Michigans Schwerindustrie

In Detroit betrachten wir ehrfürchtig ein riesiges Wandgemälde im Bankensaal des Guardian Buildings. Es erstreckt sich über sechs Etagen und zeigt die Landkarte von Michigan, einem Bundesstaat, der aus zwei Halbinseln besteht. An der großen unteren Halbinsel steht in großen Buchstaben MANUFACTURE, auf der oberen Halbinsel: MINING. Diese beiden Komponenten waren einst die treibenden Kräfte in der Schwerindustrie.

Das große Wandbild im Bankensaal des Guardian Buildings in Detroit stellt den Bundesstaat Michigan und seine Industriezweige dar, gemalt vom amerikanischen Künstler Ezra Augustus Winter / © Foto: Georg Berg
Das große Wandbild im Bankensaal des Guardian Buildings in Detroit stellt den Bundesstaat Michigan und seine Industriezweige dar, gemalt vom amerikanischen Künstler Ezra Augustus Winter. Das Staatsmotto ist der lateinische Spruch: Si quaeris peninsulam amoenam, circumspice (Wenn du eine liebliche Halbinsel suchst, schau dich um) / © Foto: Georg Berg

Die Erfolgsgeschichte begann jedoch mit einer Niederlage. Als Michigan 1835 den Status eines US-Bundesstaates erhalten sollte, gab es Unstimmigkeiten mit dem Bundesstaat Ohio über den südlichen Grenzverlauf bei der Stadt Toledo. Beide Territorien mobilisierten Armeen, aber es kam nicht zum befürchteten Krieg von Toledo. Der US-Kongress entschied zugunsten Ohios und gab dem neuen Bundesstaat Michigan als Kompensation die Obere Halbinsel, die damals als wertlos angesehen wurde. Später wurden dort jedoch enorme Bodenschätze entdeckt, die Michigan zu einem Industriestaat und Detroit zur Hauptstadt der US-Autoproduktion machten. Nach der spektakulären Insolvenz von Detroit im Jahr 2013 zog der Strukturwandel viele Kreative an und heute ist die Stadt wieder aufstrebend und attraktiv.

Marquette wurde zum Zentrum des Eisenbergbaus

Wandbild in der Stadt Marquette zeigt den 1853 erbauten Leuchtturm und einen Erzfrachter im Sonnenuntergang / © Foto: Georg Berg
Wandbild in der Stadt Marquette zeigt den 1853 erbauten Leuchtturm und einen Erzfrachter im Sonnenuntergang / © Foto: Georg Berg

Marquette, benannt nach dem Jesuiten-Pater Jaques Marquette, ist heute eine ruhige Kleinstadt. Ein beeindruckendes Bauwerk am Yachthafen lässt uns staunen, aber seine Funktion erschließt sich nicht sofort. Wir hatten zuvor noch nie etwas so Massives gesehen. Eine Erklärtafel beginnt philosophisch: „Geduld ist eine Tugend, die uns oft gepredigt wird. Aber Ungeduld bringt Innovationen hervor, und so entstand das erste Taschendock für Eisenerz.“ Dann wird die Tafel konkret: „1857 hatte Kapitän George Judson genug. Sechs Tage und 20 Männer waren nötig, um sein Schiff mit Schaufeln und Schubkarren zu beladen. In dieser Zeit stauten sich andere Schiffe vor dem Hafen. Im Laufe der Zeit wurden immer größere Anlagen gebaut und das heute noch sichtbare Dock verkürzte die Ladezeit auf 92 Minuten pro Schiff.

Das Eisenerz Taschendock in der Innenstadt von Marquette ist nicht mehr in Betrieb. Über dem jetzigen Parkplatz gab es eine Geleisbrücke für die mit Erz beladenen Züge, die ohne lange Wartezeit ihre Ladung in die längsseits liegenden Schiffe kippen konnten / © Foto: Georg Berg
Das Eisenerz Taschendock in der Innenstadt von Marquette ist nicht mehr in Betrieb. Über dem jetzigen Parkplatz gab es eine Geleisbrücke für die mit Erz beladenen Züge, die ohne lange Wartezeit ihre Ladung in die längsseits liegenden Schiffe kippen konnten / © Foto: Georg Berg

Außerhalb der Stadt können wir ein ähnliches Gebilde sehen, das zeigt, dass Marquette mit seinem Tiefseehafen immer noch ein wichtiger Umschlagplatz für das nur wenige Kilometer im Landesinneren geförderte Eisenerz ist.

Eisenerz aus dem Tilden Tagebau wird mit Zügen zum Marquette Tiefseehafen gebracht und im Taschendock direkt auf Schiffe gekippt / © Foto: Georg Berg
Eisenerz aus dem Tilden Tagebau wird mit Zügen zum Marquette Tiefseehafen gebracht und im Taschendock direkt auf Schiffe gekippt / © Foto: Georg Berg

Der Eisenbergbau in Ishpeming

1844 bemerkte ein Erkundungsteam im Hinterland von Marquette starke Ausschläge an ihrer Kompassnadel und stieß so auf ein großes Eisenerzvorkommen, das über das folgende Jahrhundert Arbeitsplätze und Wohlstand auf die Upper Peninsula brachte. Heute ist der Boom abgeflaut und man kann über stillgelegte Geleise wandern und auf dem 75 Kilometer langen Eisenerzlehrpfad viele stille Zeugen aus 160 Jahren Bergbau sehen.

Schon 4 Meter hoch sind nur die Reifen des Erztransporters, der vor den Fördertürmen von Ishpeming ausgestellt ist. Mit ihm konnten 170 Tonnen Erz transportiert werden. Im Hintergrund der 1967 stillgelegte Förderturm in Form eines Obelisken , der vom Architekten George Washington Maher entworfen wurde und der modernere Koepe-Förderturm von 1955. Stille Zeugen des Eisenbergbaus in der Stadt Ishpeming / © Foto: Georg Berg
Allein die Reifen des riesigen Erztransporters, der vor den Fördertürmen von Ishpeming ausgestellt ist sind vier Meter hoch. Mit ihm konnten 170 Tonnen Erz transportiert werden. Im Hintergrund der 1967 stillgelegte Förderturm in Form eines Obelisken, der vom Architekten George Washington Maher entworfen wurde und rechts der modernere Koepe-Förderturm von 1955. Stille Zeugen des Eisenbergbaus in der Stadt Ishpeming / © Foto: Georg Berg
Das Cliffs Shaft Mine Museum im ehemaligen Trockengebäude, in dem sich die Bergleute umzogen, stellt die Bergbaugeschichte der Region dar. Im Hintergrund der 1967 stillgelegte Fördertum "A-Shaft" vom Architekten George Washington Maher in Form eines Obelisken in Form eines Obelisken entworfen / © Foto: Georg Berg
Das Cliffs Shaft Mine Museum im ehemaligen Trockengebäude der Zeche. Das Gebäude, in dem sich früher die Bergleute umzogen, stellt die Bergbaugeschichte der Region dar. Im Hintergrund der 1967 stillgelegte Fördertum „A-Shaft“ vom Architekten George Washington Maher in Form eines Obelisken entworfen / © Foto: Georg Berg

Industriearchitektur im ägyptischen Stil

Das Museum stellt die Bergbaugeschichte der Region dar. Vor dem Museum sind Gegenstände ausgestellt, die zum Schürfen des Erzes verwendet wurden. Die Museumsleiterin hofft, dass es irgendwann genügend Mittel gibt, um auch das Innere der Beton-Obelisken für Besucher zugänglich zu machen. Für uns öffnet sie ausnahmsweise die rostige Eisentür, sodass wir eintreten können. An der Stelle, wo insgesamt mehr als 28 Millionen Tonnen Eisenerz gefördert wurden, hören wir heute nur noch den Flügelschlag der hier nistenden Tauben.

Für Besucher noch nicht zugänglich ist der Förderturm von Schacht A. Bis 1967 wurde hier im Unter-Tage-Bergbau der Hauptanteil der US-Hematit-Produktion gefördert / © Foto: Georg Berg
Für Besucher noch nicht zugänglich ist der Förderturm von Schacht A. Bis 1967 wurde hier im Unter-Tage-Bergbau der Hauptanteil der US-Hematit-Produktion gefördert / © Foto: Georg Berg
Der Betonobelisk wurde 1911 im laufenden Betrieb um den bestehenden hölzernen Förderturm gebaut / © Foto: Georg Berg
Der Betonobelisk wurde 1911 im laufenden Betrieb um den bestehenden hölzernen Förderturm gebaut / © Foto: Georg Berg

Kino, Kneipen, Cannabis

Der Bergbau hat die Region wohlhabend gemacht und heute sind noch Spuren der damaligen Freizeitgestaltung zu sehen. Die boomende Region zog Bergleute aus vielen Teilen Europas an. Das Vista Kino wurde 1926 von einem Finnen gegründet und hatte den Ruf, das beste Theater nördlich von Milwaukee und östlich von Minneapolis zu sein. Dank einer Bürgerinitiative ist es immer noch in Betrieb. Auch die Kneipenkultur ist in dieser Gegend nicht zu unterschätzen und das Bier aus Michigan genießt in den Vereinigten Staaten einen ausgezeichneten Ruf.

Das Vista Kino wurde von 1926 von dem in Finnland geborenen Jafet Jacob Rytkonen eröffnet und blieb bis 1972 in Familienbesitz. 1973 gründete eine Gruppe von Bürgern der Region den Peninsula Arts Appreciation Council (PAAC), der das Kino bis heute betreibt / © Foto: Georg Berg
Das Vista Kino in Negaunee wurde von 1926 von dem in Finnland geborenen Jafet Jacob Rytkonen eröffnet und blieb bis 1972 in Familienbesitz. 1973 gründete eine Gruppe von Bürgern der Region den Peninsula Arts Appreciation Council (PAAC), der das Kino bis heute betreibt / © Foto: Georg Berg
Die Kognisjon Bryggeri existiert in Marquette erst seit 2023. Ihre Wurzeln hat die Brauerei jedoch in der Bergwerksstadt. Hinter der Bar ist eine Nachbildung der Cliffs Shaft Mine in Ishpeming zu sehen - eine Hommage an die ehemalige Heimat der Cognition Brewery, die sich in der alten Bar des Mather Inn befand / © Foto: Georg Berg
Die Kognisjon Bryggeri existiert in Marquette erst seit 2023. Ihre Wurzeln hat die Brauerei jedoch in einer 20 Kilometer entfernten Bergwerksstadt. Hinter der Bar ist eine Nachbildung der Cliffs Shaft Mine in Ishpeming zu sehen – eine Hommage an die ehemalige Heimat der Cognition Brewery, die sich in der alten Bar des Mather Inn befand / © Foto: Georg Berg

Wer auch beim Bier in die Geschichte eintauchen möchte, kann es sich in einem alten Brauhaus gut gehen lassen. Der deutsche Martin Vierling gründete im Jahr 1883 mitten in Marquette ein Lokal, zu dem neben dem Gentlemen’s Saloon auch ein Sample Room gehörte, in dem auch Frauen eine Mahlzeit genießen konnten. Die Prohibition 1917 führte zu mehrfachen Besitzer- und Nutzungswechseln, aber heute existiert der Historic Vierling Saloon & Sample Room wieder, ausgestattet mit Original-Glasmalereien und Ölgemälden aus Martin Vierlings eigener Sammlung.

Deutsche Küche und selbst gebrautes Bier im Vierling Restaurant / © Foto: Georg Berg
Deutsche Küche und selbst gebrautes Bier im Vierling Restaurant / © Foto: Georg Berg

The Grass is Greener over Here

Ein ungewohntes Bild für Europäer finden wir in Michigan entlang vieler Highways. Ehemalige Tankstellen wurden diskret zu Einkaufszentren für Cannabis umgewandelt und die Ware wird über die Theke verkauft. Im Nachbarstaat Wisconsin wäre das nicht erlaubt.

Nur in manchen amerikanischen Bundesstaaten ist Canabis legal. Die offiziellen Verkaufsstellen im Bundesstaat Michigan sind nicht zu übersehen / © Foto: Georg Berg
Nur in manchen amerikanischen Bundesstaaten ist Canabis legal. Die offiziellen Verkaufsstellen im Bundesstaat Michigan sind nicht zu übersehen / © Foto: Georg Berg

Indian Summer ist nicht mehr korrekt

Sugarloaf Mountain am Superior Lake zur Zeit des Indian Summer / © Foto: Georg Berg
Sugarloaf Mountain am Superior Lake zur Zeit der Fall Foliage / © Foto: Georg Berg

Zum Schluss müssen wir mit einem Missverständnis aufräumen. Wenn sich die Blätter im Herbst vor allem in Nordamerika bunt verfärben, haben wir gelernt, dass sich jeder über den Indian Summer freut. Aber in einer sich wandelnden Welt lernen wir mehr übereinander. Auf unserer Reise wurde uns klar, dass wir viele Redewendungen verwenden, ohne deren Bedeutung oder Ursprung zu hinterfragen. Der Begriff Indian Summer ist umstritten, da sein Ursprung unklar und möglicherweise abwertend ist. Viele empfinden ihn als respektlos gegenüber Native Americans und bevorzugen daher alternative Bezeichnungen wie Second Summer oder ganz neutral Fall Foliage (Herbstlaub).

Unsere Reise durch Michigan startet in der Hauptstadt Detroit mit Klassikern und neuen Attraktionen einer Stadt im Wandel. Der riesige Bahnhof Michigan Central, einst löchrige Ruinie feierte 2023 sein Comeback als Forschungsstandort für Mobiltiät. Doch schon länger sind die Möglichkeiten der Fortbewegung in Detroit äußerst vielfältig, denn in Motown funktioniert Mobilität auch ohne Auto ziemlich gut. Weiter geht es nach Traverse City am Michigansee mit dem Nationalpark Sleeping Bear Dunes. Mission Point Lighthouse ist einer dieser Leuchttürme mit Geschichte. Warum der Leuchtturm in Grand Traverse County besonders beliebt bei Frauen ist, erzählen wir in der Geschichte über Sarah Lane und das Wärterprogramm. Weiter geht es nach Charlevoix. Der Ort hat maritimes Flair und viele Steine. Am Strand findet man Petoskey-Steine und im Ort die berühmten Steinhäuser von Earl Young. USA ohne Autos? Tatsache auf Mackinac Island. Die Erfolgsgeschichte der Schwerindustrie von Michigan begann mit einer Niederlage.

Die Recherche wurde von Pure Michigan unterstützt

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