Badevergnügen auf Usedom

Wie wäre es, einen Reisebericht über Deutschlands zweitgrößte Insel nicht mit den imposanten Seebrücken, den kilometerlangen Flaniermeilen oder den stuckverzierten Gründerzeitvillen der Kaiserbäder zu beginnen? Stattdessen könnte man mit dem starten, was schon vor 150 Jahren den kleinen Luxus eines Tages am Meer ausmachte: Sonne, Strand und Meer – für viele zugänglich dank Badekarren, Strandkorb und sogar Fertighäusern.

Badekarren waren ein wichtiger Bestandteil der frühen Badekultur auf Usedom. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurden sie an der Ostsee eingesetzt, um es Frauen zu ermöglichen, sich diskret ins Wasser zu begeben / © Foto: Georg Berg
Badekarren waren ein wichtiger Bestandteil der frühen Badekultur auf Usedom / © Foto: Georg Berg

Mit dem Badekarren ins Wasser

Auf Usedom nutzte man Badekarren als Teil der frühen Badekultur. Bereits 1824 standen sie in Neukrug bei Heringsdorf. Zunächst dienten sie den Badegästen als Umkleidekabinen, bevor Pferde sie ins tiefere Wasser zogen. Besonders Frauen konnten so dezent ins Wasser gehen. Die Badekarren waren Vorläufer der späteren festen Badeanstalten, die um 1902 die Karren ablösten. Heute stehen an der Konzertmuschel in Bansin noch historische Badekarren, die Künstler als Umkleidekabinen nutzen. Die Badekarren spielen eine wichtige Rolle in der Entwicklung Usedoms zum beliebten Seebad und spiegeln die damaligen gesellschaftlichen Konventionen wider.

Seebrücke bei Heringsdorf mit großer Werbetafel. Urlauber betreiben Nordic Walking am Strand / © Foto: Georg Berg
Seebrücke Heringsdorf: Einst schlenderten die Menschen in langen Kleidern tief atmend den Steg entlang. Heute betreiben Kurgäste Nordic Walking am Strand / © Foto: Georg Berg

Die Badewanne von Berlin

Zu Kaisers Zeiten zog es die feine Gesellschaft aus den Großstädten ans Meer. Wer es sich leisten konnte, verbrachte den Sommer zur Kur in einem Ostseebad. Die gehobenen Berliner reisten regelmäßig mit ihrem gesamten Hausstand in ihre großzügigen Sommerresidenzen. Schließlich erreichte man die Ostsee schnell und direkt mit der Bahn. So erhielt der Kurort Ahlbeck den Spitznamen „Badewanne von Berlin“. Den Rheumaschüben einer adeligen Dame ist es zu verdanken, dass die Ostseestrände bis heute mit einem für jedermann erschwinglichen Badekomfort bestückt sind.

Gruppe von Strandkörben mit typischer abgerundeter Ostsee-Form sowie Hinweisschild Strandkorbvermietung, Ahlbeck auf Usedom / © Foto: Georg Berg
Gruppe von Strandkörben mit typischer abgerundeter Ostsee-Form Kaiserbad Ahlbeck auf Usedom / © Foto: Georg Berg

Frau von Maltzahn und der Wäschekorb am Strand

Für die einen ist es nur ein klobiges Küstenmöbel, für die anderen der kleine Luxus am Strand: Füße hoch, Augen zu und tief einatmen. Die Geschichte des Strandkorbs beginnt 1882, als Elfriede von Maltzahn, eine rheumakranke Adlige, den kaiserlichen Hofkorbmacher Wilhelm Bartelmann in seiner Rostocker Werkstatt aufsuchte. Trotz ihrer Krankheit wollte sie die Sommerfrische im Ostseebad Warnemünde genießen und bat Bartelmann, ein passendes Strandmöbel zu entwerfen. Es sollte bequem sein, Schatten spenden und vor dem rauen Ostseewind schützen. 

Strandkorb im Ostseebad Ahlbeck in gelb und mit Deutsche Post Logo / © Foto: Georg Berg
Strandkorb im Ostseebad Ahlbeck in gelb und mit Deutsche Post Logo / © Foto: Georg Berg

Korbmacher Bartelmann schuf daraufhin den ersten Strandkorb: einen Einsitzer aus Weiden- und Rohrgeflecht. Spötter verglichen ihn mit einem aufrecht stehenden Wäschekorb, in den ein Sitzbrett eingelegt war. Doch die Nachfrage wuchs schnell. Noch im selben Jahr fertigte Bartelmann weitere Einsitzer, und 1883 entwickelte er den Zweisitzer. Dieser fand großen Anklang, da er mit Markise, Fußstützen und Seitentischen ausgestattet war. Während Bartelmanns Frau Elisabeth in Warnemünde die erste Strandkorbvermietung gründete, stieg die Nachfrage weiter. Elisabeth Bartelsmann erkannte, dass sich das saisonale und ortsgebundene Möbel besser vermieten als verkaufen ließ. Damit trieb sie die Expansion des Familienbetriebs voran. Ein Patent meldeten die Bartelsmanns nie an, und bald tauchten Nachahmer auf. Heute prägen Strandkörbe die Küsten von Ost- und Nordsee. In anderen Ländern hat sich das Küstenmöbel nie durchgesetzt.

Das Wolgaster Holzhaus bei Heringsdorf wurde ab 1884 von der "Wolgaster Aktien-Gesellschaft für Holzbearbeitung“ gefertigt und bereits um 1900 aus vorgefertigten Bauteilen verkauft. Kunden konnten aus verschiedenen Modellen wählen und sich ein individuelles Haus zusammenstellen / © Foto: Georg Berg
Ein Wolgaster Holzhaus bei Heringsdorf. Die ersten Serienfertighäuser wurden ab 1884 von der „Wolgaster Aktien-Gesellschaft für Holzbearbeitung“ gefertigt / © Foto: Georg Berg

Wolgaster Holzhäuser

Die Wolgaster Holzhäuser sind eine Besonderheit der Bäderarchitektur auf Usedom. Bereits um 1900 entstanden hier die ersten Systemhäuser aus Holz in Deutschland. Die „Wolgaster Aktien-Gesellschaft für Holzbearbeitung“ konstruierte diese eleganten Bauten vor allem in Heringsdorf und Bansin. Kunden konnten aus verschiedenen Modellen wählen und so ihr individuelles Haus gestalten. 

Wolgaster Holzhaus in Bansin. Die schmale Villa „Ut Kiek“ wurde als Prototyp auf der Weltausstellung 1893 in Chicago gezeigt und anschließend in Bansin wiederaufgebaut / © Foto: Georg Berg
Wolgaster Holzhaus in Bansin. Die schmale Villa „Ut Kiek“ wurde als Prototyp auf einer Weltausstellung, vermutlich 1889 in Paris, gezeigt und anschließend in Bansin wiederaufgebaut / © Foto: Georg Berg

Serienfertighaus mit Alpencharme

Auf der Bansiner Promenade stehen mehrere Holzhäuser, die Besucher besichtigen können. Besonders sticht die schmale Villa „Ut Kiek“ ins Auge, die an eine norwegische Stabkirche erinnert. Fertighäuser galten damals als so innovativ, dass die beteiligten Firmen regelmäßig an Weltausstellungen teilnahmen – den globalen Schauen für Fortschritt und Erfindungsgeist. Ein Wolgast-Haus existiert noch heute in einem Vorort von Chicago. Die Firma Christoph & Unmack entwarf es, ließ es in Wolgast bauen und verschiffte es nach Chicago. Dort diente es als Prototyp für die Worlds Columbian Exposition, wurde später im Vorort Wilmette wieder aufgebaut und ist bis heute als Wolgast House bekannt. Zurück nach Bansin: Hier reihen sich die Villa Vineta, die Villa Heimdall und das Café Asgard aneinander. Dieses Ensemble zeigt eindrucksvoll, wie die Bädervillen Elemente alpenländischer Blockhütten aufgreifen.

Wolgaster Holzhaus in Bansin. Diese Häuser zeigen eine Mischung aus traditioneller Handwerkskunst und modernen Fertigungstechniken. Sie gelten als die ersten Fertighäuser in Deutschland / © Foto: Georg Berg
Wolgaster Holzhaus in Bansin. Mischung aus traditioneller Handwerkskunst und modernen Fertigungstechniken / © Foto: Georg Berg

Mit diesen frühen Fertighäusern konnten wohlhabende Großstädter – darunter Adel, hohe Beamte und Unternehmer – ihre Traumvilla verwirklichen. Zwar versetzten die Wolgaster Holzhäuser keine Berge, doch brachten sie einen Hauch alpinen Charmes an die Ostsee.

Die Villa Vineta auf der Strandpromenade Bansin wurde 1903 erbaut und war von Anfang an als Gästehaus konzipiert / © Foto: Georg Berg
Die Villa Vineta auf der Strandpromenade Bansin wurde 1903 erbaut und war von Anfang an als Gästehaus konzipiert / © Foto: Georg Berg

Aber jetzt: Einzigartige Bäderarchitektur

Die prächtigen, reich verzierten Gebäude auf Usedom bilden das weltweit größte Ensemble erhaltener Bäderarchitektur. Diese Stilrichtung prägte die Ostsee von 1793 bis 1918. Besonders in der Gründerzeit entstanden viele Villen in Heringsdorf, Ahlbeck und in Bansin. Drei Hauptgründe trieben die Entwicklung der Seebäder voran: die Faszination der Natur, die gesundheitlichen Vorteile von Kuraufenthalten am Meer und das gesellschaftliche Bedürfnis, zu sehen und gesehen zu werden. Während man in den Kaiserbädern keusch mit dem Badenkarren ins Wasser fuhr, machte ab Mitte des 19. Jahrhunderts Mölle am Kullaberg in der Provinz Skåne von sich reden. Hier badeten Frauen und Männer erstmals gemeinsam am Strand – ein damals skandalöses Ereignis, das man als „schwedische Sünde“ bezeichnete. Der Besuch von Kaiser Wilhelm II. im Jahr 1907 erhöhte die Popularität von Mölle weiter.

Villa Bankier Oechsler, Heringsdorf. Die 1883 erbaute ockerfarbene, klassizistische Villa Oechsler steht auf einem Hügel. Heute beherbergt sie eine Edelboutique / © Foto: Georg Berg
Villa Bankier Oechsler, Heringsdorf. Die 1883 erbaute klassizistische steht auf einem Hügel. Heute beherbergt sie eine Edelboutique / © Foto: Georg Berg
Die neoklassizistische weiße Villa Oppenheim mit vier korinthische Säulen und eine Freitreppe. Sie wurde im Jahr 1883 als Sommerresidenz für die Familie des Bankiers Benoît Oppenheim errichtet. Die Villa Oppenheim war ein beliebtes Motiv des Malers Lyonel Feininger. Zu DDR-Zeiten diente sie dem Minister für Staatssicherheit Erich Mielke als Quartier und repräsentatives Gästehaus. Heute werden in der Heringsdorfer Villa Oppenheim Ferienwohnungen vermietet / © Foto: Georg Berg
Die neoklassizistische weiße Villa Oppenheim mit vier korinthische Säulen und eine Freitreppe. Sie wurde im Jahr 1883 als Sommerresidenz für die Familie des Bankiers Benoît Oppenheim errichtet. Die Villa war ein beliebtes Motiv des Malers Lyonel Feininger. Zu DDR-Zeiten diente sie dem Minister für Staatssicherheit Erich Mielke als Quartier und repräsentatives Gästehaus. Heute werden in der Heringsdorfer Villa Oppenheim Ferienwohnungen vermietet / © Foto: Georg Berg

Über Wasser gehen: Die Seebrücken von Usedom

Ein Steg ins Meer kann vieles sein. Auf Usedom dienten die Seebrücken als Schiffsanleger und Flaniermeile, als Bühne und Filmkulisse. Zudem locken bis heute Restaurants und Geschäfte Kurgäste aufs Wasser. Die Seebrücke von Ahlbeck erhielt 1898 einen 170 Meter langen Seitenarm, damit Küstenpassagierschiffe anlegen konnten. In Heringsdorf steht mit 508 Metern die zweitlängste Seebrücke Deutschlands.

Seebrücke Ahlbeck auf Usedom mit blauer Beleuchtung am Abend / © Foto: Georg Berg
Seebrücke Ahlbeck auf Usedom mit blauer Beleuchtung am Abend / © Foto: Georg Berg

Zur Kaiserzeit zogen die Seebäder auf Usedom Künstler wie Theodor Fontane, Maxim Gorki und Leo Tolstoi an. Auch nach dem Ende dieser Ära blieb Usedom ein beliebtes Reiseziel. Thomas Mann vollendete 1924 in Heringsdorf seinen 1913 begonnenen Roman „Der Zauberberg“, der vom Leben in einem Sanatorium in Davos handelt. Von Kurort zu Kurort, sozusagen. 

Neue Seebrücke Koserow im Abendlicht mit Sitzgelegenheiten für 150 Personen. Auf der Brücke werden auch Trauungen abgehalten / © Foto: Georg Berg
Neue Seebrücke Koserow im Abendlicht. Auch hier findet sich eine moderne Variante des runden Ostsee-Strandkorbs. / © Foto: Georg Berg

Auf der Seebrücke Koserow kann man heute sogar heiraten. Diese moderne Brücke von 2021 ist das neueste Schmuckstück am Usedomer Ostseestrand. Ob verliebt, verlobt, verheiratet oder nichts davon – man sollte diese wellenförmige Brücke, die 280 Meter in die Ostsee ragt, besuchen. Am Brückenkopf steht ein fünf Meter hoher Glockenturm, der an die versunkene Stadt Vineta erinnert. Der Legende nach lag das „Atlantis des Nordens“ direkt vor Koserow. 

Kutter-Rennen vor der Südspitze Gnitz auf Usedom, Blick vom Naturhafen Krummin / © Foto: Georg Berg
Kutter-Rennen vor der Südspitze Gnitz auf Usedom, Blick vom Naturhafen Krummin / © Foto: Georg Berg

Usedom in der Nebensaison

Sonne, Strand und Meer locken zu jeder Jahreszeit nach Usedom. Die Sommerfrische ist längst nicht mehr die einzige Option. Im Sommer, besonders während der Schulferien, wird es auf Usedom sehr voll. Anders als in der Kaiserzeit reisen die Städter heute mit dem Auto an, nicht mehr mit der Bahn. Staus im Kurort – so möchte niemand seine Urlaubstage verbringen. Frühling, Herbst und sogar der Winter bieten einen besonderen Reiz für Strandspaziergänge und Ausflüge ins Usedomer Hinterland.

Ausflugstipps am Wasser und im Hinterland

Man sollte die futuristische Seebrücke Koserow nicht verpassen. Besonders bei Sonnenuntergang zieht sie viele Besucher an. Schöne Wanderungen führen zur Südspitze Gnitz, zum Langen Berg und entlang der Steilküste bei Bansin. Am Naturhafen Krummin genießt man solide Mahlzeiten mit Blick auf das Wasser und die Halbinsel Gnitz. Auf dem Weingut Welzin kann man den ersten originalen Usedomer Wein probieren, und die Inselmühle Usedom im Ort Usedom bietet die besten Usedomer Spezialitäten. Jedes Jahr im September feiert man die Woche der Bäderarchitektur. Die Europapromenade von Ahlbeck nach Heringsdorf, Teil des Kaiserbäder-Erlebnispfads, liefert per App Informationen zu den Villen am Wegesrand.

Die Recherche wurde von Usedom Tourismus unterstützt


Content Protection by DMCA.com
Reise Themen auf Tellerrand-Stories

Unsere Arbeitsweise zeichnet sich durch selbst erlebte, gut recherchierte Textarbeit und professionelle, lebendige Fotografie aus. Für alle Geschichten gilt, dass Reiseeindrücke und Fotos am selben Ort entstehen. So ergänzen und stützen die Fotos das Gelesene und tragen es weiter.

Nie mehr neue Tellerrand-Stories verpassen! Mithilfe eines Feed-Readers lassen sich die Information über neue Blogartikel in Echtzeit abonnieren Mithilfe eines Feed-Readers lassen sich alle Geschichten über den Tellerrand in Echtzeit abonnieren.

Permalink der Originalversion: https://tellerrandstories.de/badekultur-usedom
Optimiert durch Optimole