Georgien hat durch seine Lage zwischen Europa und Asien in seiner Geschichte viele Veränderungen erlebt, denen wir auf einer Wanderung entlang der Grenze zur Russischen Föderation nachspüren wollen. Der Ausgangspunkt unserer 8-tägigen Trekkingtour liegt 190 Kilometer von Tiflis1international hat sich die georgische Bezeichnung Tbiisi (übersetzt: warme Quelle) für die georgische Hauptstadt durchgesetzt, der Hauptstadt Georgiens, entfernt. Schon die Anreise erfordert ein geländegängiges Fahrzeug, denn es geht über den Abano-Pass, eine Straße, die in einer BBC-Dokumentation2Video: Nerve-Shredding Moutain Pass als die gefährlichste Straße der Welt bezeichnet wurde. Am Straßenrand stehen in kurzen Abständen Planierraupen, die den Schotterweg immer wieder von Geröll befreien müssen.

Unsere Reise führt uns durch das älteste Weinanbaugebiet3Early Neolithic wine of Georgia in the South Caucasus der Welt. In den Gärten des Klosters Alawerdi wachsen über hundert verschiedene Rebsorten, die ursprünglich aus Georgien stammen. Schon hier erfahren wir von einer wichtigen Errungenschaft für die Volksgruppe der Tuschen, deren ursprüngliches Siedlungsgebiet im Hochland von Tuschetien im Winter monatelang von der Außenwelt abgeschnitten ist. Im 16. Jahrhundert durfte der Anführer des siegreichen Heeres, das diese Provinz Georgiens gegen die Perser verteidigt hatte, einen Wunsch an den König richten. Er bat um ein Stück Land, auf dem im Winter kaum Schnee liegt. König Lewan versprach ihm das Land, das er vom Kloster Alawerdi aus auf seinem Pferd ohne Pause durchqueren konnte. Seitdem haben die Tuschen im fruchtbaren Alwani-Tal eine neue Heimat gefunden.

Nach acht Stunden Autofahrt erreichen wir Omalo auf 1.880 m Höhe. Dieses kleine Dorf ist das Verwaltungszentrum Tuschetiens. Vor den anstehenden Wanderetappen mit Zeltübernachtung kommen wir noch einmal in einem einfachen Hotel unter. Bei einem Zwischenstopp haben wir unterwegs in Telawi, der Hauptstadt der georgischen Provinz Kachetien noch Lebensmittel für die Verpflegung auf unseren zehn Wanderetappen eingekauft.

Die Hitze von Tiflis haben wir in den Bergen hinter uns gelassen, aber in der gesamten ehemaligen Sowjetrepublik Georgien sind die Auswirkungen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine unübersehbar. Ich komme mit Anna und Vitali ins Gespräch, die am nächsten Tag ebenfalls zu einer Wanderung aufbrechen wollen. Das russische Paar lebt seit fast zwei Jahren in Georgien. Mit einem sentimentalen Blick gen Osten fragen sie sich, wann die politischen Verhältnisse eine Rückkehr in ihre Heimat zulassen.

Mehr Outdoor geht nicht
Unsere Wanderung beginnt in einem der letzten ganzjährig bewohnten Dörfer Tuschetiens. Nur in den drei Sommermonaten Juli bis September leben die halbnomadischen Tuschen hier. In der übrigen Zeit leben die Familien im tiefer gelegenen Alwani-Tal, das ihnen im 16. Jahrhundert von König Theimuraz von Kachetien als Dank für ihre Unterstützung im Kampf gegen die persischen Angreifer geschenkt wurde.

Mit leichtem Gepäck genießen wir die Natur und ahnen, dass die vor uns liegende Strecke jahrhundertelang Schauplatz feindlicher Auseinandersetzungen war. Fast 120 Kilometer liegen vor uns, auf denen wir mehr als 5.000 Höhenmeter überwinden müssen. Wir bewegen uns auf der Südseite des Gebirgskamms, der Georgien von Tschetschenien trennt, oft nur wenige hundert Meter von der Grenze entfernt.


Grenzerfahrungen
Die Grenze nach Tschetschenien verläuft über schroffe Bergkämme und ist auf georgischer Seite bis heute nicht weiter gesichert. Für den Korridor, der der Grenze besonders nah ist, benötigen alle Personen ein Erlaubnisschreiben, das an den Posten der Grenzpolizei ausgestellt und unterwegs kontrolliert wird. Touristen müssen dafür ihren Reisepass dabei haben.

Seit jeher waren die Grenzen zwischen Tuschetien, Tschetschenien und Dagestan eine Herausforderung. Die Tuschen waren vor allem durch Menschenraub bedroht. Unübersehbar ist die Reihe alter Wehrtürme, die in Sichtweite zueinander stehen und früher ständig besetzt waren. So konnte die Nachricht von feindlichen Angriffen schnell weitergegeben und die abgelegenen Siedlungen zumindest gemeinsam verteidigt werden. Zur Abschreckung wurden besiegte Feinde in gut sichtbaren Gräbern entlang der Grenze bestattet. Da die Tuschen an die Wiedergeburt glaubten, wurden den getöteten Feinden vorsichtshalber noch die rechten Arme abgehackt, die als Trophäen viele tuschetische Hauswände schmückten.

Die Kultur der Tuschen ist von vorchristischen Traditionen geprägt
In der abgelegenen Region Georgiens ist die Volksgruppe der Tuschen noch in einem Glauben verhaftet, in dem neben christlichen Ritualen auch heidnische Vorstellungen eine große Rolle spielen. So sind die meisten Tuschen fest davon überzeugt, dass alle Produkte, die von Schweinen stammen, in den Bergen Unglück bringen. Schon ein Anhalter mit Lederschuhen oder einer Salami im Rucksack kann zu einem Autounfall führen. Im georgischen Tiefland, wo sich die Tuschen die meiste Zeit des Jahres aufhalten, verzehren sie jedoch selbst regelmäßig Schweinefleisch

Der kaukasische Kreidekreis
Bei Dartlo, wo eben noch die Pferde grasten, zeigt uns unser Führer Giorgi einen Steinkreis, der mich unweigerlich an Bertholt Brechts Drama vom kaukasischen Kreidekreis erinnert. Hier in Dartlo versammelten sich bei Bedarf die zwölf Dorfältesten, um über Verbrechen wie Mord, Diebstahl oder Verrat zu urteilen. In der Mitte des Kreises knieten auf zwei Steinen der Kläger und der Angeklagte. Unter einem weiteren Stein mussten beide ihre abrasierten Schnurrbärte als Zeichen des Eides ablegen. Der Schnurrbart eines Mannes versinnbildlicht sein Gewissen. Die höchste Strafe war die Verbannung aus der Dorfgemeinschaft.
Hunde, Schafe, Wölfe
Tuschetien ist bekannt für seine hochwertigen Schafprodukte (Milch, Käse, Wolle). Die Schafherden werden von Hirten gehütet, von Ziegen angeführt und von Hunden bewacht. Noch bevor man eine Schafherde sieht, hört man das Bellen der Schäferhunde. Für Wanderer ist dann erhöhte Vorsicht geboten, denn die Hunde nehmen ihre Aufgabe sehr ernst. Weglaufen ist in diesem Moment nicht nötig und eher ungeschickt. Wenn die Schafherde noch vor einem ist, ist es besser zu warten und ein Picknick zu machen. Denn eine Schafherde ist immer in Bewegung und macht früher oder später den Weg wieder frei.
Packpferde und Brücken im unwegsamen Gelände
Je höher und steiler ein Gebirge ist, desto schmaler werden die Wege. Schwere Lasten können nur mit trittsicheren Tieren wie Pferden, Maultieren und Eseln über Pfade transportiert werden. Zelte, persönliches Gepäck, Proviant und Küchenutensilien für unsere vierköpfige Wandergruppe wurden auf den Etappen über 2.000 Höhenmetern von sechs Packpferden transportiert. Beladen und geführt wurden sie von erfahrenen Säumern. So nennt man Personen, die Lasten auf dem Rücken von Saumtieren über Berge transportieren.
Dem Himmel so nah
Die nächsten Höhepunkte der Wanderung haben mit steilen Anstiegen zu tun. Der erste führt uns über den Atsunta-Pass, der die georgischen Provinzen Tuschetien und Kevsuretien miteinander verbindet. Auf dem schweißtreibenden Serpentinenweg über Geröllfelder kommen uns einige Mountainbiker entgegen. Gegen Mittag können wir in der Kälte auf 3.403 Metern Höhe die Aussicht genießen.
Für zwei Wochen haben wir uns Giorgi anvertraut, der uns von der ersten Minute an mit der Begeisterung für sein Heimtland angesteckt hat. Er ist ausgebildeter Reiseleiter und Mitinhaber der georgischen Reiseagentur Enjoy Georgia. Anders als der Name vermuten lässt, buchen hier viele Kunden aus dem deutschsprachigen Raum. Das Personal ist flexibel und die Verständigung unkompliziert. Da wir uns nicht selbst um Gepäcktransport, Verpflegung und Ablauf kümmern mussten, konnten wir uns voll und ganz auf die interessanten Informationen des Wanderführers einlassen.