Wer historische Einleitungen in Reiseführern am liebsten überschlägt, darf auch unvorbereitet nach Fès reisen und wird trotzdem erfüllt mit Geschichte(n) zurück nach Hause kommen. Es gibt auf der Welt kaum eine Großstadt, die den Reisenden so unmittelbar an ihrer Vergangenheit teilnehmen lässt. Heute noch haben die Gassen der Altstadt denselben Verlauf wie vor 1.000 Jahren.
Doch die Menschen, die die Stadt mit Leben füllen, leben in der Gegenwart. Mit dem Handy am Ohr gehen sie den Eseln aus dem Weg, die immer noch das wichtigste Transportmittel sind.
Auf den Dächern eine Unzahl von Satellitenschüsseln. Fremde werden freundlich angesprochen, wie es ihnen geht und ob sie nicht vielleicht was kaufen wollen. Kupfer-, Messing- und Goldschmiede, Drechsler, Schneider, Teppichhändler, Taschenmacher, Schreiner und Metzger, Fisch- Gewürz- und Gemüsehändler – alle haben ihr eigenes Viertel.
Jedes mit eigener Moschee, Brunnen, einem Hammam und einer Bäckerei. Marktschreier versuchen das Hämmern der Metallbearbeiter zu übertönen. Überall ist es quicklebendig bis der Ruf des Muezzins zu hören ist. Dann wird es etwas ruhiger. Einige hängen Tücher vor die Auslagen oder schließen ihre Läden und streben zum Gebet in eine der 400 Moscheen. Und das bis zu sieben mal am Tag.
Die Stadt Fès ist die älteste der vier marokkanischen Königsstädte und die drittgrößte Stadt des Landes. Sie gilt als geistige und religiöse Hauptstadt Marokkos und wurde von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Mit der Gründung des ersten islamischen Reiches durch Idris, einem Abkömmling des Propheten Mohamed beginnt die Geschichte des heutigen Marokkos. Fès ist die Stadt des Kunsthandwerks und reich an Zeugnissen andalusisch-maurischer Kunst.
Esel und Petit Taxi in Fès
Die Geschichte der 1,5 Mio. Einwohner zählenden Stadt Fes beginnt zum Ende des 8. Jahrhunderts und zeigt sich heute noch in den Stadtteilen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Der älteste Teil ist die noch immer von einer Stadtmauer umgebene Medina Fès al-Bali. Hier leben 285.000 Menschen in kleinen Häusern und die engen Gassen bieten nur Platz für Fußgänger, Esel und kleine Lastkarren. Alle Waren, sämtliches Baumaterial, Müllabfuhr und auch Kranke werden so transportiert.
Alle anderen Stadteile sind mit dem Auto erreichbar. Besonders günstig fährt man mit den kleinen roten Taxis. Eine lange Fahrt quer durch Fès kostet kaum mehr als 5 Euro. Ungewohnt für europäische Touristen ist, dass die Taxis möglichst mit drei Fahrgästen ausgelastet werden, die sich die Fahrtkosten teilen. Ist noch ein Platz frei, stoppt der Fahrer für einen weiteren Mitfahrer und nimmt ihn mit, wenn der in die gleiche Richtung möchte.
Hinter hohen Mauern ein verborgener Palast Fès el Jedid, der Name bedeutet „Weißes Fès“ oder „Neues Fès“, wurde im 13. Jahrhundert als Festung gebaut. Auch die Mellah, das einst jüdische Viertel, ist hier angesiedelt. Der königliche Palast verbirgt sich auf einem riesigen Areal hinter hohen Mauern. Die im Sommer weiß, im Winter rot uniformierten Wachen stehen an den Toren und sollten nicht fotografiert werden. Bis zur Einrichtung des französischen Protektorats im Jahre 1912 wurde Marokko von hier aus regiert.
Französischer Einfluss
Später wurde weiter außerhalb für die französischen Beamten und ihre Familien die Nouvelle Ville gebaut, mit modernen Häusern. Mit dem Auszug der Franzosen 1956 aus dem Land veränderte sich indirekt auch die Bevölkerungsstruktur in der Medina. Die reichen Familien zogen aus ihren alten Palästen in die Neustadt um, wo es plötzlich viele freie moderne Wohnungen gab. Berufliche Chancen lockten zudem Mitglieder der traditionellen Großfamilie aus Fès weg. Das Ende des Mehrgenerationenhauses war in Marokko angekommen. In den palastartigen Riads siedelte sich die entwurzelte Landbevölkerung an. Wo vorher mehrere Generationen einer Familie wohnten, teilten sich je nach Zimmerzahl bis zu 20 aus dem Umland in die Stadt gezogene Familien der Landbevölkerung den bewohnbaren Raum. ORIENTierung im wahrsten Sinne des Wortes.
In den letzen Jahren sind diese ehemaligen Patrizierhäuser von Hoteliers zu luxuriösen Unterkünften umgebaut worden. Ein mehrtägiger Aufenthalt in einem dieser Paläste bietet unternehmungslustigen Touristen mehrere Vorteile. Im Unterschied zu den großen Hotels der Peripherie fühlt sich der Reisende schon bald im orientalischen Mittelalter zu Hause, ohne auf die Annehmlichkeiten eines privaten Rückzugsraumes verzichten zu müssen. Der Alltag in der historischen Altstadt ist für Besucher zum Greifen nah und erste Orientierungsschwierigkeiten lassen sich überwinden, indem man immer weitere Ausflüge unternimmt.
Start am Bab Boujeloud in Fès
Die Altstadt erstreckt sich auf hügeligem Gebiet. Zu wissen, welcher Bezirk der Altstadt oben oder unten ist, kann bei der Orientierung helfen. Ein Hügel im Norden, auf dem als historische Sehenswürdigkeit die Merinidengräber liegen, bietet den besten Überblick.
Wer nur einen einzigen Tag in Fès zubringen will, sollte die Altstadt unbedingt mit einem lizensierten Führer entdecken. Von den Stadttoren, die alle die arabische Übersetzung Bab im Namen führen, ist das Bab Boujeloud der beste Startpunkt.
Vor hier führen zwei Hauptverkehrswege ins Zentrum. Die Talaa Kebira und die Talaa Seghira sind allerdings beide so schmal, dass es auch für Fußgänger an den meisten Stellen maximal nur eine Spur für den „Gegenverkehr“ gibt. Ein guter Führer weist auf die Grundregeln in der Medina hin und geht auf seine Kunden ein; er ist nicht auf bestimmte Ziele festgelegt und verhindert, dass man sich verläuft. Und vor allem zeigt die Begleitung durch einen offiziellen Guide den anderen nicht lizensierten „Guides“, dass sie sich gar nicht erst als Altstadt-Schlepper versuchen brauchen.
Baalak, baalak – „mach dich dünn!“
Hört man den Ruf „baalak“ ist ein schwer beladener Esel unterwegs und sein Treiber warnt kein zweites Mal. Die Einheimischen drücken sich schnell zwischen die Auslagen der Händler, um Platz zu machen. Erfahrene Fassis, wie die Bewohner von Fès sich nennen, genießen ein zügiges Weiterkommen, indem sie sich in Schwanzlänge hinter einem solchen schnellen Lasttier einfädeln. Da alle Wege zu Fuß gemacht werden müssen, sind von Touristen verstopfte Gassen, für die Einheimischen ein ähnliches Ärgernis wie für uns verstopfte Autobahnen.
In der Talȃa Seghira zieht ein kleiner Eingang den Passanten magisch an. In den Auslagen liegen fein ziselierte Gebrauchsgegenstände aus Messing. In dieser Manufaktur hat der Vater des amtierenden Königs bei Ahmed Guernani die Messingarbeiten in Auftrag gegeben, mit denen die hölzernen Tore der Mauer um den Königspalast zwischen 1961 und 1968 verziert worden sind.
Heute sitzt sein Sohn Abdelgabar in einer kleinen Ecke des Ladens und bearbeitet einen Messingteller. Jedes Ornament schlägt er mit einem kleinen Meißel in das Metall. „Schablonen werden nur von Lehrlingen verwendet“ erklärt sein Bruder auf englisch und zeigt den Unterschied an zwei Tellern.
Feilschen heißt nicht nur den Preis drücken
In jedem Laden und bei jedem Händler lässt sich auch über Preise reden. Traditionell bedeutet den Menschen das Feilschen aber mehr, als nur den Preis zu reduzieren. Man kommt ins Gespräch, erkundigt sich nach den persönlichen Umständen und eher nebenbei kann der Kaufinteressent sich mal nach einer der angebotenen Waren erkundigen. Dabei kommen Komplimente besser an, als wenn Nachteile betont werden. Touristen sollten die Verhandlung lieber nicht mit einem Objekt eröffnen, das sie schließlich kaufen wollen. Wenn der Preis für das vermutlich teurere Probeobjekt sich nicht mehr bewegt, kann es gut sein, dass der „unschlüssige“ Käufer eine günstigere Alternative angeboten bekommt. Und damit kann dann ein Geschäft zustande kommen, in das beide Seiten lächelnd einschlagen.
Verschlossene Touristenattraktionen in Fès
Der Guide zeigt auf dem Weg die nach Handwerken aufgeteilten Stadtbezirke und muss auf die sonst leicht zu übersehenden wichtigen Baudenkmäler hinweisen, denn sie alle liegen ebenfalls an engen Gassen und sind von Verkaufsständen umgeben. Der Blick nach oben zeigt die mit grünen Dachziegeln gedeckte Karaouiyine-Moschee, die zugleich die älteste Universität Marokkos ist. Der spätere Papst Silvester II. hat hier Mathematik studiert. Heute dürfen sie nur Moslems betreten. Ebenso wie das größte Heiligtum der Stadt, das Grabmal des Stadtgründers, die Zaouia Moulay Idris.
Prachtvolle Bauwerke in Fès
Eine der wenigen Sehenswürdigkeiten, deren Innenhof wenigstens zu besichtigen ist, ist die Medersa Bou Inania. Der Innenhof dieser zwischen 1350 und 1357 erbauten religiöse Hochschule ist ein eindrucksvolles Beispiel maurischen Kunsthandwerks. Mit den typischen marokkanischen Zellij genannten emaillierten Terrakotta-Kacheln sind in der Girik-Technik kleinteilige Mosaike gelegt. In den Stuck gemeißelte Kalligrafien und Arabesken zieren die Wände. Minarette haben in Marokko fast alle einen quadratischen Grundriss. Wenige sind achteckig und die schlanke Form haben nur Moscheen, die nicht vom Staat sondern eher von ausländischen Stiftungen finanziert werden. Sie kommen sehr selten vor.
Farbenfrohe Lederwaren in Fès
Was wäre ein Rundgang durch Fès ohne einen Blick auf das berühmte Gerberviertel? „Tannerie, Tannerie“, rufen junge Männer und bieten trotz offiziellem Guide eine Sonderführung an. Hier ist die einzige Stelle in der ganzen Stadt, in der die Touristen eindeutig in der Überzahl sind. Durch Einbahngassen, die so schmal sind, dass kein Gegenverkehr möglich ist, steigen Treppen immer höher, bis man schließlich einen Balkon erreicht, von dem unzählige Fotografen auf den Auslöser drücken. Einige halten sich dabei Minzzweige gegen den Gestank vor Nase und Objektiv. Schade, dass die Sonne nur am Vormittag den Innenhof mit den Farbbecken angemessen beleuchtet.
Im ersten Arbeitsschritt weichen die Tierfelle in einem der wabenartig angeordneten Becken zunächst fünf Tage in einer Salzlösung auf. Ein anderes Becken ist mit einer Kalklösung gefüllt. Nach zehn Tagen sind die Haarwurzeln aufgelöst und Fellreste können als „tote Wolle“ ausgekämmt werden. Diese ist kein Abfallprodukt sondern wird als Kissen- und Matratzenfüllung verwendet. Das Leder kommt sodann in ein weiteres Becken, wo es unter vollem Körpereinsatz der Gerber mehrmals täglich mit den Beinen in einer Lösung von Taubendung gewalkt wird. Der Rückweg führt durch die Verkaufsräume der Lederkooperative. In ihr haben sich die Gerber zusammengeschlossen, um Dumpingpreise und Importleder zu verhindern, das nicht nach den in Fès üblichen natürlichen Methoden verarbeitet worden ist.
Am Rand des Gerberviertels wird das Leder zu Taschen, Schuhen und Kleidungsstücken weiterverarbeitet.
Hotel oder Riad in Fès buchen?
In Fès gibt es zwei Arten von Unterkünften. Die großen Sternehotels befinden sich außerhalb der Stadt. Die Kategoriebewertung ist in Marokko nicht mit den Kriterien der Hotelstars Union vergleichbar. So entspricht ein Hotel mit fünf marokkanischen Sternen der international vergleichbaren Komfortklasse Dreistern Superior. Die Hotels haben viele Zimmer und die Mehrzahl der Gäste sind Gruppenreiseteilnehmer, die selten mehr als eine Nacht in derselben Unterkunft zubringen.
Reisetipps Marokko, Fès
Klima: Man tut gut daran, das Land Marokko in der Nebensaison zu bereisen. Am angenehmsten ist das Klima von März bis Juni und dann wieder im Oktober und November. Im Sommer liegt die Temperatur oft höher als 40°C.
Telefonieren: Datenroaming und Mobiles telefonieren mit deutschen Verträgen ist teuer. 1 MB Daten kosten über 15 Euro. Für das Geld kann man in Marokko eine prepaid-Karte kaufen, mit der 500 MB an Datenverkehr abgedeckt sind. Übrigens tarnen sich die zahlreichen Mobilfunkmasten gelegentlich als Palmen.
Geld: Die Währung in Marokko ist der Dirham (MAD). Die Umrechnung ist einfach, denn 10 Dirham entsprechen ungefähr 1 Euro. Die häufigsten Scheine sind 20 Dirham. Auf größere Scheine können Händler oft kein Wechselgeld herausgeben.
Dokumente: Für die Einreise wird ein Reisepass benötigt, der noch mindestens drei Monate gültig ist.
Sicherheit: Es gibt im Land viel Polizei, uniformiert aber auch in Zivil. Das bedeutet zwar gelegentliche Kontrollen, aber auf der anderen Seite auch wenig Verbrechen gegen Ausländer. Natürlich sollte man auch in Marokko keine Wertgegenstände unbeaufsichtigt lassen.
Wandkalender mit Fotos von Georg Berg im Buchhandel (auch online) in verschiedenen Größen erhältlich: Fès – Marokko wie im Mittelalter / auch als Familienplaner (*)
Diese Recherchereise wurde vom marokkanischen Fremdenverkehrsamt unterstützt