwieriger, weil das Wissen über die alten Motoren in den Werkstätten schwindet. „Das kann man nicht einfach googeln“, sagt Jane Bothe. „Dieses Wissen müssen wir Handwerker an die nächste Generation weitergeben.“ Viele Reparaturen übernimmt sie inzwischen selbst – aus Sorge, dass die alten Schiffsmechaniker in den Ruhestand gehen, so wie es die meisten Schwesterschiffe der Weissen Düne längst getan haben. Auf den Werften schätzt Jane Bothe das kollegiale Miteinander. Hier zählen Können, Geschick und Verstand – das Geschlecht spielt keine Rolle. „Wenn ich im Arbeitsoverall mit ölverschmierten Händen in der Werft auftauche und über Zylinderprobleme spreche, gibt es keine blöden Sprüche oder hochgezogenen Augenbrauen. Stattdessen reden wir über Lösungen – und feiern das Handwerk!“

Von weißen Hemden und alten Denkmustern
Wie hartnäckig Männer an überholten Rollenbildern kleben, erlebt Jane Bothe immer wieder an Bord. Noch heute passiert es, dass Gäste bei ihr ein Bier bestellen. Eine Frau in weißer Uniform? Für viele kann das nur die Kellnerin sein. Wenn die Männer dann begreifen, dass sie die Kapitänin ist, zeigt sich selten Verlegenheit. Stattdessen reagieren sie erstaunt: „Ach, Sie sind wirklich die Kapitänin? Wir dachten, das sei ein Kostüm. “ Doch statt sich über diese rückwärtsgewandten Ansichten zu ärgern, setzt Jane Bothe lieber auf die Förderung junger Frauen in der Branche.

Frauen ans Ruder!
Jane Bothe ist Kapitänin, Mentorin und Vorbild für Frauen. 2024 schloss Clara Leschner ihre Ausbildung zur Binnenschifferin auf der Weissen Düne ab. Genauso wie Jane, faszinierte die Schifffahrt sie schon als Kind. Mit elf Jahren bekam sie eine Werbebroschüre der Weisen Düne in die Finger und war sofort schockverliebt. Vier Jahre lang bettelte sie beharrlich bei ihre Eltern, einmal mit dem Segelschiff fahren zu dürfen. Zu ihrem 15. Geburtstag erfüllte sich dieser Wunsch. Seitdem kehrte die Chemnitzerin in den Ferien immer wieder an den Peenestrom zurück und arbeitete in der Hochsaison als Skipperin. Nach ihrem Studium der Theaterwissenschaften begann sie die Kapitänsausbildung. Auch Claras Geschichte zeigt, dass man soziale Normen hinterfragen und neue Wege gehen kann.

Fazination Wasser und Wind
Jane Bothe genießt die stillen Augenblicke auf dem Wasser: „Mit einem Pott Kaffee in der Hand durch den Morgennebel über das Achterwasser schippern.“ Sie liebt das Gefühl, mit der Natur im Einklang zu sein. Wenn das fast 50 Meter lange Schiff durch die Kraft von Strömung und Wind dahingleitet.

Halbinsel Gnitz und Naturhafen Krummin
Usedom ist bekannt für seine Kaiserbäder Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin, für die Seebrücken, den 40 Kilometer langen feinen Sandstrand und die beeindruckende Bäderarchitektur– alles Gründe für einen Besuch. Doch auch das Achterwasser fasziniert. Diese Lagune des Peenestroms mündet in die Ostsee. „Achter“ bedeutet im Niederdeutschen „hinteres“ Wasser, also das Meer hinter der Insel. Salzwasser oder Süßwasser? „Salzwasser“, sagt Jane Bothe. Und das Beste: Das Achterwasser bleibt viel ruhiger als die Ostsee, die an manchen Stellen ganz nah ist. Bei Zempin, zwischen Zinnowitz und Ückeritz, trennen nur 100 Meter Land die Ostsee vom Achterwasser. Während am Ostseestrand im Hochsommer trubelige Urlaubsstimmung herrscht, bleibt es am Achterwasser still, ländlich und idyllisch.

Ein Paradies für Naturfreunde und Landschaftsentdecker, ideal für Schiffsausflüge, lange Radtouren und Wanderungen. Weite Schilfflächen und malerische Häfen mit individuellem Charakter prägen die Gegend. Der Naturhafen Krummin, nahe Zinnowitz, ist ein kleines Idyll. Auf der Terrasse des Hafenrestaurants genießt man ein gutes Essen, unternimmt Kanutouren, lernt Segeln oder chartert Yachten. Unter der Halbinsel Gnitz, 2.000 Meter entfernt, liegen Ostdeutschlands größte Ölvorkommen. Bis in die 1990er Jahre förderte man hier täglich 1.000 Tonnen Erdöl. Heute dient der ehemalige Verladehafen als Marina und beliebter Stellplatz für Wohnmobile.

Segeltörn mit der Weissen Düne
„Mein Lieblingsort ist Neppermin“, erzählt Jane Bothe. „Es ist eine wunderschöne, naturbelassene Bucht am südlichen Ende des Achterwassers. Von Mai bis Oktober kann man dort die Weisse Düne und ihre Kapitänin sichten. Mehrmals wöchentlich startet das Schiff von Neppermin, Wolgast oder Karlshagen zu Fahrten durchs Achterwasser. Alle Segeltouren der Weissen Düne
Ausflugstipps auf Usedom
Man sollte die futuristische Seebrücke Koserow nicht verpassen. Besonders bei Sonnenuntergang zieht sie viele Besucher an. Schöne Wanderungen führen zur Südspitze Gnitz, zum Langen Berg und entlang der Steilküste bei Bansin. Am Naturhafen Krummin genießt man solide Mahlzeiten mit Blick auf das Wasser und die Halbinsel Gnitz. Auf dem Weingut Welzin kann man den ersten originalen Usedomer Wein probieren, und die Inselmühle Usedom im Ort Usedom bietet die besten Usedomer Spezialitäten. Jedes Jahr im September feiert man die Woche der Bäderarchitektur. Die Europapromenade von Ahlbeck nach Heringsdorf ist Teil des Kaiserbäder-Erlebnispfads und liefert per App Informationen zu den Villen am Wegesrand.
Die Recherche wurde von Usedom Tourismus unterstützt