Interrail mit Fahrrad – funktioniert das?

Als Student war ich vor Jahrzehnten einen Monat lang unterwegs. Spanien, Frankreich, Jugoslawien, Griechenland, Italien. So hießen die Stationen, die ich mit einer einzigen Fahrkarte preiswert erreichen konnte. In den Augen der Eltern war das Interrail-Ticket eine sichere Alternative zum Trampen.

Georg Berg mit Sohn Julius auf dem Bahnsteig. Das Gepäck besteht aus Satteltaschen und verpackten Fahrrädern / © Foto: Georg Berg
Georg Berg mit Sohn Julius auf dem Bahnsteig. Das Gepäck besteht aus Satteltaschen und verpackten Fahrrädern / © Foto: Georg Berg

Aber heute – Interrail, zu Zeiten der Billigflüge? Und das für alle Altersgruppen? Mein Sohn, als Vertreter der klassischen Zielgruppe und ich mit meinen verklärten Erinnerungen an volle Züge und Improvisation haben die Probe aufs Exempel gemacht und dann noch eine weitere Herausforderung angenommen. Zu unserem Reisegepäck gehören auch zwei Fahrräder.

Keine Verkehrswende ohne Vernetzung

Wir wollen herausfinden, wie die Vernetzung von Bahn und Fahrrad, den beiden umweltfreundlichsten Verkehrsmitteln, funktioniert. Und welche Unterschiede es in den europäischen Ländern gibt? Die Reise soll uns an einem Tag von Deutschland über Österreich nach Budweis in Tschechien führen.

Sitzplätze in der Ersten Klasse sind 10 Tage vor Fahrtantritt für Interrail-Kunden nicht reservierbar / © Foto: Georg Berg
Sitzplätze in der Ersten Klasse sind 10 Tage vor Fahrtantritt für Interrail-Kunden nicht reservierbar / © Foto: Georg Berg

Eine gute Woche vor der Fahrt ist es nicht mehr möglich, bei der Deutschen Bahn Sitzplätze in der Ersten Klasse zu reservieren. Als Interrail Kunde kann man sich angesichts der Tatsache, dass zu den buchbaren Tickets durchaus noch eine große Auswahl an Sitzplätzen reservierbar gewesen wäre, nicht wirklich willkommen fühlen. Ein Bahnsprecher erklärt diesen Umstand Tage später nur damit, dass es wohl „just im Moment des Buchungsversuchs einen technischen Fehler gab“.

Reservierung unmöglich

Für den ICE der Deutschen Bahn, der von Köln nach Linz in Österreich ohne Umsteigen durchfährt, sind schon eine Woche vor Fahrtbeginn keine Fahrradtickets mehr verfügbar. Alles deutet auf einen überfüllten Zug hin.

Nur drei Fahrradplätze stehen pro ICE zur Verfügung. Viel zu wenig für eine klimafreundliche Verkehrswende / © Foto: Georg Berg
Nur drei Fahrradplätze stehen pro ICE zur Verfügung. Viel zu wenig für eine klimafreundliche Verkehrswende / © Foto: Georg Berg

Mit leicht mulmigem Gefühl sitzen wir in dem Nahverkehrszug, der uns zum ICE nach Köln bringt, wo uns die entscheidende Situation erwartet. Das Umsteigen funktioniert zu unserer Freude just-in-time und wir wissen ab sofort auch Rolltreppen als gute Verkehrsmittel zu schätzen. Im ICE legt sich die Ungewissheit bald, denn trotz hoher Auslastung sind einzelne Plätze frei geblieben und unsere Fahrräder befinden sich ebenfalls im Zug.

Mobilität durch Flexibilität: Traglast statt Fahrrad

Wenn man etwas Mühe nicht scheut, gibt es für die Fahrradmitnahme eine recht unbekannte Lösung, mit der man die Flexibilität erreicht, mit der sich die Bahn viel offensiver profilieren könnte. Denn auch in Fernzügen, in denen eine Reservierungspflicht besteht, sind Fahrräder demontiert und als Traglast verpackt zugelassen.

Zumindest in der ersten Klasse findet sich ein geeigneter Platz für Traglasten / © Foto: Georg Berg
Zumindest in der ersten Klasse findet sich ein geeigneter Platz für Traglasten / © Foto: Georg Berg

Nach der Demontage und Verpackung in einem im Handel erhältlichen Transportbeutel muss man im Zug nur noch einen Platz suchen, auf dem das sperrige Gepäckstück sicher untergebracht werden kann. Gänge, Türen und Feuerlöscher müssen frei bleiben. Interessanter Nebenaspekt: Im Gegensatz zur Fahrradmitnahme wird jedes sonstige Gepäckstück kostenfrei befördert.

Ein Fahrradticket im internationalen Verkehr muss in Deutschland vor Fahrtantritt für 10 Euro am Schalter gebucht werden. Der Preis inklusive Stellplatzreservierung beträgt 10 Euro. Eine Onlinebuchung ist nicht möglich / © Foto: Georg Berg
Ein Fahrradticket im internationalen Verkehr muss in Deutschland vor Fahrtantritt für 10 Euro am Schalter gebucht werden. Der Preis inklusive Stellplatzreservierung beträgt 10 Euro. Eine Onlinebuchung ist nicht möglich / © Foto: Georg Berg

WLAN, Ruhezonen und kostenlose Tageszeitungen

Ist das Gepäck erst mal verstaut, beginnt der bequeme Teil der Reise. Breite Sitze und weniger Passagiere pro Wagen sind nur die augenfälligsten Vorzüge der ersten Klasse.

Reisen mit viel Bewegungsfreiheit in der ersten Klasse des ICE / © Foto: Georg Berg
Reisen mit viel Bewegungsfreiheit in der ersten Klasse des ICE / © Foto: Georg Berg

Ungebremstes WLAN, kostenlose Tageszeitungen und der Zugang zu VIP-Lounges in großen Umsteigebahnhöfen sind weitere Vorzüge. Das Zugpersonal ist hilfsbereit und lässt sich auch durch besondere Herausforderungen nicht aus der Ruhe bringen.

Zwischenbilanz im Nahverkehrszug

Dass der Zug pünktlich ist, wissen wir vor allem wegen der knappen Umstiegszeit zu schätzen, denn in Linz geht es mit einem Nahverkehrszug der Österreichischen Bundesbahn weiter, der nur Wagen der 2. Klasse führt. Allerdings fällt der großzügig bemessene Platz für Fahrräder angenehm auf.

Großes Fahrradabteil im Nahverkehrszug der ÖBB / © Foto: Georg Berg
Großes Fahrradabteil im Nahverkehrszug der ÖBB / © Foto: Georg Berg

Nachdem wir den größten Teil der Tagesstrecke zurückgelegt haben, ist es Zeit für eine Zwischenbilanz. Nahverkehrszüge in Deutschland und Österreich stellen für große Gepäckstücke, wie sie demontierte und verpackte Fahrräder darstellen, kein Problem dar. Fernzüge sind allerdings noch nicht auf viele Reisende eingerichtet, die auf das Auto verzichten und trotzdem mit viel Gepäck reisen wollen.

Speiche und Schiene finden nur umständlich zusammen

Der Traum vom emissionsarmen Reisen, bei dem sich Speiche und Schiene nahtlos und unkompliziert zu einem entspannten Flow aus fahren und gefahren werden verbinden, ist noch in weiter Ferne. Schon die Begrifflichkeiten der Deutschen Bahn und der „Umstand“, dass man aus einem Fahrrad erst eine Traglast machen muss, um eine gewisse Flexibilität und Kontinuität in den Reiseverlauf zu bekommen, zeigen, wie weit das Verkehrsmittel Bahn noch den Ansprüchen moderner und umweltbewusster Reisender hinterherhinkt.

Auch für sperrige Traglasten ist bei der ÖBB genügend Platz im Zug / © Foto: Georg Berg
Auch für sperrige Traglasten ist bei der ÖBB genügend Platz im Zug / © Foto: Georg Berg

Nach dem Grenzübertritt erfahren wir eine weitere Besonderheit. In tschechischen Zügen wird nur Gepäck bis 90 cm kostenfrei befördert. Die Schaffnerin offenbart uns, dass sie weiß, welches Gepäck wir befördern. Weil unsere Traglasten so schön verpackt sind, kosten sie aber weniger, als wir für fahrbereite Fahrräder zu zahlen hätten. Zum Glück können wir mit Kreditkarte bezahlen, denn tschechische Kronen wollen wir uns erst an unserem Ziel Budweis in Böhmen als Bargeld aus dem Automaten ziehen.

An der Grenze zur Tschechischen Republik wechseln das Personal und auch die Beförderungsbedingungen für Gepäck / © Foto: Georg Berg
An der Grenze zur Tschechischen Republik wechseln das Personal und auch die Beförderungsbedingungen für Gepäck / © Foto: Georg Berg

Die Radtour kann beginnen

Auf dem Bahnsteig der tschechischen Kleinstadt Budweis machen wir in 20 Minuten unsere Räder startklar. Dazu werden die demontierten Vorderräder wieder eingespannt und die Transporttaschen auf ein handliches Maß zusammengefaltet. Und schon beginnt unser Kontrastprogramm. Die südböhmische Universitätsstadt Budweis ist vor allem für das gleichnamige Bier bekannt.

Vernetzte Verkehrsmittel: Noch auf dem Bahnsteig von Budweis werden die Räder startklar gemacht / © Foto: Georg Berg
Vernetzte Verkehrsmittel: Noch auf dem Bahnsteig von Budweis werden die Räder startklar gemacht / © Foto: Georg Berg

Budweis. Europäische Kulturhauptstadt 2028

Budweis steht aber noch für viel mehr, als Bier. Die Stadt České Budějovice wurde Mitte des 13. Jahrhunderts als Königsstadt gegründet. Budweis wurde schnell zu einer reichen und bedeutenden Stadt, aufgrund der günstigen Lage an der historischen Salzstraße zwischen Prag und Linz, die später zur ersten Straße für Pferdefuhrwerke in Europa ausgebaut wurde. Viele mittelalterliche Sehenswürdigkeiten sind bis heute erhalten geblieben. Das historische Stadtzentrum von Budweis ist sicher ein Grund für die Wahl zur Kulturhauptstadt Europas für das Jahr 2028. Besonders zu erwähnen ist der quadratische Marktplatz Přemysl Otakar II. Es ist einer der größten Plätze in Europa. Gerne wird dieser Platz in tschechischen Mathematikbüchern als anschauliches Beispiel für die Maßeinheit Hektar gewählt. Denn der Marktplatz hat eine Fläche von genau einem Hektar. Wunderschöne Barockhäuser mit Arkadengängen umgeben den Platz. Sehenswert ist auch das Rathaus, eines der schönsten Gebäude in Tschechien sowie der Samson-Brunnen in der Mitte des Platzes und die St.-Nikolaus-Kathedrale.

Am Kulturgut Bier kommt man in Budweis aber keineswegs vorbei. Ein Wahrzeichen der Stadt ist die Brauerei Budějovický Budvar. Hier wird seit über 700 Jahren Bier nach Originalrezeptur gebraut. Im Besucherzentrums der Brauerei erfährt man viel über die Geschichte des Bieres. Die Marke Budweiser Budvar ist weltberühmt, aber auch in einen langwierigen Rechtsstreit verwickelt. Die deutsche Bezeichnung Budweis, ist der Name der amerikanischen Biermarke, das mit dem Budweiser Budvar aus Tschechien aber nichts gemeinsam hat. Das original Budweiser aus der zukünftigen Kulturhauptstadt České Budějovice schmeckt auf jeden Fall hervorragend.

Idyllische Moldaupromenade in Budweis / © Foto: Georg Berg
Idyllische Moldaupromenade in Budweis / © Foto: Georg Berg

Wir lassen den Tag an der Moldau ausklingen und freuen uns auf eine erholsame Radtour. Auf den ersten Kilometern führt der Radweg noch direkt an die Moldau entlang, die durch mehrere Schleusen aufgestaut ist. Dem Verlauf der Moldau folgend wird die Landschaft immer hügeliger und mehrmals wechselt man die Flusseite.

Julius Berg auf einer Moldaubrücke. Das Ufer ist über weite Strecken im ursprünglichen Zustand und die meisten Radwege führen über das hügelige Hinterland / © Foto: Georg Berg
Julius Berg auf einer Moldaubrücke. Das Ufer ist über weite Strecken im ursprünglichen Zustand und die meisten Radwege führen über das hügelige Hinterland / © Foto: Georg Berg

Nach Tagen, an denen uns nur wenige Menschen begegnet sind, erreichen wir die quirlige Hauptstadt Prag und stellen fest, dass Autofahren auch mit unerwarteten Abenteuern verbunden sein kann.

Parkkralle als Mobilitätsbremse / © Foto: Georg Berg
Parkkralle als Mobilitätsbremse / © Foto: Georg Berg

Fazit: Interrail entweder flexibel oder preisgünstig

Die Frage, für welche Reise sich ein Interrail-Pass lohnt, lässt sich nicht pauschal beantworten, denn es gibt viele verschiedene Pass-Varianten. Als Faustformel gilt: Je mehr und je länger man unterwegs sein will, desto günstiger ist es. Und mit der Zeit kann man die organisatorischen Kniffe lernen, mit denen das Reisen gut gelingt.

Der Preis ergibt sich aus den unterschiedlichen Geltungsdauern und Altersgruppen. Für Jugendliche bis 27 Jahre und Senioren ab 60 Jahre gibt es verschiedene Nachlässe. Die globalen Interrail-Tickets für die Erste und die Zweite Klasse sind in 34 Ländern gültig (Nicht dabei sind Albanien, Kosovo, Russland, Kasachstan, das Land Moldau, Estland und Lettland. Kleine Länder wie Monaco, San Marino, Vatikanstadt und Andorra oder Inseln wie Malta und Island). Einen Nachlass gibt es auch, wenn man sich auf ein einziges Land oder eine Ländergruppe festlegt. Das Wohnsitzland hat einen Sonderstatus, denn das darf man pro Interrail-Pass nur einmal verlassen und nur einmal dorthin zurückkehren.

Vor Fahrtantritt müssen alle Reisedetails ins Reisetagebuch eingetragen werden, denn nur so ist der Interrail-Pass als Ticket gültig / © Foto: Georg Berg
Vor Fahrtantritt müssen alle Reisedetails ins Reisetagebuch eingetragen werden, denn nur so ist der Interrail-Pass als Ticket gültig / © Foto: Georg Berg

Studium der europäischen Bahnsysteme erforderlich

Hört sich kompliziert an – ist es auch. Vor allem wenn man bedenkt, dass fast nur in Deutschland, Österreich und der Schweiz die Hochgeschwindigkeitszüge ohne zusätzliche Reservierungsgebühren nutzbar sind. Für Eurostar, SNCF; TGV; Thalys, Lyria, Trentitalia Frecca, RENFE AVE und PKP EIP werden Reservierungsgebühren erhoben, die vor allem den so genannten Flexi Interrail-Pass finanziell unattraktiv machen, der innerhalb seines Geltungszeitraumes nur für eine festgesetzte Zahl von Reisetagen gültig ist.

Beispielsrechnung

Erwachsene zahlen für 7 Fahrten innerhalb eines Monats 446 Euro in der ersten Klasse. Wenn man auch an jedem der 7 Tage eine Fahrt unternimmt, die 64 Euro kostet, ergibt sich gegenüber einer normal gelösten Fahrkarte kein Vorteil. Recherchen haben gezeigt, dass fast alle Bahngesellschaften verschiedene Sparangebote anbieten, die ähnlich kompliziert sind wie die eingangs geschilderten vergeblichen Versuche für einen Interrail-Pass (auch ohne gleichzeitigen Ticketkauf) eine optionale Sitzplatzreservierung zu erwerben.

Interrail lohnt sich nur für Vielfahrer.

Der Interrail-Pass für beliebig viele Fahrten innerhalb eines Monats kostet im Vergleich 883 Euro. Für 1202 Euro kann man innerhalb von 3 Monaten beliebig viele Fahrten in der ersten Klasse unternehmen. Senioren erhalten einen Rabatt von 10 Prozent. Jugendliche einen Rabatt von 23 Prozent.

Die Interrail-Fahrkarten wurden uns nicht berechnet.

Unsere Arbeitsweise zeichnet sich durch selbst erlebte, gut recherchierte Textarbeit und professionelle, lebendige Fotografie aus. Für alle Geschichten gilt, dass Reiseeindrücke und Fotos am selben Ort entstehen. So ergänzen und stützen die Fotos das Gelesene und tragen es weiter.

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