Zugegeben der Name klingt nicht sehr reizvoll. Warum also ausgerechnet nach Eisenhüttenstadt? Überraschenderweise gibt es gleich mehrere Gründe für einen Besuch. Architekturliebhaber, Geschichtsinteressierte und ja, auch Naturfreunde, Kunstinteressierte und Utopisten sollten sich auf jeden Fall angesprochen fühlen. Eisenhüttenstadt ist die erste vollständig durchgeplante Stadtgründung der DDR. Sie wurde Anfang der 1950er Jahre für 30.000 Einwohner konzipiert. Heute ist Eisenhüttenstadt eines der größten Flächendenkmäler Deutschlands. Bei einem Rundgang trifft man auf prachtvolle Architektur im Stil des Neoklassizismus der Berliner Stalinallee sowie auf viel Kunst im Raum und weitläufige Grünanlagen.
Der Anspruch der Regierung der Deutschen Demokratischen Repubilik (DDR) war die Schaffung einer Idealstadt für Deutschland. Verankert in den 16 Grundsätzen des Städtebaus durch Beschluss im Juli 1950 sollten die menschlichen Bedürfnisse auf Arbeit, Wohnung, Kultur und Erholung in der Planstadt Eisenhüttenstadt harmonisch ineinandergreifen. Diesem Ideal, nach dem sich Menschen heute in vielen Städten sehnen, wurde allerdings ein Grundsatz vorangestellt, der widerum erklärt, warum die Idealstadt letztendlich Utopie blieb. Die freie Entfaltung des Einzelnen blieb auf der Strecke. In Grundsatz 1 heißt es gleich: Die Stadt ist in Struktur und architektonischer Gestaltung Ausdruck des politischen Lebens und des nationalen Bewußtseins des Volkes. Zudem behielt sich die Regierung vor Die Bestimmung und Bestätigung der städtebildenden Faktoren ist ausschließlich Angelegenheit der Regierung.
Stadtführung durch ein Flächendenkmal
Eisenhüttenstadt ist heute eines der größten Flächendenkmäler Deutschlands. Ein Rundgang führt uns durch die Wohnkomplexe und Alleen mit ihren Sichtachsen, an deren Ende immer repräsentative Bauten standen, die den Bewohnern und dem Gemeinwesen dienten, wie Krankenhaus, Schule oder Verwaltungsgebäude. Ein Rundgang durch die Wohnkomplexe I – III dauert gut zwei Stunden. Architekturfans werden damit nicht auskommen. Der Rundgang ist zugleich eine Zeitreise durch die verschiedenen Architekturstile, die sich zwischen 1950 und 1970 in Eisenhüttenstadt entfalteten. Vom Prunk des Neoklassizismus im ersten Wohnkomplex über bewusste Rückgriffe auf den Heimatstil der 1930er Jahre bis hin zur Architektur der späten Internationalen Moderne, wie sie in den 1960er Jahren weltweit umgesetzt wurde.
Luft und Licht im Leuchtprojekt
In den Grundsätzen für den Wiederaufbau deutscher Städte nach 1945 finden sich auch viele positive Ansätze, die in Eisenhüttenstadt konsequent realisiert wurden. Dazu gehört eine Verkehrsplanung, die den Menschen dient und sie nicht behindert. So sollten keine die Stadt zerschneidenden Verkehrstrassen entstehen und der Verkehr aus den Wohngebieten herausgehalten werden. Stattdessen sollte Raum für Grünflächen, Luft und Licht geschaffen werden. Kurze Wege zum Einkaufen sowie Kindergärten und Schulen im selben Stadtviertel gehörten ebenfalls zu diesem städtebaulichen Mammutprojekt, das der Architekt Kurt W. Leucht ab 1950 realisierte.
Die Sichtachsen der Planstadt enden oft an besonders repräsentativen Bauten, die dem Leben und Wohl der Menschen dienten. Allen voran sind hier das Krankenhaus oder Schulen wie die für heutige Verhältnisse riesige Erich-Weinart-Grundschule zu nennen. Die vielen jungen Familien, die sich wegen der Arbeit im Eisenhüttenkombinat Ost in der Stadt niederließen, hatten alle wichtigen Einrichtungen in ihrem jeweiligen Wohnkomplex. Kinderkrippe, Schulen, Lebensmittelgeschäfte und Naherholung in den großzügigen Innenhöfen mit Spielplätzen und viel Baumbestand. In den 1950er und 1960er Jahren lag das Durchschnittsalter in Eisenhüttenstadt bei 25 Jahren. Heute liegt es bei 55 Jahren. Dies führte auch zum Rückbau von Wohnhäusern.
Hochofen statt Hochamt
Die Planstadt Eisenhüttenstadt hat keine Kirchtürme. Zu den höchsten Bauwerken gehört der Hochofen des Eisenhüttenkombinats Ost, EKO Stahl. Als zentraler Ort der Arbeit wurden bei der Planung Anfang der 1950er Jahre Sichtachsen und Hauptstraßen auf das Stahlwerk ausgerichtet. Das Werk ist bis heute ein wichtiger Arbeitgeber. Gebaut wurde in der Nähe des seit dem 13. Jahrhundert bestehenden historischen Ortes Fürstenberg an der Oder. Zunächst hieß die Idealstadt der DDR Stalinstadt. Als das Image Josef Stalins auch in den Ostblockstaaten zu bröckeln begann, wurde 1961 aus Stalinstadt Eisenhüttenstadt.
Pavillons für den Konsum
In der Heinrich-Heine-Alle steht die erste Selbstbedienungs-Kaufhalle des Landes. Die Kaufhalle war Symbol einer neuen Zeit. Das Design ist typisch für die Moderne der 1960er Jahre. Heute steht das Schmuckstück weitgehend leer. Gelegentlich finden hier Kunstausstellungen statt. An der Lindenallee steht ein ähnlicher Pavillon. Hinter goldgerahmten Schaufenstern waren mit Wartburg und Trabant die Sehnsuchtsobjekte aller DDR-Bürger ausgestellt. Auf einer Drehscheibe wurden den Bürgern die aktuellen Automodelle präsentiert. Außerdem hing eine Liste aus, für welchen Geburtsjahrgang die Zuteilung der planwirtschaftlich gesteuerten Autoproduktion erfolgen sollte.
Kunst als Gestaltungsmerkmal
Kunstobjekte im öffentlichen Raum waren im Bauplan der Stadt fest verankert. Zwischen drei und fünf Prozent der Bausumme waren für Kunst vorgesehen, erzählt Stadtführer Bernd Geller bei der Führung durch die Planstadt. Beispiele dafür finden sich an Fassaden, Erkern, Tordurchgängen und Dächern, ebenso wie auf den vielen Grünflächen und in den Innenhöfen der Wohnkomplexe. Insgesamt, so fasst Bernd Geller zusammen, verfügt die Stadt über 350 öffentlich zugängliche Kunstwerke von 93 Künstlerinnen und Künstlern aus der DDR, Polen und Tschechien. Abgebildet ist eine Hausfassade in Eisenhüttenstadt mit Mosaik aus Kacheln Meissener Porzellan. An der Katze unten rechts erkennbar, die gekreuzten blauen Schwerter, das Markenzeichen der Porzellanmanurfaktur Meissen. / © Foto: Georg Berg
Im Rahmen einer Führung wird man auf viele kleine Details und alltägliche Gepflogenheiten aufmerksam gemacht. Führungen durch Eisenhüttenstadt werden regelmäßig angeboten. Ausgangspunkt für eine Führung ist die Touristinformation in der Lindenallee. Dort gibt es auch Stadtpläne und Tourenvorschläge. Die perfekte Abrundung des Rundgangs ist ein Essen in der einstigen Großgaststätte Aktivist. In der ehemaligen Brauerei der sozialistischen Arbeiterstadt kann man im denkmalgeschützten Gastraum herzhafte und gut zubereitete Speisen bekommen. Schon der Name Aktivist sollte Motivation genug sein, sich vor oder nach einem ausgiebigen Rundgang zu stärken.
Noch näher an die Alltagskultur der DDR führt ein Besuch im Museum für Utopie und Alltag. Die Dauerausstellung zeigt die verschiedenen Facetten des DDR-Alltags in Familie und Arbeit, berichtet über Konsum, Bildung und Kommunikationsmöglichkeiten. Als Gegenentwurf mit verblüffenden Parallelen bietet sich die Kombination eines Besuchs in Eisenhüttenstadt mit dem Besuch des nur zehn Kilometer entfernten Barockklosters Neuzelle an. Das Leben der Mönche im Zisterzienserkloster Neuzelle damals wie heute kommt dem Idealbild eines Lebens in der sozialistischen Musterstadt erstaunlich nahe. Arbeit, Wohnen, Kultur und Erholung klingen nach Ora et labora et lege. Bete, arbeite und lese! Eisenhüttenstadt wie Neuzelle stehen für spannende Lebensentwürfe im Kontext ihrer Zeit.
Die Recherchereise wurde vom Brandenburg Tourismus unterstützt