Royston Cave – die rätselhafte Höhle

Royston Cave ist bis heute einer der geheimnisvollsten Orte Großbritanniens. Die Kleinstadt Royston liegt zwischen London und Cambridge in Hertfordshire. Während die Megalithen von Stonehenge bei ihrer ersten schriftlichen Erwähnung um 1130 bereits Mythos und Pilgerstätte waren, gilt die Royston Höhle immer noch als ein Rätsel der Geschichte. Wofür wurde sie genutzt, wer hat sie genutzt, warum gerade hier und was haben die vielen in den Kalksandstein geschnitzen Figuren zu bedeuten? Fünf Therorien buhlen um Deutungshoheit. Auch fast 300 Jahre nach ihrer Wiederentdeckung gibt es keine eindeutige Antwort. Sicher ist nur, ein Besuch dieser rätselhaften Höhle lohnt sich. Selten gerät man beim Betreten eines historischen Ortes so unvermittelt von einer Welt in eine andere, wie beim Besuch von Royston Cave. Mit dem Ticket aus dem Cave Shop geht es in eine Garageneinfahrt und dann durch eine Seitentür in die Tiefe.

Die Royston Cave in Herfordshire U.K. gibt Historikern bis heute Rätsel auf. Bei der Figur ganz links im Bild mit den erhobenen Armen könnte es sich um König David aus dem Buch der Psalmen handeln / © Foto: Georg Berg
Die Royston Cave in Herfordshire U.K. gibt Historikern bis heute Rätsel auf. Bei der Figur ganz links im Bild mit den erhobenen Armen könnte es sich um König David aus dem Buch der Psalmen handeln / © Foto: Georg Berg

Zufallsfund am Buttermarkt

Es wird vermutet, dass Royston Cave um 1350 entstanden ist. Sicher belegt ist aber nur der Tag ihrer Wiederentdeckung im Jahr 1742. Sollte es sich um ein Geheimversteck gehandelt haben, so macht die Royston Höhle diesem Zweck alle Ehre. Denn sie geriet in totale Vergessenheit. Jegliche Überlieferung wurde ausgelöscht. Doch mit dem Tag, als ein Arbeiter auf dem Buttermarkt von Royston einen Mühlstein zur Seite rollte und den tiefen Schacht entdeckte, begann das Rätselraten um Royston Cave. Einem kleinen Jungen, der vorbeikam wurde eine Kerze in die Hand gedrückt. An ein Seil gebunden hatte er den Auftrag, nach dem Rechten zu schauen. Zur Enttäuschung der Bewohner meldete der Junge keinen Schatz. Was der Knabe nach Jahrhunderten im Verborgenen zu Gesicht bekam, können Besucher heute etwas komfortabler besichtigen. Bereits 1790 wurde ein Seitentunnel für einen leichteren Zugang zur Höhle gegraben.

Unter diesem Straßendeckel im Katherine's Yard verbirgt sich die Royston Cave / © Foto: Georg Berg
Unter diesem Straßendeckel im Katherine’s Yard verbirgt sich die Royston Cave / © Foto: Georg Berg

Gruseln erlaubt

Ein Tunnel mit Handlauf führt acht Meter hinunter in die Tiefe. Die Wände werden vom flackerndem Licht schwach beleuchtet. Die Höhle hat nur einen Durchmesser von fünf Metern und ihre Form ähnelt dem eines Bienenkorbes. An den Wänden tut sich ein wahres Panoptikum der Gruselbilder auf. Der Guide erhöht das Gefühl, im dunkelsten MIttelalter angekommen zu sein und erläutert einige der in den Kalksandstein geschnitzten Figuren. In dem Gewimmel von Strichmännchen, Symbolen und Verzierungen deutet er mit grünem Laserpointer auf eine weibliche Figur mit einem Rad in der Hand. Es handelt sich um die Heilige Katharina von Alexandrien, eine der vier bedeutenden heiligen Jungfrauen. In der Hand hält sie beinah triumphierend das für sie vorgesehene Folterinstrument, ein Brechrad. Sie war erst 18 Jahre alt, als sie zur Märtyrerin wurde. Das Brechrad war dabei nur das Vorspiel zur Vollstreckung der Todesstrafe. Es wurde auf die Beine und anschließend auf die Arme geworfen, um diese zu brechen.

Die heilige Katharina mit dem Brechrad ist eine der größeren christlichen Schnitzereinen in der Royston Cave / © Foto: Georg Berg
Die heilige Katharina mit dem Brechrad ist eine der größeren christlichen Schnitzereinen in der Royston Cave / © Foto: Georg Berg

An einer anderen Stelle ist der heilige Laurentius von Rom zu sehen. Sein Märtyrer-Schicksal ist ähnlich grausam. Er wurde auf ein glühendes Eisenrost gebunden, weil er das Kirchenvermögen der Stadt an die Armen verteilte. Zudem gibt es noch diverse Kreuzigungsszenen, viele gekrönte und ungekrönte Figuren, eine Handfäche mit einem eingravierten Herz oder eine Taube. Unter den grausigen christlichen Szenen befinden sich auch immer wieder heidnische Bilder wie die Schnitzerei eines Pferdes oder ein Fruchtbarkeitssymbol. Eine weitere Darstellung zeigt eine Figur, die einen Schädel in der rechten und eine Kerze in der linken Hand hält. Interpretationen nach deutet dies auf eine Initiationszeremonie hin. Die Vielfalt an Zeichen und Symbolen ist seit Jahrhunderten der Nährboden für eine ganze Handvoll von Theorien über Royston Cave.

Royston Cave, Blick aus der Höhle nach oben. Der Schacht ist acht Meter tief und endet heute unter einem Kanaldeckel in der Melbourn Street in Royston / © Foto: Georg Berg
Royston Cave, Blick aus der Höhle nach oben. Der Schacht ist acht Meter tief und endet heute unter einem Kanaldeckel in der Melbourn Street in Royston / © Foto: Georg Berg

Tempelritter, Freimaurer, Eremit oder Lady?

Eine der großen christlichen Schnitzereien in der Royston Cave ist der Heilige Christopherus. Er ist der Schutzpatron der Reisenden. Er ist als Riese mit einem Stab und dem Jesuskind auf der Schulter dargestellt. Die Anrufung des Heiligen Christopherus sollte vor einem plötzlichen Tod schützen. / © Foto: Georg Berg
Eine der großen christlichen Schnitzereien in der Royston Cave ist der Heilige Christopherus. Er ist der Schutzpatron der Reisenden. Er ist als Riese mit einem Stab und dem Jesuskind auf der Schulter dargestellt. Die Anrufung des Heiligen Christopherus sollte vor einem plötzlichen Tod schützen. / © Foto: Georg Berg

Die populärste Theorie ist die der Tempelritter. In Baldock, rund 12 Kilometer von Royston entfernt, hatten die Templer einen Stützpunkt. Sie besuchten Royston häufig, um auf dem Markt Waren zu verkaufen. Es wäre also möglich, dass die Tempelritter die Höhle als geheimen Ort der Anbetung und als Lagerraum nutzten.

Eine weitere Theorie sieht in der Höhle eine der ersten Logen der Freimaurer in England. Die These stützt sich auf die Verbindung zwischen Jakob I. König von England und Schottland und der Freimaurerei. Da Jakob ein Schloss in Royston besaß und die Stadt regelmäßig zur Jagd besuchte, geht diese Theorie davon aus, dass der König die Royston Cave nutzte, um die Freimaurerei abseits der neugierigen Augen seines Hofes auszuüben.

Die dritte Theorie interpretiert die Höhle als Rückzugsort eines Eremiten. Im Frühmittelalter war es üblich, Einsiedeleien an Straßen zu bauen. Das religiöse Prinzip der Einsamkeit als pfiffiges Geschäftsmodel sozusagen. Reisende bezahlten den Einsiedler dafür, dass er für ihre sichere Durchreise betet. Vielleicht kam ab einer bestimmten Spendensumme zum Gebet noch eine Gravur hinzu? Dies könnte die unzähligen kleinen Gestalten in der Höhle erklären.

Theorie Nummer vier sieht in der Höhle die Privatkapelle von Lady Roisia, aus deren Namen sich vermutlich der Stadtname Royston ableitet. Sie war die Frau von Eudo Dapifer, des Verwalters von Wilhelm dem Eroberer und besaß umfangreiche Ländereien in der Gegend. Es wird vermutet, dass Lady Roisia ein Steinkreuz an der Kreuzung von Royston errichten ließ und die Höhle als ihre Privatkapelle nutzte. Gut belegt ist jedenfalls die Bedeutung dieser Kreuzung. Hier trafen der Icknield Way, ein historischer Weg, der entlang der südlichen Kreideküste Englands von Norfolk nach Wiltshire verläuft und der Ermine Street, eine römische Straße, die ursprünglich von London nach York führte.

Theorie Nummer fünf führt in die Welt der Laienforschung. Esoterisch veranlagte Menschen behaupten, dass die Höhle am Schnittpunkt zweier Ley-Linien liegt. Diese gradlinig angeordneten Landmarken verbinden prähistorische Kultstätten, Menhire, heilige Quellen oder Kirchen miteinander. Eine dieser Linien spiritueller Kraft, die Michael-Linie, verläuft durch Royston und führt auch durch Stonehenge und Avebury.

Ewiges Enigma

Bis heute konnte sich keine der Theorien durchsetzen. Zu vieles ist widersprüchlich und passt zeitlich nicht zueinander. Außer der Schnitzerein im Gestein gibt es kein Vergleichsmaterial in der Höhle das bei der historischen Einordnung helfen könnte. So sind Historiker ganz auf den Abgleich von Figuren und Symbolen an anderen historischen Orten angewiesen. Doch wer sagt uns, ob nach der Wiederentdeckung im 18. Jahrhundert nicht ein paar heidnische oder christliche Graffitis ergänzt wurden, um den Mythos von Royston Cave zu befeuern? Die Höhle in Hertfordshire bleibt also ein ungelöstes Rätsel, auf das sich alle Besucher ihren eigenen Reim machen können. Und das macht den Besuch erst richtig spannend.

Mit einem Laserpointer werden Besuchergruppen die geheimnisvollen Schnitzereien in der Royston-Höhle erklärt / © Foto: Georg Berg
Mit einem Laserpointer werden Besuchergruppen die geheimnisvollen Schnitzereien in der Royston-Höhle erklärt / © Foto: Georg Berg

Die Stadt Royston in der Grafschaft Hertfordshire liegt auf der Zugstrecke zwischen London Kings Cross und Cambridge. Von Cambridge sind es 20 Minuten Zugfahrt. Von London nach Royston beträgt die Fahrtzeit ca. 50 Minuten. Die Royston Cave ist nur 8 Minuten zu Fuß vom Bahnhof entfernt. Mehr Information über Royston Cave.

360-Grad-Ansicht der Royston-Höhle

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