Es ist ein Anfängerfehler, der mir in Freetown bei meinem ersten Fotorundgang passiert. Ich wollte im frühen Sonnenlicht die alten Kolonialbauten an den Hügeln der Hauptstadt Sierra Leones fotografieren. Aber innerhalb weniger Minuten sind alle Linsen meiner Kamera beschlagen. Mein Hotelzimmer und damit auch die Fotoausrüstung hatte ich mit der Klimaanlage über Nacht auf 24 Grad heruntergekühlt. Die hohe Luftfeuchtigkeit draußen habe ich aber nicht bedacht. Schon in der Frühe herrscht bei 31°C die maximale Luftfeuchtigkeit. 45 Minuten lang hilft kein Wischen, um ungetrübte Fotos machen zu können.
Sierra Leone: Erkundung einer neuen Destination
Der Grund meines Aufenthalts in diesem Land abseits der üblichen Reiseziele: Ich begleite eine Gruppe von deutschen Reiseexperten bei ihrer Erkundung der Destination Sierra Leone. Das Land hat zwei schwere Jahrzehnte hinter sich, die man hier nur noch „The Crisis“ nennt. Im Begriff Krise wird ein elf-jährigen Bürgerkrieg und die danach überstandene Ebola-Epidemie zusammengefasst. Jeder im Land ist entschlossen, den Blick nach vorne zu lenken und Sierra Leone wieder aufblühen zu lassen. Die Infrastruktur und die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern, auf die Naturschönheiten und die reiche Kultur des Landes hinzuweisen, das ist das Ziel der nächsten Jahre.
Es ist kein Zufall, dass die Ressorts Tourismus und Kultur in einem Ministerium zusammengefasst sind. Wir treffen den zuständigen Minister Sidie Yayah Tunis in seinem Büro. Anwesend ist neben unserer zehnköpfigen deutschen Gruppe die gesamte Führungsriege des Ministeriums für Tourismus und Kultur. Das Treffen beginnt mit einer Schweigeminute, Zeit für ein stilles Gebet. Man ist stolz auf die für das Land typische religiöse Toleranz. Wir erfahren, dass zehn ethnische Gruppen ihre eigene Kultur pflegen und friedlich miteinander umgehen. In den nächsten Tagen haben wir dann die Gelegenheit, mit eigenen Augen die Schönheiten des Landes mit seinen 6 Mio. Einwohnern zu sehen.
Die von der nationalen Fremdenverkehrsbehörde (National Tourist Board) vorbereitete Rundreise wird uns an Stellen führen, die selbst für die uns begleitenden Manager Neuland bedeuten. Freetown, die Hauptstadt von Sierra Leone war bis zur Unabhängigkeit im Jahre 1961 für das Britische Commonwealth der Hauptverwaltungsstandort in Westafrika. Deshalb ist kaum verwunderlich, das vor der „Krise“ vor allem britische Touristen das Land besuchten. Inzwischen gibt es nicht nur von London, sondern auch von Paris und (für deutsche Reisende besonders günstig) von Brüssel aus Direktflüge nach Freetown.
Massentourismus ist in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Aber das könnte gerade die Stärke von Sierra Leone sein, denn es gibt viel zu entdecken: Eine entspannte und dennoch typisch afrikanische Atmosphäre mit guter Mischung aus Erholung und Aktivurlaub. Das Land ist geradezu prädestiniert für Ökotourismus, denn an den großen breiten Flüssen erstrecken sich Naturreservate, deren Einrichtung alles andere als selbstverständlich war. Denn man hätte ja auch in diesen Gebieten nach Diamanten suchen können.
Dem Festland sind Inseln vorgelagert, die bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts als Umschlagplatz für den Sklavenhandel dienten.
Wer nach der Überfahrt dorthin mit kleinen Holzbooten die einfachen Unterkünfte bezogen hat, kann heute seinen Tagesablauf ohne komplizierte Planung gestalten: tauchen, fischen oder zu den kleinen Siedlungen wandern, in denen sich die Nachfahren der aus Amerika zurückgekehrten Sklaven niedergelassen haben. Oder einfach die sanfte Brise in der Hängematte genießen und sich mit frischen Fischgerichten und fruchtigen Cocktails verwöhnen lassen.
Sierra Leone hat die Ausdehnung Bayerns und noch sind die wenigsten Straßen asphaltiert. Das gilt auch für Verbindungen zu den Metropolen des Landes. Die Regenzeit hat an vielen Stellen große Schlammlöcher hinterlassen. Auch mit geländegängigen Fahrzeugen ist man länger unterwegs, als ich vorher gedacht hatte. Aber: Wer sich so früh wie möglich auf afrikanische Zeitvorstellungen umgestellt hat, der erweitert seine Erfahrungsmöglichkeiten ungemein.
Unterwegs fallen die zahlreichen Motorräder (meist indischer oder chinesischer Bauart) auf, die als preiswerte Taxis am besten durch den dichten Verkehr der Städte oder um die Schlammlöcher der Überlandverbindungen herum kommen. Diese Motorrad-Taxis werden in westafrikanischen Ländern Okada genannt in Anlehnung an die längst in Vergessenheit geratene nigerianische Fluglinie Okada Air. Gemeinsam ist beiden der schlechte Komfort und die Schnelligkeit, mit der sie ihr Ziel erreichen.
Die vielen jüngeren Fahrer verdienen mit diesem Beruf, für den keine Ausbildung nötig ist, weit mehr als das Durchschnittseinkommen. Die über 30-jährigen Okada-Fahrer sind oft ehemalige Kindersoldaten, die auf diese Weise wieder in die Gesellschaft integriert werden konnten. Das Leben finden zum größten Teil im Freien statt. Und das ist bunt, lebhaft und abwechslungsreich.
Märkte findet man nicht nur auf Marktplätzen sondern sie bilden sich schnell überall, wo es potentielle Käufer gibt. Bei jedem Stopp dauert es nur Sekunden, bis unser Auto von Händlern umstellt ist, die in den Körben auf ihren Köpfen allerlei Köstlichkeiten zum Kauf anbieten. Frische Bananenchips, geröstete Maiskolben, gekochte Maniok-Knollen, gegrillte Fleischspieße oder Getränke sind köstlich und kosten wenig. Auch SIM-Karten fürs Mobiltelefon kann man von fliegenden Händlern durch das Autofenster erwerben.
Visite beim Häuptling in Kabala
Ein Erlebnis der besonderen Art ist der Empfang bei einem der 149 einflussreichen Häuptlinge des Landes. Wir wollen die Provinzstadt Kabala besichtigen und auf den heiligen Berg Wara-Wara steigen. Das ist aber selbst für den Direktor des National Tourist Boards nur möglich mit der ausdrücklichen Genehmigung der lokalen Autorität. Diese wird auf Lebenszeit zwar von der Bevölkerung gewählt, gehört aber immer zu einer der Herrscherfamilien. Unsere Delegation wird von Häuptling Grawuru III. begrüßt und mit Kolanüssen herzlich willkommen geheißen. Keine Selbstverständlichkeit, merken wir schnell.
Besucher aus Europa fallen auf. Das merken wir vor allem, wenn Kinder uns entdecken und aufgeregt „Pubui!“ rufen, was bedeutet, dass Menschen mit weißer Hautfarbe im Auto sitzen. Ältere Einheimische lassen aber gelegentlich durchblicken, dass Touristen nicht mit der Attitüde der Kolonialherren daherkommen dürfen.
Respektvoller Umgang
Eine Besonderheit, an die man sich nach einigen Tagen gewöhnt, ist der Wert, den die Menschen in Sierra Leone auf eine respektvolle Begrüßung legen. Die wichtigen Floskeln „How di body?“ (auf Krio, der inoffiziellen Landessprache) oder „How are You?“ (auf Englisch, der offiziellen Sprache) sollte der Besucher schon kennen. „Wie geht es dir?“ „Wie heißt du?“ „Wo kommst du her?“ Jedes Gespräch danach geht freundlich weiter und das gilt auch dann, wenn man das Auftreten mancher Händler zunächst als aufdringlich empfunden hat.
Erst nachdem man jemanden begrüßt oder etwas gekauft hat, ist es an der Zeit zu fragen, ob fotografieren erlaubt ist. Ich jedenfalls habe die besten Erfahrungen damit gemacht, offen aufzutreten und auch über mich selbst etwas preiszugegeben. Das kann manchmal etwas dauern. Auf Markplätzen und anderen öffentlichen Orten gibt es oft gewählte Vertreter. Es hilft ungemein, mit der lokalen Präsidentin der Marktfrauen über den Grund des Besuchs zu sprechen. Eine solche Initiative verbreitet sich schnell. Anschließend ist man auf dem Markt willkommen und kann leichter mit den Leuten in Kontakt kommen.
Diamantenschmuggel finanzierte den Bürgerkrieg
In der Provinzhauptstadt Kenema, am Rande des heute immer noch betriebenen Diamanten-Abbaugebietes, wollen wir mehr über die Gründe für den 2002 beendeten Bürgerkrieg erfahren. Erstaunlich ist, dass sich die Gegner von damals keiner politischen Position zuordnen lassen. Der Krieg hatte ursprünglich im Nachbarland Liberia begonnen und sich über die Grenze nach Sierra Leone wegen der kostbaren Bodenschätze ausgebreitet, die – als Blutdiamanten – allen Kriegsparteien die Waffenbeschaffung ermöglichten. Der durch die UN initiierte Diamantenboykott verbot den internationalen Handel ohne offizielle Zertifikate des Herkunftslandes. Kurze Zeit später zeigte das im Jahr 2000 vereinbarte Kimberly-Abkommen Wirkung. Die Kriege wurden beendet und noch heute wird das Touristengepäck bei der Ausreise aus Sierra Leone peinlich genau nach Diamanten durchleuchtet.
Reisedokumente für den Aufenthalt in Sierra Leone
Der Besucher braucht einen bei der Ausreise noch sechs Monate gültigen Reisepass und ein Touristenvisum, dass in Deutschland bei der Botschaft beantragt werden muss.
Medizinische Besonderheiten
Die Gelbfieberimpfung ist verpflichtend. Der Impf-Pass muss bei der Einreise nach Sierra Leone vorgelegt werden. Sierra Leone ist Malariagebiet. Deshalb ist helle Bekleidung und die Mitnahme von Insekten-Abwehrmitteln empfehlenswert. Hausärzte geben individuell Auskunft darüber, ob eine medikamentöse Malaria-Prophylaxe angezeigt ist.
Flug nach Sierra Leone
Brussels Airlines fliegt von Brüssel aus vier Mal pro Woche nach Freetown. Der Flughafen Lunghi liegt auf einer Halbinsel und ist von Freetown nur mit Schiff oder Hubschrauber zu erreichen. Der Landweg in die Hauptstadt würde 4 Stunden dauern.
Währung in Sierra Leone
Geldautomaten und Kreditkarten sind in Sierra Leone kaum verbreitet. Am Flughafen und Banken der großen Städte können Euro (nur 50- und 100-Euro-Scheine, keine kleineren) in Sierra Leone Pfund umgetauscht werden. Der höchste Schein sind 10.000 Pfund. Das entspricht etwas mehr als 1 Euro.
Telefon / Internet in Sierra Leone
Dafür, dass es in Afrika nicht so viele Festnetzanschlüsse gibt, ist das Netz zum mobil telefonieren relativ gut ausgebaut. Deutsche SIM-Karten funktionieren in Sierra Leone nicht, da es keine Roaming-Vereinbarungen gibt. Relativ günstig sind Prepaid-SIM-Karten von Airtel oder Africell.
Es gibt eine sehr große Zahl von Kiosken oder fliegenden Händlern, die innerhalb kürzester Zeit Geldbeträge aufladen. („Mobile, top it up“) Dazu am besten die Telefonnummer der eigenen SIMKarte auf einem Zettel bereit halten.
Ein Datenvolumen für mobiles Internet kann durch Eingabe von *800# von Prepaid-Betrag abgebucht werden. 100 MB kosten ca. 5 Euro. Über Whatsapp oder andere IP-basierte Dienste ist das Telefonieren möglich und günstig. WLAN ist in manchen Hotels vorhanden.
Beste Reisezeit nach Sierra Leone
In Sierra Leone liegt knapp nördlich des Äquators und das Thermometer sinkt selten unter 30°C, auch nachts. Regenzeit beginnt im Mai und dauert bis Oktober. Am angenehmsten ist das Klima von Oktober bis Februar wo die maximale Temperatur 35 °C kaum übersteigt.
Keine Löwen in Sierra Leone
Obwohl der Name Sierra Leone etwas anderes nahelegt, im ganzen Land gibt es keine Löwen. Auch andere in Afrika bekannte Tiere, wie Giraffen und Zebras sucht man in Sierra Leone vergebens.
Dennoch hat Sierra Leone eine besonders artenreiche Fauna. Nicht so gut zu beobachten – weil nachaktiv – ist das nur in Sierra Leone heimische Pygmäen-Flusspferd und auf der Tiwai-Insel gibt es das größte Primaten Rückzugsgebiet Afrikas. In der Nähe von Freetown gibt es für Eco-Touristen ein großes Waldgebiet mit Übernachtungsmöglichkeiten in dem man Schimpansen beobachten kann.
Diese Recherchereise wurde zum Teil vom Tourist Board Sierra Leone unterstützt