Die Reichenau, größte Insel im Bodensee, blickt auf über 1.300 Jahre Geschichte zurück. Seit 2000 zählt sie zum Unesco-Welterbe. Auf der „Reichen Aue“, begünstigt durch mildes Klima und den Bodensee als riesigen Wasserspeicher, begann man um 1850 mit dem professionellen Gemüseanbau. Doch den Grundstein legten, wie so oft, die Mönche. Als Bischof Pirmin 724 die Insel betrat und das Kloster Reichenau gründete, schuf er ein bedeutendes geistiges Zentrum des Mittelalters.

Wein und Worte
Seit dem 19. Jahrhundert verbindet ein von Pappeln gesäumter Damm die 4,5 Kilometer lange und 1,5 Kilometer breite Insel mit dem Festland. Charakteristisch sind die weiten Gemüsefelder, Gewächshäuser und Rebhänge, die einen Großteil des regionalen Gemüses für Baden-Württemberg und Bayern liefern. Den ersten Wein pflanzten Benediktinermönche 818. Rund 100 Jahre zuvor, so die Legende, hatte Bischof Pirmin Ungeheuer aus dem Bodensee vertrieben. Er sah in der Insel eine „reiche Au“, die heute Reichenau heißt, und gründete dort eine Benediktinerabtei.

Think-Tank des Mittelalters
Wer heute das verschlafene Mittelzell besucht, ahnt kaum, dass hier im frühen Mittelalter ein geistiges Zentrum Europas blühte. Buchmalerei, Wissenschaft und Bildung machten die Insel zur „Wiege abendländischer Kultur“. Auf der Reichenau stehen noch immer drei fast unverändert erhaltene romanische Kirchen: das Münster St. Maria und Markus sowie die Kirchen St. Georg und St. Peter und Paul. Gemeinsam mit der ehemaligen Benediktinerabtei bilden sie die „Klosterinsel Reichenau“, die seit 2000 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört.

Hortulus – Das Gedicht zum Gartenbau
In vielen Teilen Deutschlands ist er kaum bekannt, doch auf der Insel Reichenau und im westlichen Bodenseeraum tragen Schulen, Straßen und Kräutertees seinen Namen: Walahfrid Strabo. Der Benediktinermönch aus dem neunten Jahrhundert zählt zu den bedeutendsten Gelehrten und Dichtern seiner Zeit. Berühmt wurde er vor allem durch sein Lehrgedicht „Liber de cultura hortorum“ – das Buch über die Gartenpflege. Dieses Werk in Versform ist die älteste Abhandlung über Gartenbau, die auf deutschem Boden entstand. Walahfrid wurde um 808 nahe der Reichenau geboren und trat früh in das dortige Kloster ein. Seine Karriere führte ihn nach Aachen, wo Kaiser Ludwig der Fromme ihn 838 für seine Verdienste als Hofdichter zum Abt des Klosters Reichenau ernannte. Vermutlich entstand in dieser Zeit sein Gedicht über den Gartenbau.

Das später als Hortulus – übersetzt „Gärtlein“ – bekannte Werk gilt als Meisterstück mittelalterlicher Dichtkunst. In 444 lateinischen Versen beschreibt Walahfrid 24 Kräuter und Nutzpflanzen, darunter Rose, Rettich, Minze, Fenchel, Kerbel und Salbei. Er schildert ihr Aussehen, ihren Duft, Geschmack und ihre heilkundliche Wirkung. Zugleich erzählt er von der mühevollen Arbeit des Gärtners und vom Kreislauf der Natur im Wechsel der Jahreszeiten. Dabei orientierte er sich am Stil des antiken Dichters Vergil und ließ seine Verse im gleichmäßigen Rhythmus des Hexameters fließen. Bis heute sind sie lesenswert und lehrreich. Über die Universalheilpflanze Salbei schrieb er:
Leuchtend blühet Salbei ganz vorn am Eingang des Gartens,
Süß von Geruch, voll wirkender Kräfte und heilsam zu trinken.
Manche Gebrechen der Menschen zu heilen, erwies sie sich nützlich,
Ewig in grünender Jugend zu stehen hat sie sich verdient.
Aber sie trägt verderblichen Zwist in sich selbst: denn der Blumen
Nachwuchs, hemmt man ihn nicht, vernichtet grausam den Stammtrieb,
Läßt gierigem Neid die alten Zweige ersterben. (Walahfrid Strabo, Hortulus)

Strabos Kräutergarten liegt am Münster St. Maria und Markus in Mittelzell. Er ist frei zugänglich und kann ohne Eintritt besichtigt werden. Auf der Reichenau findet man nur wenige Darstellungen des Mönchs. Ein kleiner Weg, der von der Seeseite zum Klostergarten führt, trägt seinen Namen, und der „Steckborner Kachelofen“ in der Münsterschatzkammer zeigt ihn in einer Darstellung. Als Abt des Klosters Reichenau, das damals ein bedeutendes Zentrum im Karolingerreich war, übernahm Strabo auch diplomatische Aufgaben. Auf einer solchen Reise ertrank er 849 mit nur 40 Jahren in der Loire. Laut Kirchenschriften wurde er auf der Reichenau begraben, doch der genaue Ort bleibt unbekannt. Im Tourismusbüro in Mittelzell gibt es ausführliche Literatur zum Hortulus.

Gemüseinsel Reichenau
Im Sommer breitet sich ein Patchwork aus Eichblatt-, Lollo-Rosso- und Kopfsalaten über die Gemüsefelder der Reichenau. 2024 bauten dort noch 39 Betriebe rund 70 Gemüsesorten an, darunter 2,1 Millionen Salatköpfe. Ein großer Teil des regionalen Gemüses stammt von den sanft geschwungenen Feldern und aus den Gewächshäusern der Insel. Im Freiland gedeihen Kohlrabi, Blumenkohl, Brokkoli, Fenchel und Kräuter. Doch es gibt auch brachliegende Felder und leere Gewächshäuser. Immer mehr Familienbetriebe geben den Gemüseanbau auf. Gleichzeitig wagen junge Bio-Bauern den Schritt in die Zukunft: Sie setzen auf Trendgemüse wie Süßkartoffeln, Ingwer und Zitronengras – und das in großem Stil.

Der Weinbau auf der Reichenau blickt auf eine über 1200-jährige Geschichte zurück, eng verwoben mit der Klostertradition. Im 9. Jahrhundert pflanzten Mönche den ersten Rebstock. Heute dominiert die Sorte Müller-Thurgau, die im milden Klima fruchtig-würzige Aromen von Apfel, Grapefruit und Muskat entwickelt. Ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem mit 60 Kilometern Rohrleitungen, vier Seepumpwerken und 1.500 Wasserzapfstellen versorgt die Anbauflächen.

Blick hinüber in die Schweiz
Das Hochwarthaus, 1839 als Teehäuschen erbaut, thront 40 Meter über der Insel auf ihrem höchsten Punkt. Von hier schweift der Blick über den Untersee, die Gemüsefelder und den Rhein. Mit etwas Glück ist das Keramikatelier geöffnet, und man kann wie einst Tee trinken und bis zur Schweizer Seite schauen. Gegenüber liegt Schloss Arenenberg, einst Exilheimat von Louis Napoleon Bonaparte und seiner Mutter Hortense de Beauharnais. Von Louis erzählt man, er habe zu Übungszwecken mit Kanonen vom Arenenberg in Richtung Reichenau geschossen.

Thurgauer Bauerngärten
Im Kanton Thurgau wurden sehenswerte Bauerngärten zu einer Route verbunden, die sich zu Fuß, per Rad oder mit dem Auto erkunden lässt. Schriftliche Pläne oder Dokumente zu den Thurgauer Bauerngärten existieren nicht. Der Garten war stets Teil des Bauernhauses, eine unverzichtbare Selbstverständlichkeit. Das Wissen über Anlage, Pflege, Ernte und Vermehrung der Pflanzen wurde mündlich von Mutter zu Tochter weitergegeben. Der Ursprung der Bauerngärten geht auf die frühesten schriftlichen Anleitungen aus dem 9. Jahrhundert zurück: Walahfrid Strabos Hortulus und das Capitulare de villis Karls des Großen, das 90 Pflanzen beschreibt.
Informationen zur Bauerngarten-Route Thurgau und zur Klosterinsel Reichenau
Die Recherchereise wurde von Regio Konstanz Bodensee Hegau unterstützt